Ada Hegerberg beim Ballon d'Or: Sexismus im Sport hat tiefe Wurzeln
Das Beispiel Hegerberg zeigt: Männer und Frauen sind nicht gleich – vor allem nicht im Sport. Dabei fängt Sexismus beim Marketing an und endet beim Missbrauch.
Nun sollte man den Eklat beim Ballon d'Or nicht künstlich aufblasen: Aber dass der Moderator die Weltfußballerin Ada Hegerberg zum "Twerken", also zum in die Hocke gehen und Po wackeln aufforderte, war schon ziemlich daneben. Von Sexismus war die Rede. Tatsächlich ist dieser im Sport tief verankert.
Die Rolle der Frau im modernen Sport beginnt mit der Wiederbelebung der Olympischen Spiele im Jahr 1896. Der Gründer des Internationalen Olympischen Komitees, Pierre de Coubertin, war der Meinung, die Männer sollten den Sport treiben, die Frauen seien zum Applaudieren da. Er sprach sich gegen die Zulassung von Frauen zu Olympischen Spielen aus und musste zähneknirschend hinnehmen, dass der Internationale Olympische Kongress ihm widersprach.
„Frauen waren anfangs die Petersilie auf der Olympischen Platte“, sagt Petra Tzschoppe, Vizepräsidentin für Frauen und Gleichstellung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Daraus haben sich die Grid Girls bei der Formel 1 und die Küsschen gebenden Frauen mit Modelmaßen etwa bei der Tour de France entwickelt, wobei die Grid Girls aber mittlerweile abgeschafft wurden.
Körperbilder
Frauen bekommen teilweise immer noch archaische Geschlechterbilder zu spüren, oft sogar über die offiziellen Regelwerke der Verbände und Veranstaltungen. Bei den US Open kam es kürzlich zu einem doppelten Eklat, als die französische Tennisspielerin Alizé Cornet eine Ermahnung erhielt, weil sie ihr verkehrt herum angezogenes T-Shirt auf dem Platz aus- und wieder anzog.
Die Schiedsrichter waren der Meinung, Cornets Sport-BH sei nicht ziemlich, im Gegensatz zu den nackten Oberkörpern, die ihre männlichen Kollegen regelmäßig und straffrei am Platzrand zeigen dürfen. Cornet allerdings winkte ab: „Was Bernard Giudicelli über den Catsuit von Serena Williams gesagt hat, war zehntausendmal schlimmer als das, was mir auf dem Platz passiert ist“, sagte sie. Der Präsident des französischen Tennisverbands hatte nämlich eine Verschärfung der Regeln gefordert, weil Williams statt im wehenden Röckchen und bloßen Beinen mit einem Kompressionsanzug angetreten war, um Blutgerinnsel zu vermeiden.
In dieser Hinsicht sind ausgerechnet die Beachvolleyballerinnen schon ein Stück weiter: Wurde der Sport mit seinem Kurze-Höschen-Zwang oft als Beispiel für sexistische und sexualisierende Regeln herangezogen, dürfen die Spielerinnen mittlerweile auch im langärmligen Dress und mit Kopftuch antreten. Die Frage ist nur: Wollen sie das? Laura Ludwig, Olympiasiegerin im Beachvolleyball von 2016, gibt zu, dass sie und ihre Partnerin Kira Walkenhorst gezwungen sind, aus ihren braungebrannten Körpern Kapital zu schlagen. „Es ist ohnehin schon schwierig, Partner und Unterstützer zu finden“, sagte die 32-Jährige. „Da ist man gezwungen, etwa mit dem guten Aussehen zu spielen.“
Medien
Auch die Darstellung von Athleten und Athletinnen in den Medien ist ein großes Thema, formen Medien doch entscheidend, meist aber unbewusst den Blick auf die Welt. Studien zeigen, dass in der regulären Sportberichterstattung außerhalb von Olympischen Spielen Frauen weniger als 15 Prozent der Sendezeit bekommen. Außerdem existiert seit Jahrzehnten und über Landesgrenzen hinweg ein gleichbleibendes mediales Bild von Frauen und Männern im Sport, das sich erst langsam wandelt.
„Frauen werden eher verniedlichend und trivialisiert dargestellt, die Erzählungen über sie beziehen sich oft auf ihre Eigenschaften außerhalb des Sports. Männer dagegen bekommen Stärke und Kraft zugeschrieben, sie dürfen auch aggressiver und intensiver jubeln“, sagt Jörg-Uwe Nieland, Kommunikationsforscher an der Universität Münster.
Ein aktuelles Beispiel: Simone Blum, amtierende Weltmeisterin im Springreiten, wurde vor ihrem Gold-Ritt bei der Reit-WM in Tyron, USA, mit folgenden Worten vorgestellt: Sie habe als „junge Deern“ schon alles erlebt, sei nur Dank ihres Pferdes und ihres Ehemannes so erfolgreich. Einen männlichen Reiter hätte Kommentator Carsten Sostmeier wohl kaum so vorgestellt. „Wird sie zur Rose erblühen?“, rief der Kommentator des öffentlich-rechtlichen Fernsehens vor dem letzten Sprung aus. Von blühenden Birnbäumen hätte Sostmeier bei Ludger Beerbaum wohl nicht gesprochen.
Sexualisierte Gewalt im Sport ist ein flächendeckendes Problem
Beteiligung
Trotzdem ist der deutsche Sport in vielen Bereichen schon wesentlich weiter als noch bei der Gründung des Deutschen Sportbunds 1950, als nicht einmal zehn Prozent der Mitglieder weiblich waren. In einigen Verbänden ist das Geschlechterverhältnis sogar gekippt: Der Deutsche Turnverband hat mittlerweile über 70 Prozent weibliche Mitglieder. Allerdings ist der Sportverband mit den zweitmeisten weiblichen Mitgliedern ausgerechnet der DFB. Fußball gilt aber immer noch als Männersport, die Frauen mussten bis vor ein paar Jahren ihr Pokalfinale noch als Vorprogramm der Männer austragen.
Mittlerweile sind 40 Prozent der Mitglieder in deutschen Sportvereinen Frauen. Von denen weigern sich einige aber immer noch beharrlich, Frauen aufzunehmen: Der Berliner Ruderclub ist bis heute ein reiner Männerverein. In anderen Sportarten ist der Ausschluss weniger explizit: Während das Springreiten traditionell eher ein Männersport war, traten in der Dressur fast ausschließlich Frauen an. Der Sieg Blums bei der WM ist damit ein Zeichen für einen langsamen Kulturwandel.
Im internationalen Leistungssport aber spiegelt sich die deutlich gestiegene Präsenz von Frauen im Breitensport noch nicht durchgängig wider: Die Tour de France etwa weigert sich, die Frauen mehr als einen Tag lang auf die Strecke zu schicken. Der ehemalige UCI-Präsident Pat McQuaid sagte in einem Statement, Frauen-Radsport sei nicht entwickelt genug, um den Fahrerinnen einen Mindestlohn zu garantieren, wie er im Männer-Radsport Standard ist. Sein Nachfolger Brian Cookson begründete die rar gesäten Langstreckenrennen gar damit, dass Frauen auf dem Rad einfach schwächer seien.
Lohngleichstellung
Traurige Tatsache: Auf der Liste der 100 bestbezahlten Athleten 2017 steht keine einzige Frau. War im Vorjahr noch Serena Williams vertreten, fiel sie im vergangenen Jahr aufgrund ihrer Babypause durch das Raster. Durch die geringere mediale Präsenz sind Frauen schlicht unattraktiver für Sponsoren, Frauenfußballvereine können selbst Bundesligaspielerinnen oft nur einen kleinen Lohn zahlen.
Die positiven Veränderungen haben eher Symbolwirkung. Der IOC und der DOSB können keinen direkten Einfluss auf die Verbände nehmen, auch die finanziellen Zuwendungen des DOSB an die olympischen Sportverbände sind nicht zweckgebunden. Das soll sich aber im Laufe des kommenden Jahres ändern. Dennoch hängt es vor allem an den Verbänden, die wiederum von Sponsoren abhängig sind. Die World Surf League entschied sich in diesem Jahr, die Preisgelder anzugleichen, wie es auch im Tennis schon längst praktiziert wird.
„Die Bereitschaft in den Verbänden muss da sein“, sagt Petra Tzschoppe vom DOSB. „Aber wenn dort komplette Männerriegen im Vorstand sitzen, wird das schwierig.“ Durch die zunehmende Kommerzialisierung des Sports entscheidet aber auch der Markt, denn das große – oder kleine – Geld wird in den Klubs und durch Sponsorenverträge verdient.
Sexuelle Belästigung
Der Bericht „Safe Sport“ der Deutschen Sporthochschule Köln zeigt, dass sexualisierte Gewalt im deutschen Sport ein flächendeckendes Problem ist: Von den 1799 befragten Kaderathleten und Kaderathletinnen hatte ein Drittel schon einmal sexualisierte Gewalt erfahren. Bei den Athletinnen waren es sogar 48 Prozent, ein Viertel hatte schon einmal eine sexuelle Grenzverletzung erfahren.
Sarah Alexandra Scheurich, amtierende Deutsche Meisterin im Boxen, kennt das Problem. Nachdem eine Kaderkameradin Opfer sexueller Übergriffe durch einen Trainer geworden war, gründete sie die Initiative „Coach don’t touch me“. Der Vorstand des Deutschen Boxverbandes aber wollte das Thema während der Europameisterschaften diskutieren, zu einem Zeitpunkt also, in dem sie nicht vor Ort sein konnte, um für die Athleten zu sprechen. Daraufhin trat Scheurich als Athletensprecherin zurück.
Scheurich ist selbst bereits Ziel sexualisierter Grenzverletzungen geworden: Auf Instagram zeigt sie sich häufig beim Training oder beim Yoga zu Hause, manchmal auch im privaten Umfeld im Bikini. Das nehmen einige ihrer Follower anscheinend als Einladung, sie zu beschimpfen und herabzuwürdigen.
„Zu Bildern im Sport-BH bekomme ich Kommentare, dass ich eine Schlampe sei“, erzählt die 25-jährige Sportsoldatin. Andere Nutzer wünschen ihr gar den Tod. Zurzeit wird sie von einem Stalker verfolgt, der ihr von immer neuen Konten Hasskommentare schreibt. „Sehr viele Männer fühlen sich auf den Schlips getreten“, ist ihre Erklärung für den Hass. „Ihr Weltbild wird erschüttert, weil eine Frau boxt und ihre Meinung sagt.“ Dabei will sie ja eigentlich nichts Revolutionäres: „Ich möchte einfach meinen Sport machen und vielleicht anderen Frauen ein Vorbild sein.“
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