Prävention in Sportvereinen: Landessportbund Brandenburg kämpft gegen Missbrauch
Jede dritte Athlet hat schon sexualisierte Gewalt im sportlichen Umfeld erlebt. Der Landessportbund Brandenburg fordert Vereine zur Prävention auf.
Sportvereine haben für viele Kinder und Jugendliche den Charakter einer „zweiten Familie“. Dort können sie ihren Spaß an der Bewegung ausleben, sind zusammen mit Freunden, fühlen sich wohl. Allerdings wird mitunter diese heile Welt folgenschwer zerstört – dann, wenn beispielsweise aus Trainern Täter werden. Immer wieder kommen weltweit Missbrauchsskandale im Sport ans Tageslicht.
Die 2016 veröffentlichte Studie „Safe Sport“ hatte erstmalig für Deutschland empirische Ergebnisse zu dieser düsteren Thematik geliefert. Demnach erlebte ein Drittel der befragten 1799 Kaderathleten bereits innerhalb des sportlichen Umfelds sexualisierte Gewalt – das Definitionsspektrum reichte von sexistischen Sprüchen über Berührungen bis zu ungewolltem Geschlechtsverkehr. Jeder neunte Studienteilnehmer gab an, schwer oder länger andauernd missbraucht worden zu sein. Die Mehrheit der Opfer war zum Zeitpunkt der ersten Erfahrungen minderjährig. „Die Daten bestätigen, dass Sportverbände und -vereine in der Verantwortung stehen, den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierten Übergriffen zu optimieren“, sagt Bettina Rulofs, „Safe Sport“-Projektleiterin von der Deutschen Sporthochschule Köln.
"Unbesorgt und behütet" sportlich aktiv
Das „Sportland“ Brandenburg nehme jene Verantwortung „für unseren Nachwuchs, für unsere Zukunft“ ernst, betont Robert Busch. Er ist Vorstandsmitglied des Landessportbundes Brandenburg (LSB), der Mitte Oktober zum dritten Mal in Kooperation die Berlin-Brandenburgische Regionalkonferenz „Für den Kinderschutz – Gegen sexualisierte Gewalt im Sport“ durchführte. In Eberswalde trafen sich 95 Vertreter aus Vereinen und Verbänden. Sie hörten Fachvorträge von Experten aus dem Sport, der Medizin sowie dem Rechtswesen und diskutierten mit ihnen in fünf Arbeitsgruppen. „Eine sehr, sehr gelungene Sache. Die Resonanz war gut und die inhaltliche Qualität absolut hochwertig“, urteilt der LSB-Kinderschutzbeauftragte Steffen Müller.
Rund ein Drittel aller Mitglieder im Landessportbund Brandenburg sind unter 18 Jahre alt, also etwa 110 000 Mädchen und Jungen. Damit sie „unbesorgt und behütet“ sportlich aktiv sein können, wie es Robert Busch bezeichnet, gibt der LSB – in einem Netzwerk zusammen mit den Stadt- und Kreissportbünden – seinen Clubs Hilfestellungen. Neben der Handreichung der 36-seitigen Broschüre „Kinderschutz im Sport“ wird über regelmäßige Seminare gelehrt, wie optimale Voraussetzungen zum Wohle der jungen Athleten geschaffen werden können. „Die entscheidende Säule ist, dass jeder Verein ein eigenes Kinderschutzkonzept entwickelt. Dabei unterstützen wir gerne“, erklärt Steffen Müller, der vor sechs Jahren als zentraler Ansprechpartner im Land installiert wurde
Sensibilisierung als oberste Maxime
Das zu erstellende Konzept solle unter anderem ein Verhaltensregelwerk und einen Ehrenkodex für Übungsleiter, die Möglichkeit zu ihrer spezifischen Fortbildung sowie die Benennung eines Kinderschutzbeauftragten – der LSB bildet diese Personen auch aus – umfassen. Circa 700 der 2000 Mitgliedsvereine haben das bereits getan. „Die Tendenz ist positiv, aber natürlich ist der Stand noch nicht ausreichend“, meint Müller. „Unsere Arbeit zielt darauf ab, dass möglichst alle Clubs diese Maßnahmen bei sich verankern.“ Dazu gehört ebenso der Aspekt des 2010 eingeführten, für kinder- und jugendnahe Tätigkeiten besonders relevanten erweiterten Führungszeugnisses. Im Fokus stehen dort zum Beispiel Sexualstrafdelikte und Vergehen an Schutzbefohlenen. „Wir raten den Vereinen nachdrücklich, es von allen Übungsleitern einzufordern.“
Doch letztlich – und das sei das Bittere – kann „keine hundertprozentige Sicherheit“ gewährleistet werden. „Das Risiko, dass es in den Clubs zu Übergriffen oder Belästigungen – sei es durch Übungsleiter oder jemand anderen – kommt, ist wie in allen anderen Bereichen des Lebens leider vorhanden“, so Müller, der etwa 20 Beratungsfälle jährlich im Brandenburger Sport zählt. Die Quote bezieht sich zunächst auf Verdachtsmomente. „Bei drei bis fünf Fällen stellt sich ein Tatbestand heraus. In Potsdam gab es zuletzt keine.“ Der LSB-Kinderschutzbeauftragte vermutet, dass die Dunkelziffer höher liegen könnte, weil Betroffene sich niemandem anvertrauen. Schweigen ist eine riesige Gefahr. Viele Opfer sexueller Gewalt im Kindesalter berichten von psychischen Problemen, die sie in ihrem Leben begleiteten - auch, weil sie sich nicht oder erst spät für Hilfe öffneten.
Sensibilisierung ist deshalb die oberste Maxime. Alle Beteiligten – Eltern, das komplette Trainerkollegium, andere Sportler aus der Übungsgruppe – sollten achtsam sein, fordert Steffen Müller. „Ändert sich plötzlich die Verhaltensweise eines Kindes? Fällt etwas Unangemessenes beim Umgang eines Trainers oder einer anderen Person mit den Sportlern auf?“ Bei solchen Verdachtsmomenten sei zunächst umgehend der Weg der Kommunikation zu suchen – über den bestenfalls vorhanden Kinderschutzbeauftragten des Vereins oder den Clubvorstand. Und in akuten Fällen natürlich das Jugendamt oder die Polizei zu informieren. Müller: „Lieber schon beim kleinsten Verdacht der Sache nachgehen, darüber sprechen, um eine Klärung zu erreichen, statt zu viel Zeit verstreichen zu lassen.“
Tobias Gutsche