Skispringen: Severin Freund: "Da ist noch etwas in mir"
Die frühere deutsche Nummer 1 spricht im Interview über die Strapazen und das Comeback nach zwei Kreuzbandrissen in Folge.
Herr Freund, Sie sind nach zwei Jahren Verletzungspause wieder zurück auf der Schanze. Wie lernt man wieder fliegen?
Erst einmal mit viel Geduld. Zwei Jahre ohne Sprünge sind nicht in zwei Monaten wieder hergeholt. Ich muss seit September vergangenen Jahres extrem viel investieren. In der Reha habe ich sechs Stunden am Tag gearbeitet, viel in der Langlaufloipe gemacht. Aber ich habe den Punkt erreicht, dass ich wieder springen kann, und jetzt macht es auch wieder Spaß. Die Selbstverständlichkeit fehlt aber noch.
Sie hatten sich beim letzten Mal nach dem ersten Kreuzbandriss gleich den zweiten zugezogen. Besteht die Sorge, dass Sie wieder zu früh angefangen haben?
Diesmal habe ich mir alle Zeit der Welt gelassen. Es klappt auch schon wieder gut auf der Schanze. Aber wenn man ein Kreuzband mit zwei anderen Sehnen aus dem Bein ersetzt, müssen die Muskeln erst mal viel übernehmen. Erst braucht es Stabilität, dann kommt die Schnelligkeit. Die „fremden“ Sehnen müssen sich in ihre neue Funktion erst einfinden.
Können Sie das näher erklären?
Ich habe schon wieder maximale Flexibilität in Beugung und Streckung der Knie. Aber im Flug geht man leicht in die Überstreckung und so weit bin ich noch nicht. Das nimmt einem in der Luft die Symmetrie und damit die Weite. Aber da tut sich noch was in den nächsten Wochen.
Springt die Angst noch mit?
Die Freude hat von Anfang an überwogen.
Andere Leistungssportler hätten an Ihrer Stelle längst hingeschmissen.
Fliegen ist etwas ganz Spezielles. Du schwebst und es geht dahin. Das will ich noch nicht aufgeben. Ich habe das Gefühl, da ist noch etwas in mir.
War Ihnen das nach dem zweiten Kreuzbandriss sofort klar?
Es war keine wohlüberlegte Entscheidung, das muss ich zugeben. Ich habe nicht darüber nachdenken wollen. Ich wusste schon in der Klinik, dass ich zurückkommen will. Wenn es zu einem rationalen Prozess gekommen wäre, wäre es schwieriger gewesen. Aber zumindest etwas habe ich für die Zukunft getan: Ich habe in der Reha meine Bachelor-Arbeit in BWL fertig geschrieben.
Sie sind 30 Jahre alt und haben mit Ihrer Frau Caren gerade erst Ihr erstes Kind bekommen. Keine Lust auf Elternzeit?
Ich bin sehr froh, dass mich meine Frau unterstützt. Familie, das wird etwas sehr Spannendes.
Verschieben sich da nicht die Prioritäten?
Wenn man so weit ausholen muss wie ich mit der Reha, ist klar, dass man länger als für ein Jahr zurückkommt. Und ich wollte aber auch nicht ewig alt sein, wenn ich eine Familie gründe. Es gibt doch genügend Beispiele aus dem Sport, dass man beides zusammen hinbekommt. Auch wenn die Nächte mit unserer Tochter jetzt erst mal kurz werden: Ich glaube, dass das wahnsinnige Kräfte freisetzt.
Den Sommer-Grand-Prix haben Sie noch ausgelassen. Wann kann man wieder mit Ihnen rechnen?
Ich hoffe, dass ich zum Start der Wintersaison Mitte November in Wisla in Polen dabei bin. Aber ich lasse es nicht auf eine Woche ankommen. Wenn es nicht klappt, machen wir einen neuen Zeitplan. Fest steht nur das Fernziel: Ich möchte zur nordischen Ski-Weltmeisterschaft in Seefeld im Februar wieder da sein.
Die Konkurrenz im deutschen Team ist inzwischen enorm gestiegen: Früher waren Sie als Weltmeister der Vorzeigespringer. Jetzt ist der 23-jährige Andreas Wellinger Olympiasieger.
Zum Glück! Das macht für mich manches leichter.
Können Sie mit den jungen Hüpfern noch mithalten?
Es wäre auch für mich viel schwieriger, wenn die Leistungsdichte geringer wäre. So liegt der Fokus nicht so sehr auf meiner Person. Und es ist sehr viel Wert, sich an anderen orientieren zu können. Wenn ich in diesem Team bestehe, weiß ich, ich kann auch wieder Weltspitze sein.