Tennis: Serena Williams und der Reiz des Rekords
Serena Williams will bei den Australian Open ihren 24. Grand-Slam-Titel gewinnen. Die erste Hürde nimmt sie mühelos.
Mit nur einem Ruck hatte Serena Williams den Reißverschluss ihres schwarzen Mantels geöffnet. Sie streifte ihn mit bewusst unbeteiligter Miene ab und sofort ging ein Raunen durch die Rod-Laver-Arena. Zum Vorschein kam ein ärmelloser, jadegrüner Einteiler. Hauteng, mit Hotpants. Ein mutiges Outfit, das sie wie immer selbstbewusst präsentierte. Manche Fans johlten, andere pfiffen entzückt. Serena Williams weiß genau, wie man den perfekten Auftritt inszeniert – auch bei 36 Grad im Schatten. Nach 49 Minuten war er schon wieder beendet, denn ihre Gegnerin Tatjana Maria erwischte einen „schrecklichen Tag“ und verlor 0:6 und 2:6.
Für Serena Williams war dieser erste Auftritt bei den Australian Open besonders wichtig. Denn ihr neuester Mode-Coup sollte geschickt die Erinnerung an den Skandal aus dem US-Open-Finale im vergangenen Herbst verhüllen, der ihr immer noch nachhängt. Bis heute hatte sich Williams nicht für ihren Ausraster entschuldigt, der der jungen Naomi Osaka den großen Moment ihres ersten Grand-Slam-Sieges verdorben hatte. Aber keine Spur von Reue, Williams zettelte lieber eine Debatte über Sexismus und Rassismus an, die jedoch absolut deplatziert war. Denn passiert war nur eines: Williams hatte völlig die Beherrschung verloren in einem Endspiel, mit dem sie Geschichte schreiben wollte.
Keine Fragen zu den US Open
Um ihren 24. Grand-Slam-Titel ging es, der den Allzeit-Rekord der Australierin Margaret Court egalisieren würde. Der wichtigste Grund, warum die US-Amerikanerin mit 37 Jahren und nach der Geburt ihrer Tochter Olympia überhaupt noch Tennis spielt. Sie will diesen Rekord. Aber so kurz davor verliert sie die Nerven. Schon, als sie die 22 Grand-Slam-Titel von Steffi Graf erreichen wollte, knickte Williams mehrfach ein. Nun also folgt in Melbourne der nächste Anlauf, den sie jedoch betont herunterspielt: „Ich bin hinter dem Rekord schon ewig her, das ist nichts Besonderes mehr.“
Williams hatte seit jenem Skandal-Match in New York nicht mehr gespielt, erst zum Jahreswechsel trat sie für eine stattliche Summe zu einem Schaukampf in Abu Dhabi an, als sei nichts gewesen. Den Journalisten wurde jedoch strikt untersagt, Fragen zu den US Open zu stellen. Auch im Vorfeld der Australian Open trat Williams für eine Gage von einer Millionen Dollar beim Hopman Cup in Perth an. In einer Woche brachte sie es dabei auf eine Gesamtgesprächszeit mit der Presse von sechs Minuten, zum Unmut der Veranstalter.
Tatjana Maria war kein Maßstab
In Melbourne verweigerte sie die eigentlich obligatorische Pressekonferenz vor Turnierstart, erst nach dem Match gegen Maria sprach Williams wieder. Im Interview auf dem Platz sprühte sie vor Esprit und erzählte, dass sie bei ihrem letzten Auftritt hier ja schwanger gewesen sei, wie besonders die Rückkehr nun wäre und wie leid ihr Tatjana täte, die ihre Nachbarin in Florida sei. Die Zuschauer waren verzückt. Später zeigte Williams den Journalisten dann wieder die kalte Schulter, antwortete einsilbig. Als vorsichtig nach den Folgen des US-Open-Finales gefragt wurde, schnappte Williams: „Kein Kommentar.“ Warum von ihr vorab so wenig zu hören gewesen sei, beantwortet sie damit, dass sie „eine berufstätige Mutter“ ist und „jede freie Minute mit meiner Tochter verbringen will“. Und zu der wolle sie jetzt auch wieder. Dann rauschte sie davon.
Ein „Happy Slam“ dürfte es wohl nicht werden. Und wie gut Williams in Form ist, muss sich zeigen. Denn die überforderte Maria war an diesem Tag kein Maßstab. Williams ist an Position 16 gesetzt, doch gefühlt ist sie immer die Nummer eins – zumindest aus ihrer Sicht. Sieben Mal triumphierte sie bereits in Melbourne, der nächste wäre wieder ein Rendezvous mit der Geschichte. Falls ihre Nerven mitspielen.