Auf Rekordjagd in Wimbledon: Serena Williams kämpft mit Leidenschaft und Kalkül
Nach ihrem Ausraster bei den US Open ging die Tennisspielerin in Therapie. Das Turnier von Wimbledon nutzt sie nun vor allem als PR-Kampagne in eigener Sache.
Serena Williams strahlt in Wimbledon eine fast schon unnatürliche Ruhe aus. Auf dem Tennisplatz schleicht sie zwischen den Ballwechseln von Seite zu Seite, ganz so, als würde sie nach jedem Punkt in ihren persönlichen Energiesparmodus schalten. Auch auf den Pressekonferenzen im altehrwürdigen All England Club spricht die 37 Jahre alte US-Amerikanerin betont langsam und wirkt beinahe so, als hätte sie zuvor keinen Leistungssport betrieben, sondern eine Yoga-Stunde hinter sich. Serena Williams will ein möglichst positives Bild abgeben, bloß keinen neuen Eklat produzieren. So wie vor zehn Monaten im Finale der US Open gegen Naomi Osaka.
Williams war damals während des Matches komplett ausgetickt, hatte nach einer Verwarnung wegen Coachings völlig die Fassung verloren und warf Schiedsrichter Carlos Ramos lautstark und wiederholt Sexismus vor. Nach zwei weiteren Verwarnungen stand das Endspiel in New York kurz vor dem Abbruch, Osakas erster Triumph bei einem Grand-Slam-Turnier geriet fast zur Nebensache. Bei der Siegerehrung weinte die Japanerin gar.
Das Thema ist in Wimbledon wieder hochaktuell, denn Williams hat sich im Mode- und Lifestyle-Magazin „Harper’s Bazaar“ in einem am Dienstag vorab veröffentlichten Essay zu den Vorfällen bei den US Open geäußert. Zwischen vielen Fotos, die sie in knappen und durchweg goldenen Gewändern zeigen, erklärt sie in dem Beitrag, nach dem Finale therapeutische Hilfe in Anspruch genommen zu haben. „Es war mir einfach wichtig zu versuchen, mich zu bessern. In allen möglichen Dingen“, erklärte Williams am Dienstag gegenüber der Presse. In ihrem Text bei „Harper’s Bazaar“ schrieb sie: „Ich habe nach Antworten gesucht und obwohl ich Fortschritte machte, war ich danach noch nicht bereit, wieder einen Tennisschläger in die Hand zu nehmen.“
In ihrem Text enthüllt Williams außerdem, dass sie Osaka eine E-Mail geschrieben und sich darin nochmals entschuldigt habe. Bei der Antwort der Japanerin seien ihr „die Tränen gekommen“. Osaka hegte keinen Groll, im Gegenteil, sie bestärkte Williams eher noch darin, ihren „wegweisenden Kampf“ für die Rechte von Frauen fortzusetzen. Tatsächlich findet sich in dem Essay der US-Amerikanerin kein wirkliches Wort des Bedauerns über den Ausbruch im Arthur-Ashe-Stadium. Sie fühlt sich bis heute unfair behandelt und wiederholt ihren Vorwurf, den sie schon nach dem Match seinerzeit erhoben hatte: „Warum wird leidenschaftliches Verhalten bei Frauen als emotional, verrückt und irrational bezeichnet?“
10.000 Dollar Strafe für ungebührliches Verhalten
Trotz aller zur Schau gestellten Entspanntheit ist Serena Williams auch in Wimbledon nicht immer die Ruhe selbst. In ihr brodelt ein kleiner Vulkan, deswegen erhielt sie Anfang der Woche eine 10.000-Dollar-Strafe für ungebührliches Verhalten auf einem der Trainingsplätze. Sie sprach nebulös von einem Schlägerwurf, der angesichts der Höhe des Bußgeldes allerdings heftig ausgefallen sein muss. In solchen Situationen flüchtet sich Williams in zuweilen merkwürdige Erklärungen. „In meinem Herzen bin ich schon immer ein Avenger gewesen. Vielleicht habe ich einfach Superkräfte“, brachte sie zu ihrer Verteidigung an und lächelte weitere Nachfragen weg.
Trotz dieser Nebengeräusche ist das Turnier von Wimbledon bisher eine gelungene PR-Kampagne für Williams. Sie hat viele Fans in England, ihre freundschaftliche Beziehung zu Meghan Markle, der Ehefrau von Prinz Harry, hilft ihr dabei. Und dann war da natürlich auch noch das Mixed mit Andy Murray. Seit sie verkündete, mit dem britischen Tennishelden zusammenzuspielen, durfte sie sich der Unterstützung der Massen erst recht sicher sein. Womöglich steckte auch dahinter Kalkül, gerade angesichts der Ereignisse bei den US Open. Und das Mixed-Spiel hatte bis zum Ausscheiden am Mittwoch noch den netten Nebeneffekt, dass sie im Einzel oft ein frühes Match mit fester Startzeit bestreiten durfte. „Das macht es einfacher“, sagte Williams.
An diesem Donnerstag kann sie mit einem Sieg gegen die ungesetzte Tschechin Barbora Strycova das Finale in Wimbledon erreichen – zum insgesamt elften Mal. Mit einem Erfolg zwei Tage später im Endspiel und ihrem dann 24. Sieg bei einem Grand-Slam-Turnier würde sie endlich den Rekord der Australierin Margaret Court einstellen. Einen Bestwert, dem sie schon einige Zeit hinterherläuft. Im Vorjahr verlor sie die Finals von Wimbledon und New York jeweils als Favoritin. Sollte es mit dem Titel auch diesmal nicht klappen, könnte es mit der vorgelebten Ruhe bei Serena Williams deshalb womöglich auch ganz schnell wieder vorbei sein.