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Goldig. Sebastian Brendel will in Rio seinen Olympiasieg von 2012 wiederholen. Das haben bisher nicht so viele geschafft. Alles andere als ein Sieg des Neustrelitzers wäre eine große Überraschung. Foto: dpa/Weihrauch
© dpa/Weihrauch

Kanu: Sebastian Brendel: Der Unschlagbare

Sebastian Brendel ist der Dominator im Einer-Canadier – seit 2013 ist er über 1000 Meter unbesiegt, in Rio will er am Dienstag sein Gold verteidigen.

Da steht er, eine unglaubliche Gestalt. 1,92 Meter groß und 92 Kilogramm schwer, dunkles, leicht lockiges Haar, Pranken wie Stechpaddel, Muskeln vom Zeh bis zum kleinen Finger. Sebastian Brendel sieht aus, als wäre er aus Marmor. Und dann sagt er den Satz, den man von einer solchen Erscheinung am wenigsten erwarten würde: „Ich bin gleich da, ich muss erst noch mein Essenstablett wegräumen.“

Die Szene spielt sich ab in Kienbaum, am Stadtrand von Berlin. Brendel und die anderen Rennkanuten halten kurz vor den Olympischen Spielen ihr Trainingslager ab. Angesagt ist heftiges Konditionsbolzen, Arme und Beine sind schwer, noch schwerer als sonst. Doch selbst in den Momenten größter Erschöpfung verliert Sebastian Brendel niemals den Blick für die Kleinigkeiten.

Und diese Kleinigkeiten sind es, die den Hünen vom Kanu Club Potsdam zu einem der Größten im Weltsport gemacht haben. Er ist der Dominator im Einer-Canadier über 1000 Meter. Olympiasieger in London, fünfmaliger Weltmeister, seit 2013 ist er auf der Strecke unbesiegt. Die Rennkanuten sind die Medaillensammler unter den deutschen Athleten, in London holten sie sechs, so viele sollen es in Rio auch werden. Sebastian Brendel ragt aus dieser Flotte noch einmal heraus. Bundestrainer Reiner Kießler nennt ihn „hoffentlich den Garanten“.

Sebastian Brendel würde sich selbst nie so bezeichnen. Garantien kennt der 28-Jährige nicht, Ansprüche stellt er nur an sich selbst. „Ich bin nicht der Leitwolf oder der Typ, der die ganze Zeit die Sprüche raushaut“, sagt er, nachdem er sein Tablett artig in die Kantine gebracht hat. „Ich habe mir den Respekt durch die Leistung erarbeitet.“

Wen man auch zu Sebastian Brendel fragt, er wird drei zentrale Charakterzüge nennen: Fleiß, Ehrgeiz und Bodenständigkeit. Allüren sind ihm fremd, auch nach Jahren der Dominanz. Jeden Tag quält er sich aufs Neue zehn Stunden lang für den Erfolg, stemmt Gewichte im Trainingsraum, spult Kilometer um Kilometer auf der Havel oder einem anderen Gewässer irgendwo auf der Welt ab.

Wenn Brendel nicht im Kanu sitzt, dann denkt er darüber nach. „Er will alles immer weiter perfektionieren“, sagt sein Trainer Ralph Welke. „Das ist typisch für ihn.“ Welke kennt Brendel durch die unzähligen Trainingsstunden womöglich besser, als es dessen Partnerin tut. Die beiden sind über die Jahre eine eheähnliche Trainingsgemeinschaft geworden, die auch ohne viele Worte funktioniert. Große Motivationsreden jedenfalls muss Welke nicht schwingen. „Er hat hohe Ansprüche an sich selbst, in jeder Trainingseinheit“, sagt Welke. „Wenn er diesen Anspruch einmal nicht erfüllt, ist er mit sich unzufrieden.“

Brendel begann im Alter von acht Jahren in seiner Geburtsstadt Schwedt mit dem Kanufahren. Schon damals zeigte sich, dass er zwar Talent hatte, aber vor allem unglaublichen Willen und Arbeitseifer. „Er ist nicht der exzellente Techniker“, sagt Welke. „Er muss sich alles schwer erarbeiten.“

Brendels Bereitschaft zur Schufterei ist ein Geheimnis der langen Siegesserie. „Es ist für ihn die oberste Pflicht, den Trainingsplan zu erfüllen“, sagt Welke. „Wenn ein anderer mal krank wird, dann ist die Einheit für ihn erledigt. Das würde bei Sebastian nie passieren – der holt die Einheit nach.“

Zweier oder Vierer fahren, das können viele, sagt Welke. Da verteilt sich die Last ein bisschen, da kann man auch mal verschnaufen. Nicht zu vergleichen mit den einsamen 1000 Metern, die Sebastian Brendel bis zur totalen Erschöpfung gegen sich selbst kämpft. „Der Einer ist die absolute Härte“, sagt Welke.

An seine letzte Niederlage kann sich kaum einer erinnern

In den vergangenen Jahren war Sebastian Brendel stets der Härteste von allen. An seine letzte Niederlage kann sich kaum einer erinnern, inzwischen umgibt ihn die Aura des Unschlagbaren. Auch in Rio gewann er seinenVorlauf am Montag souverän, heute im Finale ist er der große Favorit. „Es gibt diesen Effekt nach außen, wenn man diese Leistungen permanent zeigt“, sagt Andreas Dittmer. Der Neustrelitzer ist selbst eine Kanulegende, dreimal gewann er olympisches Gold. Und er kennt sich aus mit der Psychologie auf dem Wasser. „Wenn die Bootsspitze von Sebastian Brendel 250 Meter vor dem Ziel auftaucht, kriegen andere wacklige Arme.“

Dittmer weiß aber auch: Tief drinnen, unter der stählernen Hülle, da sind auch die Unschlagbaren weich. Neben dem Willen zum Erfolg treibt sie die ständige Angst vorm Scheitern an. Selbst der knallharte Brendel hat Krisen durchlebt, die von außen nicht sichtbar waren. 2014, als er auch noch seine großen Ziele Weltmeister und Weltbestzeit in einem Rennen erreicht hatte, fiel er in ein Loch. „Ich hatte alles erreicht“, sagt er.

Was sollte jetzt noch kommen? Er hat Familie, zwei kleine Kinder, die Ausbildung zum Bundespolizisten war fertig. Die Angst vor der Entthronung wurde greifbar. „Sebastian weiß: Irgendwann wird ein neuer Brendel kommen“, sagt Andreas Dittmer. „Es ist nur eine Frage der Zeit.“

Nicht einmal der Sieg bei den Europaspielen in Baku 2015 vertrieb die leisen Zweifel an seiner Leistungsfähigkeit – er erhöhte sie sogar. „Vor der WM kam er zu mir und sagte: Alle erwarten von mir, dass ich ständig gewinne. Ich weiß nicht, ob ich das weiter so schaffe“, erzählt Welke. Im Winter fiel es ihm plötzlich immer schwerer, sich bei Dunkelheit aufzuraffen und im Schneeregen aufs Wasser zu gehen.

Doch Brendel schüttelte die Zweifel ab, wie er noch jeden hartnäckigen Konkurrenten abgeschüttelt hat. Durch harte Arbeit, jeden Tag aufs Neue. Die Liebe zum Kanufahren war stärker als die Versagensängste, sie ist es immer noch. „Ich hatte irgendwann wieder diese Lust, zu beweisen, dass ich in der Lage bin, alle zu schlagen.“ Den Olympiasieg von London zu bestätigen, das wurde sein großes Ziel. „Einmal Olympiasieger zu werden, ist gut“, sagt Brendel. „Das zu verteidigen, das schaffen die wenigsten.“

Aber auch die Konkurrenz ist stärker geworden. Der Tscheche Martin Fuksa hatte ihn bei der WM 2015 in Mailand am Rande der Niederlage, um 17 Tausendstel blieb Brendel vorn. Auch der Ukrainer Pavlo Altukhov und der junge Brasilianer Isaquias Queiroz dos Santos sind gefährlich. „Ich habe versucht, Sebastian die Angst zu nehmen, und gesagt: Ich freue mich über eine Medaille, es muss nicht Gold sein“, sagt Ralph Welke. Dem Trainer passt es auch ganz gut, dass Sebastian Brendel unverhofft noch eine weitere Medaillenchance erhalten hat. Durch die Dopingsperren von Weißrussland und Rumänien darf er im Zweier-Canadier gemeinsam mit Jan Vandrey an den Start gehen. „Einen kleinen Edelbonus“, nennt Welke das, „das nimmt ein wenig Druck von ihm.“ Doch er kennt seinen Sebastian gut genug, um zu wissen: „Natürlich wäre er enttäuscht, wenn er nicht Gold im Einer holen würde.“

Sebastian Brendel hat alles dafür getan, um diese Enttäuschung zu vermeiden. Er hat hart trainiert, er ist perfekt vorbereitet, er hat an alle Kleinigkeiten gedacht. Er sagt: „Am Ende gewinnt der, der die wenigsten Fehler macht und am meisten Schmerzen aushalten kann.“ Er ist bereit. Das Finale kann beginnen.

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