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Singen als sportpsychologische Maßnahme. Weltmeister Max Rendschmidt (hinten, ganz links) mit seinen Teamkollegen beim Sommerfest des Deutschen Kanuverbands im Juli, im Vordergrund spielt Gitarrist Simon Goodlife.
© Imago

Olympia 2016 in Rio: Die singenden Kanuten

Unter Mentaltrainer Robby Lange nahm das deutsche Kanuteam eine Hymne auf – erst wurde das belächelt, jetzt motiviert es die Sportler.

Die Boote arbeiten sich in Keilform auf den Betrachter zu, eine Armada soll es sein. „Das ist eine Kampfformation“, sagt Robby Lange. „Die möchte ich in Rio mit unseren Booten auch noch einmal fahren. Es soll klar werden: Die deutsche Kanumannschaft greift keiner so schnell an.“

Robby Lange ist der Mann, der die Idee zur Armada hatte. Und nicht nur die. Der durchtrainierte Mann mit dem dunklen Outdoor-Teint und der blonden Abenteurer-Mähne ist so etwas wie der Navigator des deutschen Kanurennteams geworden.

Die Kampfformation taucht im Video zum Song „RIOlympia“ auf, das während des Kanu-Trainingslagers in München gedreht wurde. Ein klassischer Rocksong, gut drei Minuten lang, zwischendurch rufen die Kanuten hinein und singen den Hintergrundchor, so gut sie können. Ihre eigene Hymne soll die elf Deutschen in Rio de Janeiro ganz nach vorn tragen, wenn am Montag auf der Lagoa Rodrigo de Freitas die Kanuwettbewerbe beginnen.

Die Kanuten stellen sich bewusst in den Mittelpunkt

Es ist selten, dass die Rennkanuten sich so in den Mittelpunkt stellen. Sie sind es gewohnt, bei Olympia brav zur Medaille zu paddeln und dann wieder in der Versenkung zu verschwinden. Bei den Spielen in London holten sie sechs Medaillen, davon drei goldene, und retteten die deutsche Bilanz. Im Alltag leben sie ein trainingsreiches, asketisches Leben im Verborgenen. Sebastian Brendel, Franziska Weber, Ronald Rauhe, alles Olympiasieger und Weltmeister, die unerkannt auf der Straße herumlaufen können.

Robby Lange will das ändern. Er will den Medaillensammlern des deutschen Olympiateams eine Stimme geben: „Das ist der erfolgreichste Sommersportverband in Deutschland, und der bekommt so wenig Aufmerksamkeit.“ Der gebürtige Berliner kennt die Kanuwelt, seit er ein Kind ist. Sein Vater ist Wolfgang Lange, mehrfacher Olympiateilnehmer für die DDR, 1963 Weltmeister im Kajak-Vierer. Auch der Sohn probierte es, doch er scheiterte. „Ich habe viel Talent gehabt und es nicht genutzt.“ Er war Anfang 20, wurde früh Vater, dann kam die Wende und das ganze DDR-Sportsystem brach zusammen. „Da hab ich einfach hingeworfen.“

Mentaltrainer Lange stärkt das Team

In Rio wird Lange dennoch zur offiziellen Delegation des Deutschen Kanu-Verbands zählen: als Mentaltrainer. Inzwischen lebt er im Allgäu, dort hat er ein Gästehaus. Zunächst veranstaltete er Kanulehrgänge, heute bietet er vor allem Motivationsseminare an. „Da machen wir Outdoorsachen, Rafting, Klettern, Kanutouren und Team- und Führungskräfteentwicklung.“ Über seine alten Kanuverbindungen geriet er Anfang 2015 an Max Rendschmidt und Marcus Groß. Sie fahren im Kajak-Zweier, im Jahr zuvor zerbrachen sie am Druck und erreichten bei der WM zweimal nur Rang vier. „Max war so unglaublich nervös vor den Rennen, dass er sich immer übergeben musste“, sagt Lange. Er willigte ein, sie bei der WM 2015 in Mailand zu betreuen. Es half: Die beiden wurden Weltmeister über 1000 Meter.

Danach wollten auch die Teamkollegen Langes Dienste in Anspruch nehmen. Seine Dienste aber konnten sie sich nicht leisten, selbst die erfolgreichen Kanuten verdienen mit ihrem Sport kaum Geld. Also ersann Lange eine Idee, um der ganzen Flotte auf einmal zu helfen: einen gemeinsamen Song. „Kanuten sind zwar Einzelsportler, sie sind aber als Team noch viel stärker. Wenn sie als Macht auftreten, dann hat das eine Wirkung nach innen und außen.“

Lange rief seinen Freund Simon Wohlleb an, der als Simon Goodlife Popsongs mit seiner Band zum Besten gibt. „Der Song ist bewusst etwas rockiger“, erzählt Wohlleb. „Robby hat mir gesagt, das muss nach vorn gehen, das soll tanzbar sein.“ Doch als die Sportler erste Rohversionen des Lieds im Trainingslager hörten, waren sie recht reserviert. Auch in den Verbänden brach nicht sofort Begeisterung über Langes Idee aus. Im Kanuverband und im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) signalisierte man ihm: Das brauchen wir nicht. „Einer hat mich gefragt, was das mit Teamentwicklung und Motivation zu tun hat“, sagt Lange und schüttelt den Kopf. „Da wollte ich schon wieder einpacken.“ Doch er gab nicht auf. „Energiearbeit“ nennt er das, „man muss immer hineinbuttern.“

In Duisburg inszenieren sie mit einem Traktor ihre Eröffnungsfeier

Er schickte Wohlleb zum Weltcup nach Duisburg und ließ Mikrofone aufbauen. „Zu Beginn haben sie noch ganz zaghaft mitgesungen und waren sehr verhalten“, erzählt Wohlleb, „irgendwann hatten sie sehr viel Spaß dabei. Jetzt leben sie diesen Song und transportieren das auch nach außen.“ Etwa der sechsmalige Weltmeister Max Hoff. Er hielt die ganze Sache erst für eine „Schnapsidee“, im Video spielt er nun mit irrem Blick Luftgitarre. „Wir haben da viel Zeit reingesteckt, immer, wenn es das Training zuließ“, sagt Hoff. Auch Franziska Weber, die in Rio gleich auf drei Strecken Medaillen holen will, zieht Energie aus „unserem Kanuten-Lied“. „Wenn ich es einmal am Tag höre, geht es mir nicht mehr aus dem Kopf“, sagt die Potsdamerin.

Dies ist nicht der Platz, um über künstlerische Qualität zu diskutieren. Bei den Kanuten aber hat das Lied seine sportpsychologische Wirkung schon entfaltet. Sie sind offener, mutiger geworden. Weil sie nicht bei der Eröffnungsfeier im Maracana-Stadion dabei sein konnten, inszenierten sie im Trainingslager in Duisburg einfach ihre eigene Zeremonie – mit einem Traktor und einer deutschen Flagge. Eine Armada, auch an Land.

Eine Textzeile im Refrain lautet: „Komm, wir leben diesen Traum“. Robby Lange hat sich seinen Traum schon erfüllt. „Ich bin jetzt bei Olympia dabei, als Aktiver war mir das nie vergönnt.“ Er lächelt. „Das ist ein Meilenstein in meinem Leben. Und Vater freut sich unbändig.“

Christian Hönicke

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