Klage nach brutalem Foul: Schmerzensgeld bei Sportverletzungen bleibt ein schwieriges Thema
Ein Gericht in Schleswig-Holstein hat einem Amateurfußballer ein Schmerzensgeld zugesprochen. Die Hürden für solche Verfahren bleiben aber hoch.
Da ist zum Beispiel dieses hässliche Foulspiel, das sich im Stadion An der Alten Försterei ereignet hat: Zwei Spieler rasen auf den Ball zu. Der eine, Bochums Matias Concha, grätscht. Der andere, Unions Macchambes Younga-Mouhani, tritt dem heranrutschenden Spieler auf das Schienbein. Concha erleidet einen Schien- und Wadenbeinbruch und wird erst rund ein Jahr später wieder ins Mannschaftstraining einsteigen können.
Das vielfach beschriebene „Horror-Foul“ trug sich vor ziemlich genau zehn Jahren zu. Es war nur eines von vielen Beispielen dafür, dass man in der Welt des Sports vor Verletzungen nicht gefeit ist. Sie passieren jedes Jahr zigtausendfach im Profi- wie im Amateursport.
Das Besondere an besagtem Foulspiel von Younga-Mouhani war allerdings, dass er anschließend von Concha auf Schmerzensgeld verklagt wurde. Der verletzte Fußballer wollte 200.000 Euro von Younga-Mouhani. Die Klage wurde abgewiesen und entsprach der allgemeinen Rechtsauffassung im Sport, dass die Verletzung Teil des gemeinsamen Sporttreibens ist und selbst grobe Foulspiele im Sportkontext in der Regel keine strafrechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen.
Nun aber deutet sich ein Paradigmenwechsel an. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgerichts hat vor wenigen Tagen entschieden, dass ein Fußballer, der seinen Gegenspieler im Sinne der Regeln des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) vorsätzlich brutal foult, für die dadurch entstandenen Verletzungen haften muss.
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Der Kläger war bei einem Spiel in der Kreisklasse vor über drei Jahren schwer verletzt worden und verlangte Schmerzensgeld. Die Klage war zunächst vom Landesgericht abgewiesen worden, nun wurde der Berufung in vollen Umfang stattgegeben. „Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass der Beklagte ein ,brutales Spiel’ im Sinne der Regel 12 des DFB begangen hat. Er hat dieses grobe Foul begangen, ohne dass die Spielsituation einen Anlass dafür bot. Er hatte keine realistische Möglichkeit, den Ball zu erobern", begründete das Oberlandesgericht sein Urteil.
Matias Concha hätte dem Gerichtsspruch zufolge heute deutlich bessere Chancen auf Schadenersatz. Ob er ihn wirklich bekommen hätte, ist aber keinesfalls sicher.
Fußball ist ein komplexes und kompliziertes Spiel, und genauso verhält es sich mit der Bewertung eines Foulspiels: War es nun besonders hart oder noch im erträglichen Rahmen, nahm der „Täter“ eine Verletzung seines Gegenspielers mutwillig in Kauf, oder schlimmer noch: Wollte er ihn sogar verletzen? „Das Problem daran ist die Beweisfrage“, sagt Dennis Dietel. „Es dürfte häufig schwierig sein, dem vermeintlichen Täte zu unterstellen, dass er keine Chance auf eine Ballberührung hatte.“ Dietel ist ehrenamtlich beim Berliner Fußball-Verband (BFV) als Vorsitzender des Sportgerichts tätig. „Dass aber Spieler bei Verletzungen durch grobe Fouls klagen, ist eine große Ausnahme“, erzählt er. Der 45-Jährige kennt die Fälle von erfolgreichen Klagen im Fußball, wenn abseits des Spielfeldes ein Spieler von einem anderen Spieler geschlagen worden ist. „In diesem Fall kommt der sogenannte Haftungsausschluss an seine Grenzen“, erklärt der Anwalt für Sportrecht. Das heißt, abseits des Sportgeschehens respektive des Sportkontextes sind Spieler für ihre Taten durchaus haftbar. Schon immer.
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Das jüngste Urteil des Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgerichts weitet die Haftbarkeit deutlich aus. „Wenn zum Beispiel ein Fußballer alleine aufs Tor zuläuft und der Gegenspieler ihn von hinten foult, ohne die Chance zu haben, den Ball zu treffen, kann er für den Fall einer schweren Verletzung dafür verklagt werden“, erklärt Dietel. In diesem konkreten Beispiel handelt es sich um eine Aktion, die viele Male, an jedem Spieltag in jeder Liga, vorkommt. Muss nun ein Spieler nach jeder Notbremse befürchten, von seinem Gegenspieler verklagt zu werden?
Grundsätzlich gibt es mehr denn je die juristischen Möglichkeiten dafür. Dass sie allerdings oft genutzt werden, scheint mehr als fraglich. Die Erfolgsaussichten vor Gericht dürften trotz des Urteils aus Schleswig-Holstein begrenzt sein – es sei denn, es handelt sich um ein brutales Foul, das mit dem Spiel an sich wenig zu tun hatte. Doch auch auf die Rechtsprechung wird dann die Frage zukommen: Ab wann ist ein Foulspiel brutal und ab wann nicht mehr?
Martin Einsiedler