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Alle WM-Stadien sind mit je 14 Torkameras ausgerüstet.
© dpa

WM 2014 - die Neuerungen: Schiedsrichter als Technik-Freaks

Die WM 2014 in Brasilien ist das erste große Fußball-Turnier, bei dem die Schiedsrichter von allerlei technischen Hilfsmitteln unterstützt werden. Eine der Neuerungen wird belächelt.

Frank Lampard ist jedenfalls zufrieden, auch wenn sein Groll immer noch nicht verflogen ist. Vor vier Jahren erzielte der englische Mittelfeldspieler im WM-Achtelfinale gegen Deutschland ein reguläres Tor, das allerdings nicht anerkannt wurde. Lampards Schuss war erst gegen die Unterkante der Latte geklatscht und von dort deutlich hinter der Torlinie auf den den Rasen geprallt. Ähnliche Fehlentscheidungen soll es in Brasilien nicht mehr geben, je 14 Torkameras des deutschen Unternehmens Goalcontrol überwachen alle WM-Stadien. „Wenn es etwas Positives aus den Geschehnissen in Südafrika gibt, dann die Einführung der Technologie“, sagt Lampard.

Die Weltmeisterschaft wird das erste große Turnier in der Geschichte des Fußballs sein, bei dem die Schiedsrichter von technischen Hilfsmitteln jenseits der Trillerpfeife unterstützt werden. „Es wird keine Probleme geben. Wir sind sicher“, sagte Goalcontrol-Geschäftsführer Dirk Broichhausen. Vor dem Turnierstart wurde das System allein in Brasilien 2400 Mal getestet – und lag dabei kein einziges Mal falsch.

Je sieben unter dem Stadiondach angebrachte Hochgeschwindigkeits-Kameras sind auf ein Tor gerichtet. Die Kameras können rund 500 Bilder pro Sekunde erzeugen, normale Fernsehkameras arbeiten mit 30 Frames pro Sekunde, das menschliche Auge kann rund 24 Bilder pro Sekunde wahrnehmen. Anhand der Bilder der Kameras kann ein Hochleistungsrechner mit einer Abweichung von wenigen Millimetern jederzeit die Position des Balls bestimmen. Hat der Ball die Torlinie komplett überschritten, sendet der Rechner ein verschlüsseltes Signal an eine spezielle Empfänger-Armbanduhr des Schiedsrichters, der dann per Trillerpfeife und Handzeichen ganz herkömmlich auf Tor entscheidet. Die Verantwortlichen der Fifa sind überzeugt davon, dass sie dem System vertrauen können, genau wie Deutschlands einziger bei der WM eingesetzter Schiedsrichter Felix Brych. „Jedes Hilfsmittel nehmen wir gerne an“, sagt Brych.

Das neue Freistoß-Spray kommt nicht gut an

Weniger einhellig ist die Begeisterung, wenn es um die zweite große Neuerung bei dieser Weltmeisterschaft geht, das so genannte Freistoßspray. Die Schiedsrichter können mittels einer Spraydose den genauen Abstand der Mauer von 9,15 Meter zum Ball markieren und so verhindern, dass sich die Verteidiger heimlich in seinem Rücken wieder nach vorn bewegen. Die Markierung auf dem Rasen, die aussieht wie handelsüblicher Rasierschaum, verschwindet nach kurzer Zeit wieder. Der deutsche Schiedsrichter-Chef Herbert Fandel ist kein großer Fan der Sprüherei. „Ehrlich gesagt kann ich mich bislang damit nicht so recht anfreunden“, sagte Fandel. „Und eine wirkliche Notwendigkeit dafür sehe ich auch nicht.“

Gucken und sprühen. Alle WM-Schiedsrichter haben je ein Freistoßspray auf dem Platz dabei.
Gucken und sprühen. Alle WM-Schiedsrichter haben je ein Freistoßspray auf dem Platz dabei.
© picture alliance / dpa

Bei der Klub-WM in Marokko sorgte das Spray auch für Unmut, weil es die Ausführung von Freistößen eher verzögerte. Franz Beckenbauer, nicht gerade als Vorreiter der Fußball-Moderne bekannt, bezeichnete das Spray abfällig als „dieses Dingsda“, das wohl eher der „Ausführungsverhinderung“ diene. Ein Vorteil des Sprays ist aber nicht von der Hand zu weisen: Wenn der Schiedsrichter die Markierung einmal angebracht hat, kann er sich ganz dem Gerangel in der Mauer und anderen kniffligen Fragen widmen. Der englische WM-Schiedsrichter Howard Webb nennt es darum auch ein „wichtiges Werkzeug, um die Einhaltung der Regeln zu gewährleisten“. Webb gibt aber auch zu, sich erst daran gewöhnen zu müssen, die kleine Spraydose auf dem Spielfeld am Gürtel mit sich herumzutragen.

Schiedsrichter kämpfen mit Tücken der Technik

Auch sonst ist die Anwendung des neuen Schiedsrichter-Werkzeugs nicht ohne Tücken. Am vergangenen Wochenende sorgte Schiedsrichter Jeffrey Solis beim Testspiel zwischen Portugal und Mexiko in Boston für Gelächter. Die beiden Mexikaner José Vazquez und Andrés Guardado staunten nicht schlecht, als der Referee aus Costa Rica seine Freistoßlinie leichterhand über ihre Fußspitzen zog. Und aus der amerikanischen Profiliga MLS ist ein Fall bekannt, in dem das Spray völlig versagte. Bei einem Spiel im Dezember in Kansas City zückte der Schiedsrichter seine Spraydose, setzte an – aber nichts kam heraus. Bei Temperaturen von minus 8 Grad war das Spray eingefroren.

Zugegeben, dieses Problem wird in Brasilien kaum auftreten. Die Fifa wird es sicher verkraften können, falls das Markierungsspray in der einen oder anderen Situation versagen sollte. Bei der Torlinientechnologie ist das anders: Sie muss hundertprozentig fehlerfrei funktionieren. Und das nicht nur wegen der Installations- und Materialkosten von rund 250 000 Euro pro Stadion. Zu oft hat es in der Vergangenheit – angefangen beim Wembley-Tor von Geoff Hurst – große Empörung über Tor-Fehlentscheidungen gegeben. Fifa-Präsident Joseph Blatter hatte seine ablehnende Haltung zur Torlinientechnik nach Lampards nicht gegeben Treffer bei der WM 2010 geändert. „Ich war absolut sprachlos. Ich konnte gar nicht reagieren. Ich war geschockt, dass das Tor nicht gegeben wurde“, erzählte Blatter. „Ich habe mir gesagt: Du kannst nicht zulassen, dass so etwas bei der nächsten Weltmeisterschaft wieder passiert.“

Vor jeder WM-Partie wird die Goalcontrol-Technik noch einmal überprüft. Hat der Schiedsrichter irgendeinen Zweifel an der korrekten Funktionsweise, kann er das System ausschalten lassen. Eine solche Entscheidung würde allerdings erneut große Diskussionen nach sich ziehen.

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