Hertha BSC: Salomon Kalou - aus Erfahrung gut
Salomon Kalou könnte für Hertha in dieser Saison wichtiger denn je werden. Das war so nicht unbedingt vorherzusehen.
Genki Haraguchi hatte keine Chance, den Angriff zu antizipieren, weil sich der Übeltäter in seinem Rücken heranschlich. Im Trainingslager in Schladming drehte der Japaner in Diensten von Hertha BSC wie alle anderen fleißig seine Runden, als er plötzlich einen, nun ja, freundschaftlichen Schubser bekam. Dummerweise wäre Haraguchi beinahe über die Kamera gestolpert, die an der Seitenlinie stand. Nur dank eines eleganten Sprungs konnte er eine Kollision verhindern. Zunächst schaute der Japaner ein wenig irritiert, als er die Reaktion seiner Teamkollegen sah, musste er allerdings auch lachen. Alles nur Spaß, halb so wild.
Salomon Kalou, der Übeltäter, grinst noch breiter als ohnehin schon, wenn er auf diese Anekdote angesprochen wird. „Es ist so heiß hier, wir trainieren jeden Tag so hart – deshalb ist gute Stimmung extrem wichtig“, sagt der Ivorer: „Das macht es für alle wesentlich einfacher.“ Kalou ist eine Frohnatur und gilt im Tross der Berliner als der allseits beliebte Gute-Laune-Onkel. Mit Blick auf den Pflichtspielstart am 14. August im DFB-Pokal gegen Hansa Rostock und all die weiteren Begegnungen, die in der ersten Europapokalsaison des Vereins seit acht Jahren folgen, könnte sich der 31-Jährige mit seiner großen internationalen Erfahrung aber auch jenseits alltäglicher Späße als besonders wertvoll erweisen.
Trainer Pal Dardai darf es zweifellos als sein Verdienst betrachten, dass sie bei Hertha BSC seit einiger Zeit gesteigerten Wert auf die Verpflichtung junger, entwicklungsfähiger Spieler legen. In den letzten Jahren hat der Verein eine ganze Reihe von Spielern nach Berlin geholt, die genau dieses Anforderungsprofil erfüllen: Mitchell Weiser etwa oder Niklas Stark. Dieser Trend setzt sich auch bei den Zugängen respektive potenziellen Zugängen Davie Selke und Valentino Lazaro fort.
Zudem hat Dardai auch im Sommer 2017 wieder vier Nachwuchskräfte mit ins Trainingslager genommen, denen er in absehbarer Zeit den Sprung zum gesetzten Bundesliga-Spieler zutraut, namentlich Florian Baak, Julius Kade, Arne Maier und seinen Sohn Pal Dardai junior. Der angeschlagene Jordan Torunarigha wäre sogar Nummer fünf gewesen.
Und doch wird die Verantwortung im Berliner Offensivspiel nach Selkes Verletzung (Knochenmarködem) und Lazaros ungewisser Verletzungsgeschichte (Knöchelprobleme) zunächst wieder auf die älteren Herren im Kader zurückfallen: auf Vedad Ibisevic und Salomon Kalou, die auch am Mittwochabend beim 4:0-Testsieg gegen Neftchi Baku (Tore: Darida, Langkamp, Ibisevic und Esswein) in der Startelf standen. Sportlich sind die routinierten Stürmer ohnehin über jeden Verdacht erhaben, in der Spielzeit 2016/17 erzielten sie im Verbund 19 der insgesamt 43 Hertha-Tore. Nun sollen sie sich auch vermehrt als Mentor für die jüngeren Semester im Kader einbringen.
Ende letzter Saison verlängerte Kalou seinen Vertrag bis 2020
„Die jungen Spieler fragen mich oft, wie es ist, international zu spielen“, erzählt Kalou, „ich sage ihnen dann immer: Ich habe auch nicht direkt in der Champions League angefangen.“ Soll heißen: Bloß nicht mit zu großen Erwartungen an die Sache herangehen. Oder wie Kalou es formuliert: „Step by step. Man lernt von Spiel zu Spiel, weil in jedem Land anderer Fußball gespielt wird.“
Der Nationalspieler der Elfenbeinküste kann sich noch gut an die Zeit erinnern, als er ein vielversprechender, aufstrebender Fußballer war und mit Mitte 20 zum großen FC Chelsea wechselte, mit dem er später die Champions League gewann – der größte Erfolg seiner Karriere. „Ich hatte das Glück, mit vielen herausragenden Typen zusammenspielen zu dürfen“, sagt Kalou. Zuallererst fallen ihm da Kapitän John Terry und sein Landsmann Didier Drogba ein, die ihn in London mit großen Erwartungen, aber eben auch ausgesprochen freundlich empfingen. „Sie haben mich immer unterstützt und ermutigt. Wenn man als junger Spieler neu in ein Team kommt und nach zwei, drei Ballverlusten angebrüllt wird, ist das schlecht fürs Selbstvertrauen“, sagt Kalou. „Deshalb versuche ich, im Umgang mit unseren Jungs auch immer positiv zu sein. Ich spiele nicht den Boss oder sage ihnen, was sie zu tun und was sie zu lassen haben.“
Dass Kalou eines Tages die Rolle des Elder Statesmen bei Hertha BSC zukommen würde, ist aus heutiger Sicht schon einigermaßen erstaunlich. Als die Berliner den Angreifer im Sommer vor drei Jahren vom französischen Erstligisten OSC Lille verpflichteten, kurz vor der ersten Dienstreise nach Schladming, gab es viele Beobachter, die den Transfer für aktionistisch hielten, für eine Notlösung, weil der Transfermarkt schon so gut wie abgegrast war. Über allem schwebte die Frage, ob es sich bei ihm wirklich noch um einen Ausnahmefußballer handelt oder um einen, mit Verlaub, alternden Star.
Mittlerweile hat Kalou seinen Wert für Hertha längst nachgewiesen, andernfalls hätte der Verein seinen am Saisonende auslaufenden Vertrag kaum um weitere drei Jahre bis 2020 verlängert. „Ich fühle mich so gut wie nie zuvor“, sagt der 31-Jährige heute, „aber ich tue auch einiges dafür.“ Unter anderem hat Kalou seine Ernährung umgestellt. Nach eigener Aussage isst er nicht mehr nur das, was ihm schmeckt, „weil man mit über 30 schneller an Gewicht zunimmt“. Zudem geht er deutlich früher ins Bett. „Ich weiß, wann ich Gas geben muss und wann mein Körper eine Pause braucht.“
Womöglich wird sich Salomon Kalou auch in der neuen Saison auf Umstellungen gefasst machen müssen. Coach Dardai hat bereits angekündigt, dass er eine taktische Formation mit zwei echten Stürmern in Erwägung zieht. Kalou müsste dann von seiner Position auf dem Flügel zurück ins Zentrum wechseln. Ob ihm das Sorgen bereitet? „Überhaupt nicht“, sagt er, „ich habe in meiner Karriere fast überall gespielt, außer vielleicht im Tor. Ich finde meinen Platz.“ Zumal Dardai angesichts der Dreifach-Belastung aus Pokal, Europapokal und Bundesliga jeden Spieler brauchen wird. Selbst wenn er den Kollegen hin und wieder einen Streich spielt.
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