zum Hauptinhalt
Verbotenes Antriebsmittel. Julia Stepanowa (früher Rusanowa) lief mit Doping in die Weltspitze. Jetzt enthüllte sie mit ihrem Mann Dopingpraktiken in ihrem Land. Aus Angst vor Repressionen hat die Familie Russland inzwischen verlassen.
© dpa

Sportsystem unter Korruptionsverdacht: Russland: Wo Doping Chefsache ist

Eine ARD-Dokumentation über Doping und Betrug in Russland erschüttert den Weltsport. Das Sportsystem des größten Landes der Erde steht unter Betrugs- und Korruptionsverdacht.

Einige der größten Verbände des Weltsports haben nun eine ganze Menge zu tun bekommen. Vor allem ihre Ethik-Kommissionen. Denn das Sportsystem des größten Landes der Erde steht unter Betrugs- und Korruptionsverdacht. Die ARD-Doku „Geheimsache Doping - Wie Russland seine Sieger macht“ von Hajo Seppelt, ausgestrahlt am Mittwochabend, legt ein systematisches Doping in mehreren Sportarten nahe. Sie liefert zudem Indizien dafür, dass in den Betrug Organisationen eingebunden sind, die eigentlich das Doping bekämpfen müssten: Verbände, die russische Anti-Doping-Agentur und das russische Doping-Kontrolllabor.

Mit journalistischen Methoden hat Seppelt aufgedeckt, was Anti-Doping-Agenturen, Verbänden und Behörden bisher nicht gelungen ist. Das Internationale Olympische Komitee (IOC), das sich in diesen Tagen in Monte Carlo mit Reformen der olympischen Bewegung beschäftigen will, hat jetzt eine zusätzliche Aufgabe. „Sollte es etwas geben, das das Komitee und unseren Ethik-Kodex beeinflusst, werden wir nicht zögern, alle nötigen Maßnahmen durchzuführen“, sagte IOC-Sprecher Mark Adams.

Olympiasiegerin Sawinowa erklärt in einem heimlichen Handymitschnitt ihren Gebrauch von Doping

Auch der Internationale Leichtathletik-Verband (IAAF) ist aufgeschreckt. „Eine Untersuchung der Ethik-Kommission läuft schon“, teilte der Verband mit. Er ist besonders betroffen. Denn der Präsident des russischen Leichtathletik-Verbandes, Valentin Balachnitschew, ist zugleich Mitglied des IAAF-Councils und Mitglied der Finanzkommission. In der ARD-Dokumentation wird er beschuldigt, am erkauften Startrecht einer Marathonläuferin beteiligt gewesen zu sein. Er weist die Vorwürfe zurück.

Die meisten Indizien liefert der Film ohnehin aus der Leichtathletik. So erklärt die 800-Meter-Olympiasiegerin Maria Sawinowa in einem heimlichen Handymitschnitt ihren Gebrauch von Doping. Auch der russische Cheftrainer Alexej Melnikow wird als Bestandteil eines Betrugssystems belastet. Die Recherchen beruhen auf Aussagen der Leichtathletin Julia Stepanowa und ihres Manns Witali Stepanow, der früher für die russische Anti-Doping-Agentur arbeitete. Die Trainer „fütterten“ Mädchen mit Tabletten und sagten: „Alle nehmen das.“ Und wenn jemand erwischt würde, „schmeißen sie den Sportler weg und nehmen einen neuen“, berichtet Stepanowa, die unter ihrem Mädchennamen Rusanowa eine Weltklasseläuferin über 800 Meter war und wegen Dopings gesperrt wurde. Seppelt nennt das Ehepaar „die wohl bedeutendsten Whistleblower in der Geschichte der Dopingbekämpfung“.

Generalverdächtigungen gegen die russische Leichtathletik gibt es schon seit vielen Jahren. 2006 bei den Europameisterschaften in Göteborg, bei der russische Athleten zwölf Goldmedaillen abgeräumt hatten, wunderte sich der damalige Sportdirektor des Deutschen Leichtathletik-Verbandes Frank Hensel über die besonders tiefen Stimmen der russischen Athletinnen. Balachnitschew konterte das damals mit der Bemerkung: „Vielleicht ist er Sänger an der Philharmonie und kann das besonders gut beurteilen.“

Trainer beschäftigten sich mehr mit Dopingmitteln als mit Trainingsmethodik

Dass Sport in Russland als Mittel zum sozialen Aufstieg geeignet ist, eher noch als in Westeuropa beispielsweise, ist bekannt. Eine Athletin sprach auch davon, dass sich manche Trainer mehr mit Dopingmitteln als mit Trainingsmethodik beschäftigten. Dabei könnten sie bei der Fülle an Talenten auch sauber erfolgreich arbeiten.

Schon mehrfach fiel die unterdurchschnittliche Quote an positiven Proben im russischen Doping-Kontrolllabor auf. Auch die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) erwähnte Unregelmäßigkeiten im Moskauer Labor. Für Clemens Prokop, den Präsidenten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, wäre dieser Fall daher „nicht nur ein Problem der Leichtathletik, sondern mehrerer Sportarten in Russland“. Das Grundproblem in der öffentlichen Wahrnehmung sei: „Wie weit kann man Sportorganisationen trauen und wie weit kann man Staaten trauen?“ Eine Lösung des Problems liegt für Prokop nahe: „Man könnte die Kontrollen zentral durchführen und in die Hände der Wada legen.“

Zur Startseite