Sport: Gegen alle Zweifel
Wie die Russen den Gerüchten nach ihren Erfolgen begegnen
Wenn die Konkurrenten alle Recht hätten mit ihren Verdächtigungen, dann müsste Valentin Balachnitschew eine Art Gangsterboss des Sports sein. Seit dem Übergang von der Sowjetunion zum heutigen Russland ist Balachnitschew Präsident des nationalen Leichtathletikverbandes, und die russischen Athleten haben bei den Europameisterschaften in Göteborg wieder einmal großes Aufsehen erregt. Zwölf Goldmedaillen haben sie gewonnen und dadurch auch mit großem Abstand die Nationenwertung. Systematisches Doping vermuten einige geschlagene Konkurrenten, der Verband decke die betrügenden Athleten, wenn er die Manipulationen nicht sogar selbst anordne.
Beinahe hätte man Balachnitschew übersehen, er sieht unscheinbar aus mit seiner hageren Statur. Er trägt einen Schnurrbart und einen blauen Anzug. „Doping ist nicht nur ein russisches Problem. Es ist zum Beispiel genauso ein Problem in Deutschland“, sagt der 57-Jährige. Doch gerade aus Deutschland kommt viel Misstrauen gegenüber dem russischen Erfolg. Der Sportdirektor des Leichtathletik-Verbandes, Frank Hensel, wollte in Göteborg bei seinem Rundgang über den Aufwärmplatz bei den russischen Athletinnen besonders tiefe Stimmen gehört haben. „Vielleicht ist er Sänger an der Philharmonie und kann das besonders gut beurteilen“, sagt Balachnitschew.
In der Dopingdiskussion gibt es viele Glaubensfragen, aber auch einige nachprüfbare Elemente. „Wir haben jedes Jahr 7000 Trainingskontrollen für alle russischen Sportler. Und ich war gerade vor einigen Tagen bei Sportminister Fetisow, der zusagte, die Kontrollen auf 15 000 zu erhöhen“, sagt Balachnitschew. In Deutschland gibt es jährlich 4500 Trainingskontrollen, 1000 davon in der Leichtathletik. In der Regel lässt ein Land seine Dopingproben im nationalen Doping-Kontrolllabor untersuchen. Russland hat ein Labor, das beim Internationalen Olympischen Komitee akkreditiert ist, in Moskau. Dort wurden im vergangenen Jahr 4800 Proben untersucht, und dass die verbleibenden 2200 in ausländischen Labors ausgewertet wurden, hält etwa der Geschäftsführer der deutschen Anti-Doping-Agentur Roland Augustin für „eher unwahrscheinlich“. Es fällt noch etwas anderes auf beim Moskauer Labor: Die Quote der positiven Proben liegt bei 1,15 Prozent. Weniger positive Proben haben nur die Labors in Peking und Rio de Janeiro gefunden. Der Durchschnitt aller Labors weltweit liegt bei 2,13 Prozent.
Das kann zumindest nicht den Vorwurf entkräften, der auch in Göteborg oft zu hören war: Russen würden so selten im eigenen Land positiv getestet, weil alle unter einer Decke steckten, Athleten, Kontrolleure, Funktionäre. Die Verdächtigungen gegen russische Athleten, vor allem Athletinnen, denn sie gewannen bei der EM elf der zwölf Goldmedaillen, scheinen Balachnitschew nachdenklich zu machen: „Wir müssen unser System transparent machen, damit jeder nachvollziehen kann, wie wir testen.“ Auch die Forderung, das Dopingkontrollsystem zu internationalisieren, damit nicht mehr Russen Russen kontrollieren und Deutsche Deutsche, macht sich auch Balachnitschew zu eigen. „Wir brauchen mehr internationale Kontrollen, und wir müssen die Welt-Anti-Doping-Agentur stärken“, sagt Balachnitschew, der seit 1995 Vizepräsident des Europäischen Leichtathletik-Verbandes ist. Das Problem, dass der Dopingkontrolleur erst auf ein Visum warten muss und den Athleten daher nicht mit einer Probennahme überraschen kann, sieht er nicht als russisches: „Wenn ich als Russe nach Deutschland reisen möchte, brauche ich doch auch ein Visum.“ Gibt es wirklich keine nationalen Unterschiede beim Doping? Immerhin hat die Sowjetunion ein Dopingsystem unterhalten, von dem Balachnitschew sagt, es sei nicht viel anders gewesen als in der DDR. Was ist aus den Verantwortlichen geworden? „Die meisten von ihnen sind tot.“
Der Anreiz ist hoch, mit sportlichen Erfolgen den sozialen Aufstieg zu schaffen. „Ich muss doch als Russe bloß einmal Weltmeister werden, dann bekomme ich 60 000 Dollar Prämie vom Internationalen Verband und bin erst einmal abgesichert“, hat in Göteborg Dieter Kollark gesagt, der Trainer der Diskusweltmeisterin Franka Dietzsch. Balachnitschew bestätigt: „Gerade in entlegenen Regionen Russlands können Athleten mehr verdienen als ihre Eltern.“ Das liege aber nicht nur an Prämien. Die Absicherung durch Zentralstaat und lokale Regierung sei hervorragend. Das sei aber nur ein Grund für den russischen Erfolg. „Wir haben in Russland mehr als 1000 Sportschulen, an denen 300 000 Schüler drei- bis viermal in der Woche trainieren“, sagt Balachnitschew. 10 000 Trainer kümmerten sich um sie.
Balachnitschews Rhetorik entspricht auf jeden Fall schon internationalem Niveau, wenn es darum geht, die Notwendigkeit der Dopingbekämpfung zu begründen. „Das Dopingproblem ist inzwischen ein Drogenproblem. Viele junge Menschen nutzen verbotene Mittel für ihren Körper. Das Dopingproblem ist in unserem täglichen Leben angekommen.“ Der Kampf gegen Doping sei eine Überlebensfrage. Er befürwortet daher eine Dopingsperre von vier Jahren beim Erstvergehen statt bisher zwei. Zudem bereite Russland ebenfalls ein Gesetz vor, um Doping zu kriminalisieren.
Bevor Balachnitschew den russischen Leichtathletikverband mitbegründete, war er zehn Jahre lang Trainer und davor selbst ein Athlet. 110 Meter Hürden waren seine Disziplin. Ein großer Läufer seiner Zeit sei der Amerikaner Rodney Milburn gewesen, der bei den Olympischen Spielen 1972 mit Weltrekordzeit von 13,24 Sekunden Gold gewann. Balachnitschews Bestzeit lag bei 14,07 Sekunden. „Vielleicht weil ich kein Doping genommen habe“, sagt er und lacht.
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