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Ehre, wem Ehre gebührt. Hertha und Ronny müssen sich bei höheren Mächten bedanken, dass sie in Freiburg einen Punkt holten.
© dpa

Hertha BSC und das 2:2 beim SC Freiburg: Ronnys linker Fuß, sonst nichts

Hertha BSC offenbart in Freiburg große Defizite und verhindert allein dank Ronny die nächste Niederlage. Und doch könnte dieser Punktgewinn für die Mannschaft von besonderem Wert sein.

Thomas Kraft legte letzte Hand an. Er stellte John Heitinga eigenhändig auf seinen Posten, schob Valentin Stocker an seine Seite und einen dritten Mann daneben. Es ist nichts Ungewöhnliches, dass der Torhüter von Hertha BSC beim Freistoß eine Mauer postiert; ungewöhnlich war am Freitag in Freiburg nur, dass Kraft dies im Strafraum des Sportclubs tat, hundert Meter von seinem eigenen Tor entfernt. Kraft stellte eine Mauer vor die Mauer der Freiburger, die in der Nachspielzeit einen finalen Freistoß des Brasilianers Ronny erwarteten. Endlich eine ordnende Hand in Herthas Spiel! Genau die hatte den Berlinern über weite Strecken gefehlt. So verhinderten allein zwei Freistoßtore Ronnys Herthas dritte Niederlage im vierten Saisonspiel.

Das Tor zum 2:2-Endstand fiel dabei wider jede Logik. „Es war eigentlich kein Szenario mehr, das eintreten konnte“, sagte Herthas Trainer Jos Luhukay. Kurz zuvor, bereits in der Nachspielzeit, hatte Nico Schulz die Rote Karte gesehen. Hertha hatte schon in kompletter Besetzung so gut wie null Gefahr ausgestrahlt – wie sollte die Mannschaft da in Unterzahl noch zum Ausgleich kommen? Als Freiburgs Torhüter Roman Bürki dann auch noch den vermeintlich letzten Versuch von Ronny mit Bravour zur Ecke abwehrte, schien die letzte Chance vertan. Doch statt auf Ecke entschied Schiedsrichter Florian Meyer auf Freistoß, weil der Brasilianer beim Schuss gefoult worden war. Ronny bekam einen allerletzten Versuch – und nutzte ihn.

"Für uns ist das ein gefühlter Sieg"

„Man glaubt das eher nicht“, sagte Luhukay. „Man muss das erstmal verarbeiten.“ Um sich herum erlebte Herthas Trainer die komplette Entladung an Emotionen. Die gesamte Bank stürzte Ronny entgegen, nur Luhukay blieb auf seinem Platz sitzen. Der Holländer ist ein Anhänger des gepflegten Fußballs. Wie er dasaß, mit verkniffenem Gesicht, sah es fast so aus, als sei ihm der Ausgleich regelrecht peinlich. Das ist natürlich Blödsinn. „Für uns ist das ein gefühlter Sieg“, sagte er. „Wir haben sehr viel Glück gehabt.“

Vor allem hatten sie ein Mittel, von dem viele dachten, es würde keine allzu große Rolle mehr spielen: Ronnys linker Fuß. „Er war in den entscheidenden Momenten der Glücksbringer“, sagte Luhukay. In der ersten Hälfte zirkelte der Brasilianer einen Freistoß kunstvoll zum 1:1 ins Eck, beim 2:2 traf er mit Wucht. Luhukay sprach von einer unumstrittenen Qualität. Das Bedenkliche ist, dass Hertha an diesem Abend nichts sonst zu bieten hatte als Ronnys zeitlosen linken Fuß. „Irgendwie fehlt uns im Moment was“, sagte Torhüter Kraft. „Wir haben Qualität in der Mannschaft, schaffen es aber nicht, sie auf dem Platz zu zeigen.“

Kein durchdachtes Offensivspiel

Trainer Luhukay hat den Fokus bisher auf die Defensivschwächen seines Teams gelegt, was bei elf Gegentoren in vier Spielen auf der Hand liegt. Offensiv aber sieht es nicht viel besser aus. Wie schon in der Woche zuvor gegen Mainz brachten die Berliner kein durchdachtes Offensivspiel zustande. Es fehlte an Stringenz und Fluss. Hertha BSC schloss keinen einzigen Angriff mit einem Torschuss ab; Gefahr resultierte allein aus Ronnys Fernschüssen. Vor allem aus dem Mittelfeld entsteht bei Hertha derzeit nichts. In der ersten Hälfte habe sein Team das Spiel wenigstens noch einigermaßen unter Kontrolle gehabt, sagte Luhukay, in der zweiten ging auch die dann komplett verloren.

Daran änderte auch Ronny nichts. Auf lachhafte 40 Ballkontakte kam er, nur die Hälfte seiner Pässe fanden den eigenen Mitspieler. So lässt sich Dominanz schwer herstellen. Zumal die Werte der anderen Mittelfeldspieler ähnlich aussahen. Es hat viele gewundert, als Peter Niemeyer zu Saisonbeginn plötzlich wieder in der Startelf auftauchte; wer hingegen Jens Hegeler in Freiburg in stets gleichbleibendem Tempo und irgendwie orientierungslos über den Platz hat traben sehen – den wundert gar nichts mehr. Hegeler gewann gerade 36 Prozent seiner Zweikämpfe, sprintete in 90 Minuten ganze sechs Mal (so wenig wie kein anderer) und hatte mit 27,4 Stundenkilometern auch die niedrigste Höchstgeschwindigkeit.

„Man sieht, dass die Mannschaft im Moment nicht vor Vertrauen überläuft“, sagt Luhukay. Auch deshalb war der späte Ausgleich möglicherweise von besonderem Wert. Eine Niederlage, so Herthas Trainer, hätte weitere Kritik von außen ausgelöst (die auch so durchaus gerechtfertigt ist) und das ohnehin zarte Selbstvertrauen zusätzlich geschädigt. Vielleicht ist es jetzt umgekehrt, vielleicht führt der glückliche Ausgang des Spiels dazu, „dass die Mannschaft ein Stück mehr an sich glaubt“, hofft Jos Luhukay. Der Glaube allein wird nach den Eindrücken von Freitag allerdings nicht reichen.

Stefan Hermanns

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