Kommentar zu Doping-Enthüllungen: Flucht nach vorn
"Ihr zerstört unseren Sport": Diskus-Olympiasieger Robert Harting greift die IAAF an - und zeigt: Der Leichtathletik-Weltverband hat auch bei den eigenen Sportlern kein Vertrauen mehr - er hat es selbst verschuldet. Ein Kommentar.
Sind das erste Auflösungserscheinungen? Knapp zwei Wochen vor den Weltmeisterschaften in Peking attackieren prominente Leichtathleten den eigenen Weltverband. In einem selbst gedrehten Video werfen Diskus-Olympiasieger Robert Harting und andere deutsche Sportler der IAAF vor: „Ihr zerstört unseren Sport.“
Das dürfte sich auf die Vorwürfe beziehen, der Weltverband habe in großem Ausmaß verdächtige Blutkontrollen vertuscht. Auch wenn die Athleten das verpönte Wort Doping lieber nicht in den Mund nehmen: Die Aktion ist ein klares Misstrauensvotum in Richtung IAAF.
Es ist ein alarmierendes Zeichen für den Zustand des Sports, dass sich die Athleten selbst zu Aufklärern aufschwingen müssen. Das Krisenmanagement der IAAF- Größen zuvor kann man nur katastrophal nennen. Der scheidende Präsident Lamine Diack und seine potenziellen Nachfolger Sergej Bubka und Sebastian Coe reagierten auf die Vorwürfe mit Gegenattacken und Verschwörungstheorien. Diese Strategie wenden sie auch bei den aufgebrachten Sportlern an, wenn auch deutlich moderater im Ton.
Doch die Wagenburgmentalität verfängt nicht mal mehr im eigenen Lager. Die hellen Köpfe wie Harting lassen sich nicht mit Parteitagsrhetorik besänftigen. Sie wissen, dass die Vorwürfe und Zweifel sich auch gegen sie selbst richten. Mit ihrem Angriff auf die IAAF wollen sie sich glaubwürdig vom Generalverdacht abgrenzen, der die ganze Leichtathletik zu erfassen droht. Die Zweifel von innen sind in der Tat ein erster Beleg für Zerfallserscheinungen. Wenn die Sportler selbst das Vertrauen verlieren, ist der Sport am Ende. (dpa)