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Deutsche Paralympics-Teilnehmer fotografieren den eingenebelten Cristo Redentor.
© dpa

Paralympics: Rio und sein Handicap

In Brasilien mangelt es an Verständnis für Menschen mit Behinderung. An Geld sowieso. Dennoch zieht der Kartenverkauf gerade noch einmal an.

Es ist eine Art Déjà-vu. Vor wenigen Tagen trafen die paralympischen Teams aus Irland und Großbritannien in Rio de Janeiro ein. Am Mittwoch werden hier die Paralympischen Spiele beginnen. Aber schon kurz nach ihrer Ankunft stellten die Sportler fest, dass ihre Quartiere nicht bezugsfertig waren. Die Apartments waren so dreckig, dass man selbst zu Feudel und Besen greifen musste, berichten Mitglieder der Delegationen. Und für den Transport der Sportler hatten die Organisatoren der Paralympics auch nicht gesorgt. Die Iren mieteten Autos samt Chauffeuren.

Ein Echo auf diesen kleinen Skandal gab es weder in den brasilianischen noch in internationalen Medien. Ganz anders als beim Eintreffen des australischen Teams zu den Olympischen Spielen vor einem Monat. Damals berichteten Medien rund um die Welt, dass die Australier sich weigerten, ihre Quartiere im olympischen Dorf zu beziehen, weil sie in unzumutbarem Zustand waren.

Die fehlende Aufmerksamkeit für die Probleme der paralympischen Sportler zeigt nun erneut, wie wenig Wert den Paralympics im Vergleich zu Olympia beigemessen wird. So gut wie gar nichts hört man auch über die wenig behindertengerechte Umgebung des paralympischen Dorfs. Es wird den Sportlern nicht gerade einfach gemacht, sich selbstständig zu bewegen. So sieht man Löcher in den Straßen, unebene Fußwege und Hinterlassenschaften der zuletzt sehr eiligen Bauarbeiten. Metallstreben ragen auf die Wege, Kabel liegen herum. Obwohl das Dorf von Anfang an behindertengerecht gebaut werden sollte, sah man in den letzten Tagen Arbeiter, die Rampen für Rollstuhlfahrer bauten und legten.

Rund 4300 paralympische Sportler treffen in diesen Tagen in Rio ein (zu den Olympischen Spielen kamen mehr als 10 000 Athleten). Die Probleme, die sie vorfinden werden, spiegeln ein generelles Problem in Brasilien wider: das nur schwache Bewusstsein für die Anforderungen von „Menschen mit Defiziten“, wie sie in Brasilien genannt werden; und dementsprechend wenig behindertengerechte Einrichtungen im öffentlichen Raum. Rund 6,2 Prozent der 200 Millionen Brasilianer haben irgendeine Form von Behinderung, ergab eine Erhebung 2015. Fast 80 Prozent von ihnen sagten in einer Umfrage, dass in Brasilien die Rechte von Behinderten nicht respektiert würden.

Und Rio macht dabei trotz der Paralympischen Spiele keine Ausnahme. Teresa Costa d’Amaral, Leiterin des Brasilianischen Instituts für die Rechte von Menschen mit Behinderung (IBDD), bemängelt, dass es in Rio so gut wie keine behindertengerechten Gebäude gebe: „Dem Rathaus sind die Belange von Behinderten egal. Es ignoriert einfach die Gerichtsurteile zugunsten der Umrüstung der öffentlichen Infrastruktur. Es ist absurd.“ Zwar habe Brasilien heute die besten Gesetze Lateinamerikas, wenn es um Inklusion gehe, sagt Costa d’Amaral. Aber sie würden am schlechtesten umgesetzt. „Eine Stadt, die die Rechte von Behinderten nicht akzeptierte, verdient die Paralympics nicht.“

Es fehlt an behindertengerechten Sporteinrichtungen

Die einbeinige Kugelstoßerin und Diskuswerferin Rosinha Santos stimmt dem nicht unbedingt zu. Sie freut sich auf die Spiele – und bemängelt dennoch die Schwierigkeiten, mit denen sie in Rio zu kämpfen hat. In Sydney vor 16 Jahren gewann sie zwei Goldmedaillen, dann wurde ihre Karriere durch einen Lymphdrüsenkrebs unterbrochen. Nun ist sie in Rio wieder dabei. Auch sie sagt, dass die Stadt extrem schwer zu navigieren sei, Santos bewegt sich mit einem elektrischen Dreirad fort. Daneben aber fehlte es an behindertengerechten Sporteinrichtungen. Als Trainingsstätte dient der 44-jährigen Santos der kleine Park vor ihrem Haus. Dort sitzt sie festgeschnallt auf einem Podest und schleudert Diskus und Kugel auf die Rasenfläche der Anlage, nachdem die Hundehalter vor fliegenden Objekten gewarnt wurden.

Neben solchen infrastrukturellen Problemen – die auch vor dem Hintergrund zu verstehen sind, dass Brasilien ein Land mit tiefer sozialer Ungleichheit ist und die Inklusion Behinderter nicht als drängendes Thema verstanden wird – wurden die Paralympics in Rio von schweren Finanzierungsproblemen überschattet. Geld, das für die Paralympics vorgesehen war, wurde verwendet, um Löcher bei der prekären Finanzierung der Olympischen Spiele zu stopfen. Seit August versucht Rios Bürgermeister Eduardo Paes nun, umgerechnet 40 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt zu bekommen. Es ist Steuergeld, das eigentlich nicht für die Spiele bestimmt ist, weswegen sich ein Gericht sträubt, das Geld frei zugeben.

Mit der fehlenden Finanzierung sind die dreckigen Apartments und die schwierigen Bedingungen in der Umgebung des olympischen Parks zu erklären. Es fehlt ganz einfach an Geld, um das Personal zu bezahlen. Der Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees, Sir Philip Craven, sagte, dass die Spiele in ihrer 56-jährigen Geschichte niemals ähnliche Umstände erlebt hätten. Man befürchtet nun, dass sich die paralympischen Athleten in Rio als Sportler zweiter Klasse fühlen könnten.

Trotz all dieser Probleme hat der Kartenverkauf für die Paralympics zuletzt stark angezogen. 1,5 Millionen der rund 2,3 Millionen Karten wurden verkauft. Viele Brasilianer, die sich einen Besuch bei Olympia nicht leisten konnten oder wollten, greifen nun zu. Denn die Stimmung während der olympischen Wettkämpfe war in Rio ausgezeichnet. Bei den Paralympics wird es wohl genauso sein. Der Sport ist eine willkommene Ablenkung von den vielen Krisen Brasiliens.

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