Parlympics-Legende: Heinrich Popow: Sprinter, Springer, Wegbereiter
Er tritt als Großer ab: Heinrich Popow wird nach den Paralympics aufhören. Manches aber wird bleiben.
Seine Abschiedsbühne hat Heinrich Popow schon einmal kennengelernt. Der Sprinter und Weitspringer machte seine ersten Schritte auf der paralympischen Tartan-Bahn in Rio de Janeiro – und war begeistert. „Die Bahn ist schnell. Es ist alles da, was man braucht, um die Spiele zu genießen und Leistung zu bringen“, schrieb der Vorzeigeathlet des deutschen Behindertensports auf seiner Facebook-Seite.
Der 100-Meter-Paralympics-Sieger von London strahlt Freude und Zuversicht aus, dass er seine vierten und letzten Paralympics in Rio mit Gold krönen könnte. Der 33-Jährige verbesserte vor kurzem seinen eigenen Weitsprung-Weltrekord auf 6,77 Meter. „Als Weltrekordler will man Gold holen“, sagt Popow. Und auch über die 100 Meter hat er beste Chancen. Wenngleich die Konkurrenz dort weit größer ist. Vor einem Jahr, als er die WM 2015 wegen einer Fußverletzung verpasste, war sein Ziel über 100 Meter ganz klar Gold. Heute sagt er: „Wenn ich mein Bestes gegeben habe, ist alles okay.“
Es muss bei den am Mittwoch beginnenden Spielen nicht Gold sein, um als Großer abzutreten. Popow hat auch so genug für die Entwicklung, Professionalisierung und Wahrnehmung des Behindertensports in Deutschland getan. Jahrelang war er das, was heute Markus Rehm ist: das Gesicht der deutschen Sportler mit Handicap. Er erklärte jedem, der es hören wollte, wie seine Prothese funktioniert, zeigte den Stumpf seines wegen eines Knochentumors im Alter von neun Jahren amputierten Beines, forderte mehr Förderung, mehr gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft. Und bezieht auch bei kritischen Themen Stellung.
So sei der Ausschluss der Russen wegen des systematischen Staatsdopings richtig, könne aber nur „der erste Schritt sein. Macht man den zweiten und geht nach Jamaika, Kenia oder in die USA – da stinkt es genauso wie in Russland.“ Das ist ein typischer Popow-Satz.
Paralympics stärken, Exklusion im Alltag verhindern
Das Verhältnis zu Markus Rehm, der Popow in der öffentlichen Wahrnehmung in die zweite Reihe verdrängt hat, ist abgekühlt. Zu unterschiedlich sind die Positionen der beiden: Rehm wollte wie einst Oscar Pistorius auch bei den Olympischen Spielen in Rio starten, scheiterte aber. Popow hält von Rehms Bestrebungen nichts und sagt das auch unverblümt. „Inklusion im Leistungssport gibt es nicht“, sagt der angehende Orthopädietechnik-Mechaniker. Rehm sei ein Ausnahmetalent. „Aber er springt mit einer Prothese ab, und das kann man mit Nichtbehinderten nicht vergleichen. Wir sollten unsere Paralympics stärken und Exklusion im normalen Leben verhindern.“
So sei es wichtig, dass zum Beispiel gehandicapte Kinder nicht ausgeschlossen werden. „Bei uns in der Gesellschaft ist eine Behinderung immer noch negativ behaftet. Es wird immer nur gesagt, was man nicht mehr kann, statt aufzuzeigen, was noch geht“, erzählt Popow. Ihm sei von einem Lehrer damals gesagt worden: „Geh' zum Arzt und hol' dir ein Attest zur Sportbefreiung. Was das psychologisch mit einem Kind anrichtet, kann keiner nachvollziehen.“ Auf der anderen Seite erlebe er, wie sich mittlerweile auf Sportplätzen „normale“ Kinder und deren Eltern beschweren: „Ihr habt durch eure Prothesen einen Vorteil, ihr springt wie Kängurus, ihr lauft wie Geparden.“
Was Popow durch den Sport bekommen hat, gibt der 33-Jährige an andere zurück. Er fliegt um die Welt und bringt Amputierten im Projekt der „Running Clinics“ den Umgang mit einer von einem Orthopädie-Unternehmen und ihm entwickelten Sportprothese bei. Er trainiert mit den Betroffenen, gibt Tipps, ist Motivator und Zuhörer: „Das Projekt ist alles für mich. Es bereichert mich, ich kann helfen, mir wird geholfen.“ (dpa)