Nach der WM 2014 in Brasilien: Rio bereitet sich auf Olympia vor
Die Fußball-Weltmeisterschaft ist Geschichte, in zwei Jahren aber wird in Rio de Janeiro ein noch größeres Ereignis stattfinden: die Olympischen Spiele. Die Vorbereitungen jedoch laufen nicht gerade ermutigend.
Eine halbe Stunde nach dem Endspiel um die Fußball-Weltmeisterschaft knatterte ein Hubschrauber über das Estadio Maracana, hinweg über die endlos lange Menschenschlange, die sich über Irr- und Umwege Richtung Metro bewegte. Wer in Rio unterwegs ist, sollte viel Zeit mitbringen. Männer und Frauen sprangen auf, sie kreuzten hektisch die Arme in Richtung Himmel und riefen: „Dilma, Dilma!“, es klang eher höhnisch denn bewundernd, und dann war der Hubschrauber auch schon in der Nacht verschwunden. Vielleicht beförderte er ja wirklich Dilma, wie die Brasilianer ihre Staatspräsidentin Dilma Rousseff gemeinhin nennen.
Die Senhora Rousseff Dilma nutzt bevorzugt den Hubschrauber als Transportmittel. Auf den Straßen kann man sich in Rio und den anderen Großstädten kaum fortbewegen, und die Präsidentin hat viel zu tun, gerade in Sachen Sport. Die zweitgrößte Veranstaltung der Welt hat Brasilien gerade zu einem guten Ende gebracht, jetzt ist die größte dran. Gut zwei Jahre sind es noch bis zu den Olympischen Sommerspielen von Rio de Janeiro. Ein Prestigeprojekt für ganz Südamerika, Brasilien und natürlich Rio de Janeiro. Das Maracana ist einer von vier olympischen Schwerpunkten, die anderen sind Deodoro, Copacabana und Barra da Tijuca. Alle in einer Raute um das Stadtzentrum angeordnet. Die Olympischen Spiele 2016 werden keine der kurzen Wege, da kann ein Hubschrauber nur von Vorteil sein.
In Barra da Tijuca ist alles schon da. Das Riocentro, wo die Boxer und Tischtennisspieler, die Gewichtheber und Badmintonspieler das Publikum mit einer bemerkenswerten Mischung unterhalten werden. Weiter hinten das Wassersportzentrum für die Schwimmer. Ein Stadion für die in Brasilien weitgehend unbekannte Sportart Hockey. Der Golfplatz für ein olympisches Comeback nach 112 Jahren Pause.
Problem der Wettkampfstätten
Es gibt da aber ein kleines Problem mit den vielen schönen Wettkampfstätten, wahrscheinlich hätte nicht mal der Fürst Potemkin seine Freude an ihnen gehabt. Potemkin ließ von seinen prächtigen Dörfern immerhin prächtige Fassaden errichten. In Barra da Tijuca, eingezwängt zwischen der Lagoa de Jacarepagua und der Avenida Embaixador Abelardo Bueno, reicht es vorerst nur für riesige Schilder, die von dem künden, was da einmal stehen soll: Riocentro. Hockeystadion. Wassersportzentrum.
Wird ganz bestimmt und rechtzeitig fertig werden – großes olympisches Ehrenwort, verspricht Rios Bürgermeister Eduardo Paes. Vereinzelt wachsen ja auch schon Wohntürme, sie wollen einmal das olympische Dorf bilden. Aber das prägende Bild des Barra-Olympiaparks ist das eines riesigen Abenteuerspielplatzes, mit Stelen aus Stahl, Drahtverhauen und Betonfundamenten, die aus der roten Erde ragen.
Brasilien hat die Fußball-Weltmeisterschaft ohne größere Probleme über die Bühne gebracht. Das war, anders als das Spiel der Seleçao brasileiro, ein Prestigeerfolg für die Regierung. Die Präsidentin Dilma Rousseff ist ihrer Wiederwahl im Herbst sehr viel näher gekommen, als sie das vor der WM wahrscheinlich selbst für möglich gehalten hätte. In diesem Sinne hat sie schon mal per Dekret verfügt, die vielen Kritiker mögen doch bitte verstummen und die großartige Weltmeisterschaft zum Vergleich heranziehen, und selbstverständlich werde auch für 2016 alles fertig sein.
Wieviel Kraft haben die Brasilianer noch für Olympia?
Nun ist die Organisation eines Gigaereignisses in einer einzigen Stadt in der Planung und Umsetzung von Sportstätten, Verkehrswegen und sonstiger Infrastruktur etwas anderes, als über das ganze Land verteilt ein paar Fußballstadien zu bauen und sie an Flughäfen und Innenstädte anzuschließen. Auch das verlief bei der WM 2014 keineswegs so glatt, wie es Brasilien vorher versprochen hatte. Einige Stadien, etwa in Manaus, Cuiabá oder Sao Paulo, wurden erst in letzter Minute und dann auch nur provisorisch fertig. Ehrgeizige Verkehrsprojekte wie die Schnellbahnverbindung Rio–Sao Paulo wurden fast ausnahmslos gestrichen. Rio unterhält für seine knapp sieben Millionen Einwohner ein Metronetz mit zwei Linien und 35 Bahnhöfen. Der Busbahnhof ist ebenso wenig angeschlossen wie die beiden Flughäfen. Wer einmal das Vergnügen hatte, gemeinsam mit Hunderten von hüpfenden Chilenen oder Argentiniern die provisorische Stahlrohrtreppe am Metro-Bahnhof Maracana hinabzusteigen, wählt beim nächsten Mal gern einen kilometerlangen Umweg.
Das Motto der Spiele von Rio heißt „Viva sua Paixao!“, lebe deine Leidenschaft. Wie viel Leidenschaft, wie viel Kraft und wie viel Geduld haben die Brasilianer nach der finanziell aufreibenden und sportlich so unbefriedigend für sie verlaufenen WM noch für Olympia? Thomas Bach hat sich in der finalen Phase der Weltmeisterschaft auch auf den Weg nach Rio gemacht und gesagt, was ein guter Diplomat so sagt: „Die WM ermutigt uns.“ – „Viele befürchtete Probleme sind nicht eingetreten.“ – „Brasilien ist eine sportliebende Nation.“ Und doch hat der deutsche Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) auch öffentlich angemerkt, er werde wachsam bleiben. Von seinem australischen Stellvertreter John Coates stammt der erst im April formulierte Satz, die Vorbereitungen auf die Sommerspiele von Rio seien die schlechtesten, die er je gesehen habe.
Rio antwortet mit hektischer Bautätigkeit und dem während der WM gewonnenen Selbstvertrauen. Bürgermeister Paes verspricht in der Diktion des früheren IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch „die besten Spiele aller Zeiten“. Bis dahin ist noch einiges auf den Weg zu bringen. Wie löst Rio das Problem mit den olympischen Segelwettbewerben in der Guanabara-Bucht, der größten Freiluftkloake der Welt, Auffangbecken für die Kanalisation einer täglich und wild wachsenden Millionenstadt? Wann gibt es endlich eine Zulassung für das Anti-Doping-Labor? Und, ganz wichtig für das offizielle Selbstverständnis des IOC: Wie hält es Rio mit der geplanten Umsiedlung seiner ärmeren Bürger, die ihren Wohnraum aufgeben sollen für olympische Prestigeprojekte?
Auch in Barra da Tijuca, auf dem riesigen Abenteuerspielplatz, der einmal zum Olympiapark werden soll, walzen Bagger einfache Häuser nieder. Auf dass auf den frisch planierten Flächen nach den Spielen Wohnraum für besser Verdienende entsteht. Olympia war schon mal weiter, und das ist gar nicht so lange her. 2012 in London.