Kolumne Meine Champions League: Renato Sanches - das 85 Millionen Euro teure Naturereignis
Benficas Teenager Renato Sanches steht eine große Karriere bevor - heute spielt er in der Champions League mit seinem Klub beim FC Bayern München.
Es war ein bisschen eng am Freitagabend im Estadio da Luz. Das ist so ungewöhnlich nicht, denn die Aufritte von Benfica Lissabon sind immer gut besucht. Erst recht bei Spitzenspielen, und so eines war das Duell mit Sporting Braga. Gut 60.000 Menschen schauten zu, sie feierten einen 5:1-Sieg ihrer Mannschaft und das Verweilen auf Platz eins der Primeira Liga. Und ganz besonders aufmerksam schauten sie auf der Ehrentribüne zu, wo sich diesmal halb Europa drängte.
Vom FC Bayern, Benficas Gegner am Dienstag im Viertelfinale der Champions League, war keiner da. Dafür listete der Reporter der Fußballzeitung „A Bola“ Abgesandte aus Italien (AC Mailand), England (Manchester United, Arsenal, Ipswich, Middlesbrough), Spanien (Atletico Madrid, Betis Sevilla, Celta de Vigo), Frankreich (Montpellier), Polen (Wisla Krakau), der Türkei (Trabzonspor), der Ukraine (Donezk) und Deutschland (1. FC Köln) auf. In ihrer überwiegenden Mehrheit waren die Herrschaften nicht so sehr am portugiesischen Liga-Alltag interessiert. Sondern an dem Mann, den Experten wie St. Petersburgs portugiesischer Trainer André Villas-Boas „als ein Naturereignis“ preisen.
Dieser Renato Sanches ist gerade 18 Jahre alt, nur 176 Zentimeter groß und doch so begehrt wie kein anderer Fußballspieler dieser Altersklasse in Europa. Angeblich hat Manchester United ein Angebot über 40 Millionen Pfund hinterlegt, das entspricht knapp 50 Millionen Euro. United wird in der kommenden Saison mit großer Wahrscheinlichkeit von José Mourinho trainiert, einem Portugiesen, der Personal aus der Heimat bekanntlich sehr schätzt. So oder so ist in Old Trafford eine Neuordnung des zentralen Mittelfeldes fällig. Michael Carrick steht nach zehn Jahren bei United vor seinem 35. Geburtstag und hat immer noch kein Signal erhalten, ob sein Vertrag im Sommer noch einmal verlängert wird. Was aus Bastian Schweinsteiger wird, ist nach zahlreichen Verletzungen ungewisser denn je. Carrick und Schweinsteiger stehen für die Vergangenheit. Renato Sanches wäre ein Zeichen für den Aufbruch in die Zukunft.
Renato trägt die Nummer 85 auf dem Rücken - kaum ein Zufall
Bei Benfica haben sie das Interesse aus Manchester zur Kenntnis genommen – und durchblicken lassen, dass es gern ein wenig mehr sein dürfe für die aus dem eigenen Nachwuchs hochgezogene Begabung. Die vertraglich festgeschriebene Ablösesumme soll sich auf 85 Millionen Euro belaufen. Vor diesem Hintergrund könnte sich auch erklären, warum Renato Sanches bei Benfica die Nummer 85 auf dem Rücken trägt.
Am Freitag gegen Braga erwischte er keinen Glanztag, eher einen soliden, aber auch zu solchen Gelegenheiten sticht er mit seiner Athletik und Präsenz heraus. Sanches bereitete das erste Tor mit einem abgefälschten Pass vor, das zweite initiierte er mit einem Solo, an dessen Ende Bragas Verteidiger im Strafraum die Hand zur Hilfe nahm. Einmal flog er am eigenen Strafraum nach einer Grätsche hoch durch die Luft, rappelte sich sofort auf, eroberte den Ball zurück und lief an zwei Gegenspielern vorbei. Der eine trat nach ihm, der andere zerrte an seinem Hemd, aber Sanches lief einfach weiter und mochte seinen Spieltrieb auch dann noch nicht einstellen, als der Schiedsrichter längst gepfiffen und die Gelbe Karte in der Hand hatte. Das Publikum applaudierte auf offener Szene, und das passiert in Portugal selten jenseits spektakulärer Torszenen.
Mit seiner Rastafrisur und seinen Tempoläufen über den gesamten Platz erinnert Sanches ein wenig an den Schalker Leroy Sané. Nur dass er eben noch eineinhalb Jahre jünger ist. Seine Physis und technische Beschlagenheit korrespondieren mit bemerkenswertem Selbstbewusstsein. Sehr schön zu sehen war das vor zehn Tagen, in seinem ersten A-Länderspiel gegen Bulgarien. Eine Viertelstunde vor Schluss kam Sanches für Sporting Lissabons Ricardo Carvalho auf den Platz und forderte im zentralen Mittelfeld so oft und selbstverständlich den Ball, als handele es sich nur um eine beliebige Trainingseinheit bei Benfica. Mit 18 Jahren und sieben Monaten ist er Portugals zweitjüngster Länderspieldebütant im dritten Jahrtausend. Nur Cristiano Ronaldo war mit 18 Jahren und sechs Monaten noch ein bisschen schneller.