EM-Vergabe: Reinhard Grindel und sein Traum von der EM 2024
DFB-Chef Grindel will die EM 2024 nach Deutschland holen. Doch der Sieg am Donnerstag ist noch unsicher - und das liegt nicht nur am Rivalen Türkei.
Im Endspurt gibt Reinhard Grindel noch einmal alles. Am Samstag weilte er in Gelsenkirchen beim Bundesliga-Klassiker zwischen Schalke 04 und dem FC Bayern. Am Sonntag reiste er nach London, um dort am Montag an der Gala zur Wahl des Weltfußballers teilzunehmen. Und am Dienstag fliegt er direkt weiter in die Schweiz, für die letzten Treffen mit der deutschen Delegation.
Bei all den Terminen gilt für den Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB): werben, umgarnen und einschwören. Beim deutschen Fußballpublikum, das an diesem Wochenende noch einmal mit einem Aktionsspieltag an die Bewerbung erinnert werden soll. Bei den stimmberechtigten europäischen Verbandsfunktionären rund um die Weltfußballer-Gala. Und bei der eigenen Delegation, die unter anderem Philipp Lahm, Uwe Seeler und Celia Sasic umfasst, weil die am Donnerstag bei ihrer finalen Präsentation auch noch mal abliefern muss.
Dann nämlich wird in Nyon am Genfer See in der Zentrale des europäischen Fußball-Verbands (Uefa) entschieden, welches Land die Europameisterschaft 2024 austrägt. Deutschland oder dessen einziger Konkurrent: die Türkei.
Grindel offenbarte zuletzt einige Angriffsflächen
Grindel will diese EM unbedingt. Er hat sie quasi zu seinem Turnier erklärt. Für ihn hat die EM die allerhöchste Priorität. Schon vor der WM in Russland hatte er gesagt, mehr als über ein verlorenes Finale in Moskau würde er sich darüber ärgern, wenn die EM 2024 nicht nach Deutschland kommen würde. Grindel ist die EM vor allem deshalb so wichtig, weil auch seine Zukunft daran hängt. Holt der 57-Jährige das Turnier nach Deutschland, hätte er seine wankende Position beim DFB enorm gefestigt. Er wäre derjenige, der Deutschland nach der WM 2006 das nächste mögliche Sommermärchen beschert. Scheitert Grindel aber mit der Bewerbung, in der die Deutschen von Beginn an als Favorit galten, wäre er seinen so lieb gewonnenen Posten mit großer Wahrscheinlichkeit los. Als EM-Verlierer könnte er sich kaum mehr im Amt halten.
Die Favoritenrolle hat Deutschland auch wenige Tage vor der Entscheidung noch inne. Das bestätigte die Uefa am Freitag in ihrem Evaluierungsbericht zu beiden Bewerbungen. Darin wurde Deutschland in mehreren Kategorien deutlich besser bewertet als die Türkei. Die Uefa weiß: Eine EM in Deutschland wäre eine sichere Sache. Darauf haben Grindel und seine Mitstreiter während der gesamten Bewerbung gesetzt. Immer wieder betonen sie die wirtschaftliche Stärke Deutschlands – also die gesicherten Gewinne für die Uefa –, heben hervor, in welch tollem Zustand die großen Stadien sowie die Infrastruktur seien und verweisen auf die begeisternde Atmosphäre hierzulande während der Sommermärchen-WM 2006.
Auch die 17 wahlberechtigten Mitglieder des Uefa-Exekutivkomitees wissen wohl, dass die EM in Deutschland eine sichere Sache werden würde. Doch gebunden sind sie an die Empfehlung des Evaluierungsberichts nicht. Und es wäre ja auch nicht das erste Mal in der Geschichte großer Turniervergaben, dass die schlechtere Bewerbung gewinnt. Bestes Beispiel: Katar und die WM 2022.
So sehr Grindel und der DFB in ihrer Bewerbung also vieles ausspielen können, was den europäischen Funktionären gefällt, wirklich sicher haben sie den Sieg noch nicht. Und das liegt auch daran, dass Grindel während der Bewerbungskampagne einige Angriffsflächen offenbarte. Besonders die vergangenen Monate waren in dieser Hinsicht durchaus turbulent.
Türkei macht sich wegen DFB-Debatten Hoffnung
Da ist zuerst die Affäre um Mesut Özil. Als der Mittelfeldspieler Ende Juli seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft verkündete, teilte er besonders gegen Grindel aus. Der DFB-Präsident habe ihn „herablassend“ behandelt. Und so wolle er „nicht länger der Sündenbock sein für Grindels Inkompetenz und Unfähigkeit, seinen Job gut zu machen“. Özil fühlte sich nach den rassistischen Anfeindungen, die er aufgrund seines Fotos mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan erhalten hatte, nicht ausreichend verteidigt vom DFB. Zudem rückte er Grindel auch bei dieser Rassismus-Debatte in den Mittelpunkt: „In den Augen von Grindel und seinen Unterstützern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen, und ein Migrant, wenn wir verlieren.“
Das war natürlich ein harter Schlag gegen Grindel. So hart, dass sich die Türkei Hoffnung machte, daraus Vorteile im EM-Duell mit den Deutschen ziehen zu können. Servat Yardimci, Chef der türkischen Bewerbung, sagte zur Özil-Affäre gegenüber dem Magazin „Inside World Football“: „Es ist eine internationale Geschichte geworden. Ich hoffe, das wirkt sich zu unseren Gunsten aus, denn Özil hat das alles nicht verdient.“
Grindel sieht die Auswirkungen der Rassismus-Debatte im DFB auf die EM-Vergabe selbstverständlich anders als Yardimci. Er bekräftigt: „Ich denke, es wird keinen Einfluss haben.“ Aber die Özil-Affäre war nicht Grindels einziger Stolperstein.
In seinem Streben nach der EM geht er rigoros gegen alles vor, das eine Gefahr für sein Turnier darstellen könnte. Ohne Rücksicht auf Verluste. So soll der DFB-Präsident darauf gedrungen haben, das Länderspiel zwischen Deutschland und Peru Anfang September anstatt in Frankfurt in Sinsheim auszutragen – wie es dann ja auch geschehen ist. Grindel soll befürchtet haben, dass Frankfurter Ultras das Spiel als Bühne nutzen, um gegen den DFB zu protestieren. Damit würden sie aus seiner Sicht die letzte Partie vor der EM-Vergabe überschatten und die deutsche Bewerbung gefährden. Der „Spiegel“ belegte diesen Bericht mit internen Mails zwischen Grindel und dem DFB-Vizepräsidenten Rainer Koch. Daraus geht hervor: Frankfurt wäre eigentlich mit einem Länderspiel an der Reihe gewesen, aber Grindel setzte sich durch.
Der DFB zweifelte zwar nicht die Echtheit der Mails an, der Verband widersprach der Verlegungs-Version jedoch und betonte: das Spiel sei nach Sinsheim vergeben worden, weil die Chancen auf ein volles Stadion gegen den wenig attraktiven Gegner Peru in der kleineren Spielstätte besser waren als in Frankfurt. Doch auch nach dieser Causa blieb vor allem der Eindruck: Grindel agiert unglücklich.
Einen weiteren Beleg dafür, dass er die EM über alles andere stellt – auch über gute Beziehungen zum mächtigsten Fußballfunktionär der Welt –, lieferte der „Spiegel“ vor einer Woche. So wagte Grindel einen Disput mit dem Präsidenten des Weltverbands Fifa, Gianni Infantino. Weil Infantino während einer Türkei-Reise die EM-Bewerbung des Kontrahenten über die Maßen gelobt hatte, ermahnte Grindel ihn in einem Brief im November 2017 zur Neutralität. Dabei hatte der Schweizer zuvor auch die deutsche Bewerbung mit allgemeinen Aussagen gelobt – etwa beim DFB-Bundestag 2016 mit den Worten: „Die Stadien sind fantastisch, das Land ist groß, man hat alles, was man braucht. Es ist ein Fußballland.“
Die Türkei hat sich seit 2008 viermal um eine EM beworben
Grindels Belehrung fand Infantino natürlich gar nicht schön. Er antwortete angesäuert: „Erst einmal muss ich meine Überraschung und Enttäuschung über den Ton und den Inhalt Ihres Briefes zum Ausdruck bringen.“ Laut DFB ist mittlerweile alles ausgeräumt zwischen Grindel und Infantino. Aber ein fader Nachgeschmack bleibt. Zwar hat Infantino am Donnerstag keine Stimme, jedoch ist der frühere Uefa-Generalsekretär bestens vernetzt in den europäischen Funktionärskreisen. Sein Wort hat auf jeden Fall Gewicht.
Es gab bisher also einige Nebengeräusche bei der deutschen Bewerbung – dabei wollte der DFB diese unbedingt vermeiden. Schließlich laufen wegen der Affäre um die Vergabe der Sommermärchen-WM noch Ermittlungen gegen ehemalige DFB-Granden wie Franz Beckenbauer, Theo Zwanziger und Wolfgang Niersbach.
Eben jener Niersbach hatte 2013 als damaliger DFB-Präsident die Bewerbung für die EM 2024 verkündet und frohlockt: „Welche Länder sind in der Lage, das Turnier auszurichten? Die Franzosen haben die EM 2016, Russland die WM 2018. Dann bleiben nicht mehr so viele übrig.“ Doch so einfach, wie sie es sich beim DFB erhofft hatten, macht ihnen der Rivale Türkei das Rennen um die EM nicht.
Die Türken haben sich seit 2008 viermal um eine EM beworben. Zuletzt unterlagen sie im Duell mit Frankreich um die EM 2016 nur mit einer Stimme äußerst knapp. Noch einmal wollen sie nicht verlieren. Für die Bewerbung für 2024 verpflichtete der türkische Fußball-Verband daher die britische Kommunikationsagentur Vero. Deren Referenz: Sie half Katar, die WM 2022 zu holen. Der Vero-Chef Mike Lee, der Anfang September im Alter von 61 Jahren an einem Herzinfarkt verstarb, hatte eine schlagkräftige Kampagne initiiert. Darin stellen die Türken immer wieder heraus, dass sie der Uefa neue Märkte erschließen wollen. Auch sie setzen also auf die Profit-Karte. Und mit modernen Stadien können sie auch dienen. Lediglich drei der zehn EM-Arenen müssten neu gebaut oder renoviert werden. Zudem wuchern sie damit, dass die Regierung der Uefa umfangreiche Staatsgarantien zusichere, unter anderem massive Steuererleichterungen.
Deutschland mit Vorbildfunktion in vielen Bereichen
Auf solche Punkte achtet die Uefa natürlich genau. Allerdings auch auf die allgemeine wirtschaftliche und politische Entwicklung eines Landes. Und da musste die Türkei nach den Turbulenzen der vergangenen Monate um den Währungsverfall und die geschwächte Wirtschaft zuletzt einige Tiefschläge hinnehmen. Davon dürften Grindel und der DFB nun extrem profitieren.
Auch die Uefa verweist in ihrem Evaluierungsbericht auf die wirtschaftliche Schieflage der Türkei: „Geplante öffentliche Investitionen könnten unter Druck geraten.“ Und selbst den türkischen Steuererleichterungen traut der Kontinentalverband nicht unbedingt. Diese seien „nicht vollständig“ konform mit „den aktuell geltenden Gesetzen und Verpflichtungen nach geltendem internationalem Recht“. Trotzdem schnitt die Türkei in dieser Kategorie etwas besser ab als Deutschland, weil die deutschen Behörden der Uefa die Steuerbefreiung gestrichen hatten.
Das dürften Grindel und seine Mitstreiter jedoch verschmerzen können. Und umso mehr werden sie sich in ihrer vorbildlich auf Inklusion, Respekt und Nachhaltigkeit ausgelegten Bewerbung bestätigt sehen. Denn die Uefa kritisiert das Thema Menschenrechte, das erstmals explizit ein Kriterium der EM-Vergabe ist, bei der Türkei überaus deutlich. Als „problematisch“ wird in dem Evaluierungsbericht „das Fehlen eines Aktionsplans in Sachen Menschenrechte“ bewertet.
Grindel muss nun hoffen, dass die Mehrheit der Uefa-Wahlleute auch diesen Empfehlungen folgt. Dann würde sich sein großer EM-Traum tatsächlich erfüllen. Aber er muss bis zuletzt alles dafür geben.