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Ich weiß, wo es langgeht. Ralf Rangnick hat seine eigenen Vorstellungen vom Fußball.
© imago/osnapix

Zurück mit RB Leipzig in der Bundesliga: Ralf Rangnick - der Retortentrainer

Mit RB Leipzig will Ralf Rangnick seinen radikalen Fußball perfektionieren. Sein kompromissloser Stil funktioniert vor allem bei Projektvereinen.

Vielleicht besitzt die Deutsche Fußball-Liga ja doch einen Sinn für hintergründigen Humor. Zumindest könnte man zu dieser Vermutung gelangen, wenn man den ersten Spieltag der Fußball-Bundesliga betrachtet. Der Neuling Rasenballsport Leipzig tritt im ersten Bundesligaspiel seiner ruhmreichen siebenjährigen Vereinsgeschichte an diesem Sonntag bei der TSG Hoffenheim an. Das ist so etwas wie das größtmögliche Retortenduell der Liga; es ist das Duell der beiden Milliardäre Dietmar Hopp (Hoffenheim) und Dietrich Mateschitz (Leipzig). Es ist aber auch das Duell Rangnick gegen Rangnick. Ohne Ralf Rangnick würde es dieses Spiel in der Bundesliga vermutlich nicht geben. Hopp und Mateschitz haben das Geld zwar sprudeln lassen, erst Rangnick aber hat den Fluss in die richtige Richtung gelenkt. Auf seine Art.

Den Dorfklub aus dem Sinsheimer Ortsteil Hoffenheim hat Rangnick innerhalb von drei Jahren als Trainer aus der Dritten in die Erste Liga geführt. Mit den Leipzigern schaffte er es sogar von der viertklassigen Regionalliga ganz nach oben. Und so wird heute für die Traditionalisten unter den Fußballfans mit dem Duell zwischen Hoffenheim und Leipzig eine Schreckensvision Wirklichkeit. Aber möglicherweise ist das nur der Anfang dessen, was dem Fußball in Deutschland mittelfristig bevorsteht.

Die Prognose ist nicht allzu gewagt, dass der Aufstieg von Rasenballsport Leipzig die Bundesliga verändern wird. Das folgt aus einem ganz normalen Reiz-Reaktions-Schema, das schon zu beobachten war, nachdem die Premier League ihren Rekord-Fernsehvertrag abgeschlossen hatte. Wir brauchen auch mehr Geld, sonst können wir international nicht mehr mithalten, heulten die Bundesligaklubs. Ähnlich wird es laufen, wenn die Leipziger erst einmal von der Finanzmacht des Red-Bull-Imperiums Gebrauch machen werden: Das wollen wir auch, wird die Konkurrenz dann fordern.

Dürfen die Bundesligisten aber nicht, weil die 50+1-Regelung den Einfluss von Investoren beschränkt. Man muss kein Prophet sein, um zu vermuten, dass der Druck, diese Regelung zu lockern oder ganz abzuschaffen, über kurz oder lang weiter zunehmen wird. „Von mir aus kann sie noch lange bestehen bleiben“, sagt Leipzigs Sportdirektor Ralf Rangnick. Kein Wunder: Weil die Regel für Rasenballsport als eingetragenen Verein nicht gilt, beschert sie den Leipzigern aktuell einen klaren Wettbewerbsvorteil.

Das Programm von RB Leipzig ist: Noch eine Nummer größer

Erst vor sieben Jahren ist der Verein gegründet worden – und seit dem Start in der fünftklassigen Oberliga hat er stets über deutlich mehr finanzielle Möglichkeiten verfügt als jeder seiner Konkurrenten, manchmal auch als alle Konkurrenten aus der jeweiligen Liga zusammen. Ausdruck der unbegrenzten Möglichkeiten ist das neue Nachwuchsleistungszentrum in Sichtweite des Leipziger Zentralstadions, das in Deutschland seinesgleichen sucht. Zwischen 35 und 40 Millionen Euro soll der Gebäudekomplex gekostet haben, in dem es an nichts mangelt. Es gibt allein sieben Köche für die Fußballer, 50 Nachwuchsspieler können hier wohnen – so viele Plätze brauchen die Leipziger auch, weil sie sehr eifrig darin sind, Talente von der Konkurrenz abzuwerben. „Von den begabtesten Spielern der Region sollte uns tunlichst keiner durch die Lappen gehen“, sagt Rangnick, der schon in Hoffenheim ein neues Nachwuchsleistungszentrum aufgebaut hat. „In Hoffenheim war es sehr gut, hier ist alles insgesamt schon noch eine Nummer größer.“

Noch eine Nummer größer – das ist so etwas wie das Programm der Leipziger. Der Superlativ ist gewissermaßen der Normalzustand. Darunter macht es Ralf Rangnick nicht. Seit ein paar Wochen versorgt Leipzigs Sportdirektor die Öffentlichkeit zum Beispiel mit der Botschaft, dass RB inzwischen hinter Bayern und Dortmund der beliebteste Klub in Mitteldeutschland sei. Das Ergebnis beruht auf der Befragung von rund 100 Menschen aus Sachsen und Thüringen – eine eher dürftige Datenbasis.

Was in Leipzig entstehe, sei „das Nachhaltigste“, was es im deutschen Fußball gebe, sagt Rangnick. Naby Keita, den RB in diesem Sommer für 15 Millionen Euro vom österreichischen Schwesterverein aus Salzburg verpflichtet hat, ist – natürlich – „einer der interessantesten zentralen Mittelfeldspieler in Europa“. Der Akademikeranteil unter den RB-Fans ist „extrem hoch“, und über das Pokalspiel gegen Dynamo Dresden vor einer Woche hat Rangnick, der sich selbst für einen der größten Traditionalisten überhaupt hält, gesagt: „Viel mehr Derby geht nicht.“ Klar. Schalke gegen Dortmund, Mönchengladbach gegen Köln, Werder gegen den HSV, Hannover gegen Braunschweig: alles kleine Fische im Vergleich zu Leipzig–Dresden.

Mit dem permanenten Wortgeklingel reagiert Rangnick auch auf die anhaltende Antipathie, die ihm und seinem Arbeitgeber immer noch entgegenschlägt. Will denn niemand erkennen, was sie da in Leipzig Großartiges leisten? Wenn das Projekt auf den Faktor Geld reduziert wird, verweist Rangnick gerne darauf, dass RB das Monopolyspiel etwa im Fall Breel Embolo (für 22,5 Millionen Euro zu Schalke) nicht mitgemacht habe; dass sich auch andere Zweitligisten Spieler wie Lukas Klostermann oder Yussuf Poulsen durchaus hätten leisten können – wenn sie denn deren Klasse erkannt hätten. Beim VfL Bochum, Klostermanns Heimatverein, waren sie immerhin so von der Klasse ihres Verteidigers überzeugt, dass sie ihn liebend gern gehalten hätten. Und Timo Werner, den RB in diesem Sommer für zehn Millionen Euro vom VfB Stuttgart verpflichtet hat, stand auch bei Hertha BSC ganz oben auf der Liste. Aber für den Vorjahressiebten der Bundesliga war die Ablöse – anders als für den Aufsteiger aus Leipzig – finanziell eben nicht zu stemmen.

Rangnick wirkt als erster Verteidiger seines Vereins schnell ein bisschen besserwisserisch. Dabei wird seine erfolgreiche Arbeit vom Fachpublikum durchaus zur Kenntnis genommen. Niemand bestreitet, dass die Leipziger eine klare Idee verfolgen, dass sie junge Spieler holen, in denen eine Menge Fantasie steckt, und ihr Geld mit Plan investieren.

Da sind wir. Die Spieler von RB Leipzig stellen sich den Fans zum Saisonauftakt vor.
Da sind wir. Die Spieler von RB Leipzig stellen sich den Fans zum Saisonauftakt vor.
© imago/Picture Point LE

Hinter diesem Plan steckt vor allem Ralf Rangnick. Und vieles von dem, was er in Leipzig noch vorhat, ist in Hoffenheim längst verwirklicht worden: der Gegenpressingfußball, das intensive Spiel, das so sehr an die Substanz geht, dass der Kader ganz automatisch extrem jung sein muss. Von den vier neuen Spielern, für die Rasenballsport vor dieser Saison immerhin 27,5 Millionen Euro ausgegeben hat, ist kein einziger älter als 22. In Hoffenheim war das unter Rangnick anfangs ähnlich – bis er 2009 den damals 31 Jahre alten Josip Simunic für sieben Millionen Euro von Hertha BSC verpflichtet hat.

Aber in Leipzig ist Rangnick vielleicht noch eine Spur radikaler als bei der TSG. Als er vor einem Jahr als Sportdirektor keinen Trainer für die Profis gefunden hat, hat er es einfach selbst gemacht. Der 58-Jährige ist kein Mann für Kompromisse – insofern ist es folgerichtig, dass er erst in Hoffenheim und dann in Leipzig gelandet ist.

In Vereinen, in denen die Strukturen noch nicht fest zementiert waren, in denen er sich nicht mit lästigen Vereinsgremien herumschlagen muss, sondern gewissermaßen ein weißes Blatt Papier vorgefunden hat, auf das er seine Ideen malen durfte. Dem Establishment ist Rangnick als Ur-Vater aller Laptoptrainer immer ein wenig suspekt gewesen – doch das beruht ganz sicher auf Gegenseitigkeit. Mit der Das-haben-wir-doch-immer-schon-so-gemacht-Seligkeit im deutschen Fußball hat Rangnick noch nie etwas anfangen können.

In Hoffenheim ist er zurückgetreten, nachdem Luiz Gustavo hinter seinem Rücken und unter tatkräftiger Hilfe von Geldgeber Dietmar Hopp zu den Bayern transferiert worden war. In Leipzig muss Rangnick derartige Einmischungen vorerst nicht fürchten. Dietrich Mateschitz gibt das Geld (einen dreistelligen Millionenbetrag bisher) klaglos und lässt Rangnick damit walten, wie der es für richtig hält. Und auch von seinem direkten Vorgesetzten Oliver Mintzlaff hat der Leipziger Sportdirektor nichts zu befürchten. Der 41-Jährige trägt den schönen Titel „Head of Global Soccer“ und ist für alle Fußballstandorte Red Bulls verantwortlich. Bevor er in Leipzig angefangen hat, hat er unter anderem als Berater gearbeitet. Einer seiner Klienten hieß Ralf Rangnick.

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