EM 2024 in Deutschland: Philipp Lahm beweist erneut sein Machtbewusstsein
Philipp Lahm wird als Organisationschef der EM 2024 zum wichtigsten deutschen Fußball-Funktionär. Und dabei wird es wohl nicht bleiben.
Es wirkte fast wie eine Maskerade. Als der Deutsche Fußball-Bund (DFB) am Freitag in der Frankfurter Zentrale die erfolgreiche Vergabe der EM 2024 mit Fassanstich und Maßkrügen feierte, sah Philipp Lahm neben Reinhard Grindel wie ein Praktikant aus. Denn während der fast zwei Meter große DFB-Präsident im typischen Verbandspräsidenten-Outfit – schwarzer Anzug und weißes Hemd – zu den Mitarbeitern sprach, trug Lahm ein blau-schwarz kariertes Holzfällerhemd, das er sich auch nicht in die Jeans gesteckt hatte.
Der kleine Philipp und der Riese Grindel? Davon sollte sich niemand täuschen lassen. Die Rollen sind eher genau andersherum verteilt. Lahm ist ja nicht nur der Weltmeister von 2014, der deutsche Ehrenspielführer, der Titelsammler mit dem FC Bayern München und bis zu seinem Karriereende 2017 einer der weltbesten Außenverteidiger überhaupt. Sondern auch der neue Fixpunkt beim DFB.
Seit sich der Verband am Donnerstag bei der Uefa gegen die Türkei durchsetzte und 2024 die EM austragen darf, fokussiert sich alles auf Lahm. Schließlich steigt der 34-Jährige nun vom Botschafter der Bewerbung zum Organisationschef des Turniers auf. So, wie Franz Beckenbauer als Chef des Organisationskomitees das Gesicht der WM 2006 war, wird die EM 2024 nun zuerst immer mit Lahm verknüpft werden. Damit wird er für die nächsten sechs Jahre der wichtigste Fußball-Funktionär Deutschlands. Und vielleicht noch länger. Denn einige in der Bundesliga und beim DFB sehen in ihm in nicht allzu ferner Zukunft schon den möglichen neuen DFB-Präsidenten.
Lahm wusste immer, was er wollte
Das liegt auch daran, dass Grindel in seinem Amt eben nicht der Riese ist, als der er auf den ersten Blick neben Lahm erscheinen mag. Grindel ist angeschlagen. Lahm muss gar nicht in die Offensive gehen. Sondern kann sich auf sein stets makelloses Auftreten verlassen.
Als er direkt nach der EM-Vergabe darauf angesprochen wurde, ob er das höchste Amt im deutschen Fußball anstreben würde, wiegelte er ab: „Ich suche nicht nach irgendeinem Job oder was auch immer. Das brauche ich nicht, ich habe genügend zu tun. Ich bin fußballinteressiert, das werde ich weiter bleiben. Ich werde als eigener Mensch, als eigener Kopf meine Meinung sagen zu bestimmten Themen.“
Doch es ist eben die Art, wie Lahm das tut – und es als Spieler getan hat –, die ihn nicht als spontanen Freigeist, sondern als kalkulierenden Planer mit Ambitionen wirken lässt. Solche, die ihn in seiner Karriere schon seit jungen Jahren begleitet haben, sagen über ihn: Lahm sei ein absolut anständiger Mensch. Aber sie sagen auch: Er wusste immer, was er wollte. So mag Lahm als der perfekte Schwiegersohn rüberkommen, doch er besitzt auch einen gewissen Machtinstinkt. Und den zeigte er schon in seiner aktiven Karriere einige Male.
Als Ur-Beispiel dafür gilt, wie sich Lahm das Kapitänsamt in der Nationalmannschaft von Michael Ballack einverleibte. Die WM 2010 in Südafrika verpasste Ballack verletzt, Lahm übernahm die Binde als dessen Stellvertreter, sagte in einem Interview während des Turniers jedoch, wenn man Kapitän ist, will man es doch auch bleiben. So stellte Lahm klar: Er gibt das Amt nicht mehr ab. Da konnte Ballack in der Ferne dagegen wettern wie er wollte. Weil Bundestrainer Joachim Löw Lahm gewähren ließ, setzte er sich gegen Ballack durch.
Ein Jahr zuvor hatte Lahm schon der „Süddeutschen Zeitung“ ein viel beachtetes Interview gegeben. Darin kritisierte er die Verantwortlichen des FC Bayern so deutlich wie kaum ein Spieler dies gegenüber seinen Chefs getan hatte und sprach sich für den Verbleib von Trainer Louis van Gaal aus. Lahm erhielt zwar eine Geldstrafe, aber van Gaal wurde nicht gefeuert. Und München ein Stammgast im Champions-League-Finale.
Eine weitere Anekdote für Lahms Streben nach einer herausgehobenen Rolle ereignete sich während der WM 2014 in Brasilien. Lahm wollte unbedingt im defensiven Mittelfeld spielen, seine Teamkollegen in der Nationalmannschaft sahen ihn aber eher als Rechtsverteidiger. Intern soll es Auseinandersetzungen darüber gegeben haben, dass Lahm dem Team in der Abwehr mehr helfen könne. Erst als sich Shkodran Mustafi verletzte, rückte Lahm nach hinten.
Sein Berater Grill ist immer im Hintergrund
Ist Lahm also ein Egomane? Die Antwort auf diese Frage führt automatisch zu seinem Berater Roman Grill. Er war Lahms Jugendtrainer beim FC Bayern, gewann zusammen mit ihm 2001 die deutsche Meisterschaft der A-Junioren. Lahm vertraut ihm über alles. Allerdings wird über Grill in der Szene auch geraunt, er flüstere Lahm Dinge ein, die ihm nicht unbedingt immer gut tun.
Etwa als Lahm nach der für den DFB so enttäuschenden WM in Russland Löw mit einem Beitrag in einem sozialen Netzwerk kritisierte und den Bundestrainer mahnte, seinen kollegialen Führungsstil zu ändern. Als besserwisserisch und etwas undankbar kam das bei einigen in der Fußballbranche gegenüber Lahms großem Förderer Löw an.
Auch dass Lahm nach seinem Karriereende 2017 keine führende Position beim FC Bayern erhielt, führen Insider darauf zurück, dass die Münchner Chefs nicht Grill als Lahms Schatten in die obersten Vereinszirkel holen wollten. Dass aus dem eigentlich abgemachten Aufstieg Lahms zum Sportdirektor oder Sportvorstand nichts wurde, begründete Lahm später clever damit, er könne beim FC Bayern nicht so zum Zug kommen, wenn Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge dort noch so starke Rollen ausüben. Und so konzentrierte sich Lahm erst einmal auf sein Unternehmertum, investierte gemeinsam mit Grill in Start-ups oder den Naturkosthersteller Schneekoppe. Bis er im Herbst des vergangenen Jahres EM-Botschafter wurde.
Umso interessanter ist im Zusammenhang mit Grills Einfluss auf Lahm ein Rat, den Rummenigge Ende Juli öffentlich gegenüber dem DFB aussprach. „Ich halte Philipp Lahm und seinen Berater Roman Grill als perfekt passend für den DFB“, sagte der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern. Für Branchenkenner ist das nur ein Wegloben.
Lahm ohne Grill gibt es nicht. Das war auch in der vergangenen Woche wieder zu beobachten. Bei Lahms DFB-Werbereise von der Weltfußballer-Gala in London nach Nyon zur EM-Vergabe war Grill immer dabei. Zwar gehörte der 52-Jährige der deutschen Delegation nicht als offizielles Mitglied an, aber er war stets im Hintergrund. Es scheint, als hätten sich Grill und Lahm wirklich den DFB als nächsten großen Karriereschritt für den Münchner ausgeguckt. Zumal Lahm nun als EM-Organisationschef ins Präsidium des Verbands aufrückt. Und wie überall wird Lahm dort sehr schnell lernen.
Sollte er also, wann auch immer, seinen Hut für den Posten des DFB-Präsidenten in den Ring werfen, hätte er die Wahl wohl sicher. Für das Profilager wäre er ein unumstrittener Kandidat, und bei den Amateuren kann er damit punkten, dass seine Eltern sich seit vielen, vielen Jahren beim Münchner Kreisligisten FT Gern ehrenamtlich engagieren.
All das scheint wie gemalt für eine steile Karriere im deutschen Fußball-Funktionärswesen. Lahm ist alles andere als ein Praktikant. Er ist wieder einmal auf dem besten Weg zur Führungsfigur.