Leichtathletik-WM: Nur in Sachen Doping wird Usain Bolt garstig
Justin Gatlin verdirbt Usain Bolt den Abschied. Der Jamaikaner ist ein Großer in der Niederlage. Doch das Thema Doping nagt an ihm.
Nugent Walker hing wenige Stunden nach der schlimmsten Niederlage seines Lebens halb über das Geländer gelehnt und unterhielt sich mit ein paar Freunden. Seine Sonnenbrille, die er auch im Dunkeln trägt, hatte er abgenommen. Er blickte in den Stadiontunnel, wo Justin Gatlin vor den Kameras stand. Nugent Walkers Blick war leer und traurig. So hätte das alles doch nicht enden dürfen. „Hey, ich will nichts zum Rennen sagen. Das verstehst du doch sicher“, sagte er.
Nugent Walker ist Jugendfreund, engster Vertrauter und Manager von Usain Bolt, dem besten Sprinter, den es je in der Leichtathletik gegeben hat und der am Wochenende bei seinem letzten Einzelrennen bei der WM in London noch einmal als Erster durchs Ziel laufen wollte.
Doch Walkers Schützling verlor nicht nur dieses 100-Meter-Finale, er verlor es auch noch gegen Justin Gatlin. Der US- Amerikaner ist Bolts ewiger Widersacher, und es hat schon mal Zeiten gegeben, in denen sich die beiden aus dem Weg gingen. Bolt und Gatlin haben sich schon viele Duelle geliefert und immer, wenn es um die großen Titel ging, war Bolt vorne. Am Samstagabend aber, als alle schon auf den Schlussspurt Bolts warteten, zog Gatlin auf den letzten Metern noch an Bolt und auch an dem in Führung liegenden Christian Coleman vorbei.
Mit Gatlin als Sieger hatte in London niemand gerechnet. So still wie in den Sekunden nach dem Zieleinlauf dürfte es selten nach einem WM-Finallauf in der Leichtathletik gewesen sein. Die Zuschauer wollten Bolt als Sieger haben und sie hätten auch jeden anderen Sieger ertragen, nur eben nicht Justin Gatlin. Selbst Sebastian Coe, Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF, ging es nicht anders. „Das war nicht das perfekte Drehbuch“, sagte er. „Ich will nicht schönreden, dass hier jemand mit einem unserer glitzerndsten Preise weggeht, der schon zweimal gesperrt worden ist.“ Wann hat ein Verbandspräsident schon einmal so über einen seiner Sieger gesprochen?
Der in Brooklyn geborene Gatlin treibt die Leichtathletik seit mittlerweile fast 15 Jahren um. Zunächst wurde er als Nachfolger des großen Carl Lewis gehandelt, mit Anfang 20 wurde er Olympiasieger und Weltmeister. Die Leichtathletik hatte wieder einen Star, allerdings nur sehr kurz. Gatlin wurde gleich zweimal des Dopings überführt und er entging einer lebenslangen Sperre nur, weil er als Kronzeuge gegen seinen eigenen Trainer aussagte.
Das ist keine Vita, mit der man sich schmücken kann. Doch an der Figur Gatlin ist vor allem bemerkenswert, dass sie unglaublich zäh ist. Gatlin kämpfte sich zweimal in die Weltspitze zurück – und das, obwohl sich die Leichtathletik-Gemeinschaft mehr oder weniger einstimmig darauf geeinigt hatte, dass der Mann stellvertretend für die Verfehlungen in diesem Sport steht.
In London wurde Gatlin gnadenlos ausgebuht. Selbst auf dem Trainingsplatz neben dem Stadion gab es viele Pfiffe für ihn. Gatlin zog sich seine schwarze Mütze immer tiefer ins Gesicht. Dass er sich in der Rolle des Buhmanns befindet, geht jetzt schon seit vielen Jahren so. Und Gatlin ist nicht immer souverän damit umgegangen, auch am Samstagabend nicht.
Nach dem Zieleinlauf zeigte er mit dem Zeigefinger auf den Mund und bedeutete dem Publikum: Seid schön leise. Doch das Publikum war nicht leise. Nach einem kurzen Moment der Schockstarre buhte es wieder los. „Es ist schade“, sagte Gatlin, „dass die Buhrufe lauter waren als der Jubel.“ Am Sonntag dann zogen die Veranstalter sogar die Siegerehrung vor, um Gatlin nicht erneut den Pfiffen eines vollen Stadions auszusetzen.
Und Usain Bolt? Der 30-Jährige war stark in der Niederlage. Hatte er tags zuvor noch als Einziger über die seiner Meinung nach zu lockeren Startblöcke gejammert, sagte er nun, dass nicht diese schuld an seinem Auftritt seien, sondern nur er selbst. „Ich hatte einen miesen Start. Das tötet mich.“ Gatlin bezeichnete er als großen Wettkämpfer und eine gute Person.
Garstig wurde Usain Bolt nur, als er gefragt wurde, ob die im Vergleich zu früher langsamen Zeiten im Finale mit den härteren Anti-Doping-Maßnahmen zusammenhingen. „Wir arbeiten hier alle hart. Es gibt Verletzungen, es gibt den Wind, es gibt viele Dinge, die so ein Rennen beeinflussen“, sagte er. „Ich werte diese Frage als ein Zeichen des mangelnden Respekts.“ Justin Gatlin konnte ihm dabei natürlich nur zustimmen.