Gehirnerkrankung CTE in der NFL: "Nicht nur Footballer sind gefährdet, auch Fußballer"
American Football kann laut einer neuen Studie die neurologische Erkrankung CTE verursachen. Forscher Ingo Helmich warnt auch vor anderen Sportarten.
CTE ist eine neurologische Erkrankung mit Todesfolge. Forscher aus Boston haben die Gehirne von 111 toten Footballspielern untersucht, sie konnten an 110 Gehirnen CTE nachweisen. Was bedeutet das?
Die Studie ist ein weiterer, sehr drastischer Beleg dafür, dass CTE in einem Zusammenhang steht mit traumatisch bedingten Blutungen und mit Traumata verursachenden Sportarten wie American Football und anderen. Die Forscher kommen zu dem Schluss: CTE kann nicht nur die Folge von der Ausübung von American Football sein, sondern American Football führt zu CTE. Dieses Fazit der Forscher ist sehr frappierend.
Der Untersuchung zufolge trifft es alle Spieler, egal auf welcher Position sie eingesetzt wurden.
Das ist ein weiteres, erschreckendes Resultat der Studie. Bisher war man davon ausgegangenen, dass vor allem die großen, schweren Jungs, die sogenannten Linemen, betroffen sind. Doch nach dieser Studie trifft es alle, auch die Quarterbacks, die wenige, dafür aber heftige Schläge abbekommen. Diese Erkenntnis führt auch unweigerlich zu der Frage: Was bedeutet das für andere Sportarten.
Und was heißt das?
Dass sich diese nun in diesem Punkt nicht hinter dem American Football verstecken sollten, auch wenn sie es versuchen werden. CTE ist keine exklusive Angelegenheit von American Football. Boxen, Eishockey und auch Fußball sind Sportarten mit einem Gefahrenpotential für CTE.
Auch Fußball?
Ja, es gibt kaum eine andere Mannschaftssportart, in der der Kopf ein so wichtiger Teil des Spiels ist wie im Fußball. Auch hierzu gibt es immer mehr Untersuchungen, die nachweisen, dass das Gehirn in Mitleidenschaft gezogen wird. CTE wurde auch schon im Fußball festgestellt. Man muss wissen: Dieses Themengebiet ist gerade im Fußball noch recht jung. Im Fußball standen und stehen körperliche Faktoren wie das Knie, der Knöchel, die Muskulatur im Fokus der medizinischen Behandlung und vor allen Dingen: im Fokus der Prävention. Der Kopf dagegen wurde und wird immer noch stiefmütterlich behandelt.
Inwiefern?
Zum einen, in dem kaum geschultes Personal dafür eingesetzt wird. Und zum anderen, in dem das vorhandene Personal nicht entsprechend reagiert. Aus Kanada ist dazu dieses Jahr eine bemerkenswerte Untersuchung veröffentlicht worden: Bei der Fußball-WM 2014 wurde in 63 Prozent der Fälle einer Kopf-Kollision das vorgeschriebene Protokoll zur Abklärung einer möglichen Gehirnerschütterung nicht eingehalten. Und viele werden sich bestimmt noch an den deutschen Spieler Christoph Kramer erinnern, der im WM-Finale trotz schwerem Hirntraumata zurück auf den Platz geschickt worden ist.
Zurück zur Studie aus Boston: Deren Repräsentativität wird angezweifelt.
Das ist richtig. Die Forscher haben Gehirne von Football-Spielern untersucht, bei denen der Verdacht auf CTE bestand. Vermutlich litten sie an den typischen Symptomen auf emotionaler wie kognitiver Ebene. Die Angehörigen haben wohl auch deshalb die Leichen zur Untersuchungen freigegeben, sie wollten Gewissheit, ob die verstorbenen Spieler wirklich CTE hatten. Das große Problem bei CTE ist, dass man es nur nach dem Tod durch histologische Aufarbeitung feststellen kann. Dennoch: Wenn von 111 untersuchten Gehirnen 110 CTE haben, dann ist das ein Ergebnis, das Folgen haben muss.
Welche?
Die Verbände können das Problem nicht weiter negieren. Viele tun das auch nicht mehr, doch das Problem ist nun auf einer neuen Ebene angekommen. Zum einen müssen alle Spieler über die Gefahr informiert sein. Zum anderen muss alles getan werden, um die Risiken zu minimieren. Es müssen mehr Untersuchungen gemacht werden, die Spieler dürfen nicht mehr – wie das bisher der Fall ist – zu früh wieder eingesetzt werden.
Sie selbst untersuchen Footballspieler auf Beeinträchtigungen des Gehirns. Wie aufgeschlossen sind diese für die Problematik?
Diejenigen, die zu mir kommen, sind natürlich aufgeschlossen. Aber es gibt auch sehr viele, die ich anschreibe, die darauf keine Lust haben. Man kann das ja verstehen: Die Leidenschaft wird beeinträchtigt. Es schwingt dann immer mit, dass das nicht gesund für einen ist.
Sollte Football verboten werden?
Zunächst einmal sollten alle über die Gefahren informiert sein. Dann ist es vielleicht wie mit dem Rauchen oder dem Alkohol trinken: Wer es trotzdem machen will, sollte die Freiheit haben, es zu tun.
Ingo Helmich (40), arbeitet in der Abteilung für Neurologie, Psychosomatik, Psychiatrie am Institut für Bewegungstherapie der Deutschen Sporthochschule Köln.
Das Gespräch führte Martin Einsiedler.