Big Four - Die US-Sport-Kolumne: New York Knicks: Schnauzbärte zum Schämen
Die Fans ziehen vor Scham Papiertüten über die Köpfe. Als schlechtestes NBA-Team kommen die New York Knicks nun nach Europa. Früher waren die Knicks mal cool, erinnert sich unser Autor. Doch mittlerweile wird die Tradition zum Problem.
Wenn ich an die New York Knicks denke, dann denke ich an Schnurrbärte. Genauer gesagt an die NBA-Finalserie 1994 der Knicks gegen die Houston Rockets. Ich blieb damals lange auf, um bei Jump Ran - oder war es im DSF? - meine erste komplette Endspielserie zu verfolgen. Mich fesselten die Duelle der Centerlegenden, Patrick Ewing gegen Hakeem Olajuwon, und das Wettschießen der Kunstschützen, John Starks gegen Robert Horry, der aussah wie der Prinz von Bel Air. Sie alle trugen Schnörres, wie die Bundesligafußballer Anfang der Neunziger. Die Schnauzbärte waren sozusagen meine Brücke über den Atlantik, zum US-Basketball.
Experten gilt 1994 als eins der hässlichsten Finals überhaupt, weil sich Coach Pat Riley in New York eine Schlägertruppe zusammengezüchtet hatte, mit finsteren Schurken wie Charles Oakley und Anthony Mason mit noch finstern Schnäuzern. Trotzdem hielt ich zu den Knicks und fieberte mit. Obwohl ich als Spieler den eleganteren Olajuwon bewunderte und stundenlang vergeblich versuchte, die Schritte seines Dream Shake zu kopieren. Doch New York war halt einfach cooler als Texas.
Am Ende verloren Ewing und die Knicks 3:4. Seither hat es New York nur noch einmal in ein Finale geschafft, 1999.
15 Pleiten in Serie, ein Vereinsrekord
Neulich war Ewing noch mal da, er ist jetzt Assistenztrainer der Charlotte Hornets. Beim letzten Heimspiel am Sonntag im Madison Square Garden wurde der 52-Jährige wie bei jedem Besuch gefeiert. Die eigene Mannschaft ist den New Yorker Fans dagegen einfach nur noch peinlich. Eine Sitzreihe hatte kollektiv Papiertüten über den Kopf gezogen, aus Scham. Denn die Knicks verloren auch ihr 15. Spiel in Serie, ein neuer negativer Vereinsrekord. In der zweiten Halbzeit hatte sich auch die erste Reihe, wo sonst die Stars und Sternchen sitzen, auffällig geleert. Ein Fan trug ein Bayern-München-Trikot und schien sich angesichts des miesen Basketballs, den seine Mannschaft spielt, zum Fußball umzuorientieren. Ein entnervter New-York-Times-Reporter sucht derzeit öffentlich ein neues Team, das er betreuen kann.
Die Knicks sind zur Saisonhalbzeit das schlechteste Team der NBA, mit nur fünf Siegen in 40 Spielen. Knicks wie weg, mögen sie da gedacht haben, und bestreiten nun das einzige Saisonspiel der NBA außerhalb Nordamerikas. Am Donnerstagabend trifft New York in London auf die Milwaukee Bucks.
Nach England zu reisen, um mir diese Truppe anzusehen, darüber habe ich nicht einmal nachgedacht. Dabei sind bei Knicks wieder Schnurrbartträger am Werk, wie 1994. Das ist aber auch ihr Problem.
Phil Jackson und Carmelo Anthony tragen nicht nur gerne mal einen Pornobalken im Gesicht. Der eine, Jackson, ist elfmaliger Meistertrainer, der andere, Anthony, in Bestform einer der drei besten Scorer dieses Planeten. Trotz dieser Stars ist das Gründungsmitglied der NBA schlecht wie nie in seiner fast 60-jährigen Geschichte. Woran liegt das?
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Jackson hat dafür gerade die Schuld auf sich genommen. „Das ist mein Mea Culpa“, lateinerte der Team-Präsident, der sonst eher über Zen und fernöstliche Kultur philosophiert. Mit 69 Jahren ist Jackson im März 2014 erstmals von der Seitenlinie hinter den Schreibtisch gewechselt und hat als nicht mehr ganz junger Debütant einige Fehler begangen. Er hätte im Sommer nicht die Play-offs als Ziel ausgeben sollen, räumte er ein, und die Neuzugänge waren auch die falschen. Es sei nicht die Schuld des Trainers Derek Fisher, wenn Rebound- und Defensivarbeit kaum noch stattfindet. So reumütig wie derzeit habe man die sonst so hochmütige NBA-Legende Jackson noch nie erlebt, feixen New Yorker Journalisten. Jackson sagt, er könne kaum noch schlafen. Dabei kann er nichts für die vielen Transferflops vor seiner Zeit, die heute Karteileichen sind, und die wiederkehrenden Knie- respektive Rückenprobleme von Carmelo Anthony und Amar’e Stoudamire. Der viert- und der zweitbestbezahlte Profi der Liga setzten beide öfter aus, gut gepolstert versteht sich. Vor allem wenn die peinlichen Leistungen der Kollegen nicht zur schnellen Rückkehr reizen.
Wie den Knicks geht es derzeit auch Rekordmeister Boston Celtics und den Los Angeles Lakers, die mit 16 Trophäen nur einen Titel weniger gewonnen haben. Tradition scheint im Sport mittlerweile eher schädlich zu sein, scheint mir, man frage da nach bei Fußball-Klubs in Kaiserslautern, Nürnberg oder Hamburg. Vergangene Saison verpassten Knicks, Celtics und Lakers erstmals gleichzeitig die Play-offs. Das gab der NBA durchaus zu denken, denn wenn die Fans in den drei größten Fernsehmärkten entnervt abschalten, sinkt die Gesamteinschaltquote. Auch ich muss zugeben: Traditionsvereine, wo Trainer fliegen, Fans rebellieren und sich Medien überschlagen, finde ich immer unterhaltsamer als dröge Underdogs, die brav von Spiel zu Spiel denken.
Jackson mistet aus und hofft auf den neuen Patrick Ewing
Jackson macht auch die Ansprüche dafür verantwortlich, dass New York seit den siebziger Jahren auf den dritten Meistertitel wartet. „Wir suchen nach dem großen Star, der unsere Geschicke ändert, aber das ist seit ungefähr 45 Jahren nicht passiert”, sagte der Team-Präsident. Und übersieht dabei, dass auch er nur einer der vielen vermeintlichen Stars sein könnte, die die Knicks letztlich nur teuer zu stehen kommen. Jedenfalls hält sein Trainerzögling Fisher auf Jacksons Weisung hin an dessen berühmter Triangle Offense fest. Auch wenn die Spieler die komplizierte Offensivtaktik kritisieren. „Man muss dabei zuviel nachdenken“, sagte J.R. Smith. Kurz darauf fand sich der Flügelspieler in Cleveland wieder, zusammen mit Imam Shumpert. Der war eigentlich Publikumsliebling, vielleicht weil er die Fans mit seiner Turmfrisur an die goldenen Neunziger erinnerte.
Jackson mistet gnadenlos den Kader aus. Angeblich will er bald auch Spieler loswerden wie den Spanier José Calderon oder den Italiener Andrea Bargnani, der selbst dann ausgebuht wird, wenn nur Babyfotos von ihm auf dem Videowürfel erscheinen. „Wir haken die Saison noch nicht ab“, kündigt Carmelo Anthony an, der mit seinem Egoismus selbst Teil des Problems ist. Aber natürlich wird die aktuelle Saison abgeschenkt. In der Hoffnung, dass möglichst viele Niederlagen die Chancen erhöhen, beim Draft nächsten Sommer Talente zu ziehen, die das Team langfristig wieder an die Spitze führen. Nach ihrer bisher schlechtesten Saison verpflichtete New York 1985 Patrick Ewing.
Und es gibt noch Hoffnung für Knicks- und Schnauz-Liebhaber wie mich: Die Knicks hoffen, Jahlil Okafor zu draften. Der 19-Jährige gilt als großer Centertalent, aber noch wichtiger: Auf seiner Oberlippe sprießt langsam ein pflaumiger Schnauzer.