Defensiv stabil, offensiv ausbaufähig: Neues System bei Hertha BSC mit bekannten Problemen
Zwei Spiele, zwei Siege: Hertha BSC legt einen erfolgreichen Saisonstart hin, offenbart im Offensivspiel aber bekannte Schwächen.
Karim Rekik bewegte sich gewohnt sicher und leichtzüngig in der fremden Sprache, aber irgendwann geriet er doch ins Stolpern. Das richtige Wort wollte ihm nicht über die Lippen, also wechselte der holländische Verteidiger von Hertha BSC vom Englischen ins Deutsche: „…Querverschiebung, you know“.
Querverschiebung ist kompliziert, nicht nur als deutsches Wort, sondern auch als taktisches Mittel auf dem Fußballplatz. „Die Querverschiebung war nicht mutig genug“, sagte Pal Dardai, der Trainer von Hertha BSC, nach dem gelungenen Start seines Teams in die neue Saison der Fußball-Bundesliga. Dem Einzug in die zweite Runde des DFB-Pokals zu Beginn der Woche folgte an deren Ende ein 1:0-Sieg gegen den Aufsteiger 1. FC Nürnberg. Es war auch der erste seriöse Test für das neue System, das Dardai und sein Co-Trainer Rainer Widmayer im Sommer einstudiert haben. Schon vor einem Jahr hatten sie angekündigt, die Dreierkette in ihr Portfolio aufzunehmen; richtig umgesetzt wurde die Ankündigung in der Folge allerdings nicht.
Die Dreierkette ist im Moment erste Wahl
Das ist jetzt anders. In beiden bisherigen Pflichtspielen schickte Dardai seine Mannschaft in einer 3-4-3-Formation aufs Feld. Perspektivisch soll das Team in der Lage sein, innerhalb eines Spiels problemlos zwischen verschiedenen Systemen hin- und herzuwechseln. Aktuell aber scheint es so zu sein, als sei die Dreierkette für Dardai erste Wahl. Defensiv funktionierte das System gegen die Nürnberger nahezu tadellos – was allerdings auch am überschaubaren Drohpotenzial des Clubs lag. Der Aufsteiger war nur einmal richtig gefährlich, und das war nicht beim läppisch ausgeführten Elfmeter von Mikael Ishak kurz vor Schluss, sondern bei einer Einzelaktion des japanischen Neuzugangs Yuya Kubo, der sich gegen Niklas Stark durchsetzte, dann aber aus spitzem Winkel an Herthas Torhüter Rune Jarstein scheiterte.
Herthas letzte Reihe mit dem jungen Stark rechts, dem jungen Rekik in der Zentrale und dem noch jüngeren Jordan Torunarigha auf links erwies sich gegen die Nürnberger als stabiles Bollwerk; den Verteidigern ist die Adaption des neuen Systems ohne erkennbare Schwierigkeiten gelungen. Mängel gab es eher in der offensiven Ausgestaltung, von denen Herthas Spieler zumindest vor der Pause kaum Gebrauch machten.
„Durch das neue System hat ein wenig Mut gefehlt“, sagte Dardai. „Da war Zögerlichkeit, da war Unsicherheit.“ Die Vorwärtsverteidigung funktionierte nicht, weil die Mannschaft sich insgesamt zu tief positionierte; die Körpersprache gefiel Dardai nicht, genauso wenig wie das Pressing und das Anlaufverhalten. „Es ist nicht schwierig“, sagte Karim Rekik, „aber wir haben noch einige Arbeit vor uns.“
Dardai nahm in der Pause einige Korrekturen vor, die zu Beginn der zweiten Halbzeit auch die erwünschte Wirkung erzielten und Hertha mehr Kontrolle über das Geschehen verschafften. Salomon Kalou zum Beispiel wurde angewiesen, sich nicht zusätzlich zu den beiden Außen Marvin Plattenhardt und Valentino Lazaro noch als sechster Spieler in die letzte Verteidigungslinie einzureihen und damit das Mittelfeld zu entblößen. Die Berliner trauten sich mehr zu, wurden mutiger, hatten mehr Balleroberungen, verlagerten das Geschehen näher an das gegnerische Tor und kamen zu einer Reihe von Standards. Trotzdem gibt es im Offensivspiel noch reichlich Optimierungspotenzial.
Der 1. FC Nürnberg hatte mehr Torschüsse
Neu ist das nicht. Seitdem Dardai Trainer ist, zeichnet sich Herthas Spiel eher durch defensive Stabilität aus als durch offensive Leichtigkeit. Dass in Berlin immer deutlicher der Wunsch nach mehr Attraktivität artikuliert wird, ist auch dem Ungarn nicht verborgen geblieben. Dardai aber findet diesen Wunsch ein bisschen ungerecht – und doch erhofft er sich unter anderem von der Systemumstellung schöneren Fußball. „Das 3-4-3 mit Ball ist ein traumhaftes System“, sagte Herthas Trainer. „Die Qualität haben wir.“ Allerdings vermisste er vor allem in der ersten Halbzeit den dazu notwendigen Ballbesitz. Am Ende wies die Statistik den 1. FC Nürnberg in dieser Kategorie als knappen Sieger aus; auch bei den Torschüssen (12:10) lag der Aufsteiger vorn.
Dardai hofft immer noch, die Defizite mit dem vorhandenen Personal beheben zu können. Auf die Verpflichtung eines spielstarken Zehners haben die Berliner in diesem Sommer bewusst verzichtet, um Ondrej Duda in seinem dritten Vertragsjahr bei Hertha noch einmal eine echte Chance zu geben. Gegen den Drittligisten Braunschweig im Pokal hatte der Slowake einige gute Aktionen; gegen den Erstligaaufsteiger Nürnberg fiel Duda mal wieder nicht auf. Anders als Marko Grujic, den Dardai erst zwei Minuten vor Schluss einwechselte. Die kurze Zeit reichte dem Serben, um bei seinem Trainer einen guten Eindruck zu hinterlassen. „Er hat mutig nach vorne gespielt“, sagte Dardai über den 22-Jährigen, den Hertha vom FC Liverpool ausgeliehen hat. „Er hat seine Idee durchgezogen.“