Wasserball-Weltcup in Berlin: Nationaltorwart Moritz Schenkel: Zur Not bis zum Elektroschock
Moritz Schenkel ist der große Rückhalt der deutschen Wasserballer – nun will er beim Weltcup-Turnier von Berlin mindestens bis ins Halbfinale.
Langsam nähert sich der Sommer seinem Ende, er war so schön wie schon lange keiner mehr und Moritz Schenkel hat ihn komplett im Wasser verbracht. Gut erholt? Nicht unbedingt, Schenkel lacht, „das war schon eine heftige Zeit“, gefüllt mit allerlei Wasserballspielen und einem gar nicht so kleinen gesundheitlichen Problem, dazu später mehr.
Moritz Schenkel hat spät und eher zufällig zum Wasserball gefunden, mit zwölf Jahren, weil sich seine Handballmannschaft gerade aufgelöst hatte und ein Freund fragte: „Willst du nicht mal bei uns mitmachen?“ Gleich im ersten Jahr ist er mit Bayer Uerdingens Schülern Deutscher Meister geworden, schaffte später mit dem ASC Duisburg das gleiche Kunststück bei den Senioren und im vergangenen Juni auch mit seinem neuen Klub Waspo Hannover, zum ersten Mal seit 25 Jahren und dann auch noch gegen den alten Lieblingsfeind Spandau 04. Der überragende Torhüter Moritz Schenkel war daran nicht ganz unschuldig. Natürlich haben sie gefeiert, aber nur ein bisschen, dann ging es weiter zum Lehrgang mit der Nationalmannschaft, Vorbereitung auf die Europameisterschaft in Barcelona, wo es für die Deutschen immerhin zu Platz neun reichte. Danach hätte sich in einem normalen Jahr ein Zeitfensterchen für ein paar Wochen Urlaub gefunden. Weil 2018 aber kein normales Jahr ist, brachen die Nationalspieler nach einem kurzen Zwischenstopp in der Heimat gleich wieder auf. Nach Budapest, Mallorca und Rijeka, Konditionstraining und Testspiele, auf dass die Mannschaft bereit ist für den Saisonhöhepunkt, den Weltcup in Berlin.
Moritz Schenkel ist am Dienstag 28 Jahre alt geworden und spielt zum ersten Mal beim Weltcup. Dieses Turnier wird nur alle vier Jahre ausgespielt, mit den Champions von Welt- und Kontinentalmeisterschaften, dem Olympiasieger und diesmal auch mit den gastgebenden Deutschen. Zum Auftakt geht es am Montag gegen Ungarn, den Zweiten der Weltmeisterschaft von 2017 in Budapest, für die sich die Deutschen ebenso wenig qualifiziert hatten wie für das vorherige Turnier 2015 in Kasan. „Wird Zeit, dass wir mal wieder bei einer WM dabei sind“, findet Schenkel, und genau darum geht es in der kommenden Woche im Europasportpark an der Landsberger Allee. Die besten vier Mannschaften reisen zu den Schwimm-Weltmeisterschaften 2019 im südkoreanischen Gwangju, und da die Ungarn schon qualifiziert sind, könnte den Deutschen auch schon Platz fünf reichen. „Natürlich wollen wir ins Halbfinale“, sagt Moritz Schenkel, und wenn der 203 Zentimeter lange Mann sein Tor genauso geschickt verdichtet wie zuletzt bei der EM, ist das keineswegs ausgeschlossen.
Schenkel überzeugte bei der EM mit 64 Paraden
Die Statistiker vom europäischen Dachverband LEN haben genau nachgezählt. 64 Bälle hat Moritz Schenkel in den sechs Spielen von Barcelona gehalten, so viele wie kein anderer der 31 Kollegen. „Moritz war unser großer Rückhalt“, sagt der Bundestrainer Hagen Stamm und dass ihn das nicht weiter überrascht habe, „er hat ja schon im entscheidenden fünften Finalspiel um die Deutsche Meisterschaft den Unterschied gemacht“. Stamm fällt dieses Zugeständnis nicht ganz leicht, denn Bundestrainer ist er eigentlich nur nebenbei und hauptsächlich Präsident des diesmal unterlegenen Abonnementmeisters Wasserfreunde Spandau 04.
Es war nicht ganz selbstverständlich, dass Moritz Schenkel diese Finalserie für Waspo Hannover entscheiden, ja dass er sie überhaupt spielen würde. Beim Pokalfinale Anfang Mai in Potsdam gegen Spandau bekam er einen Ball auf den Brustkorb. Klassisch abgeschossen, passiert schon mal, Berufsrisiko eines Wasserballtorhüters. Schenkel schüttelte sich kurz und hielt bis zum Ende durch, aber dann begann das Herz zu rasen. Mit gequältem Lächeln zwang er sich auf das Siegerfoto, legte sich danach auf den Boden, aber der Puls raste weiter. Die Pokalparty musste er genauso sausen lassen wie Fahrt zurück nach Hannover. Noch in der Halle diagnostizierte ein Arzt Herzrhythmusstörungen. Im Notarztwagen fuhr Schenkel in eine Potsdamer Klinik, wo das Herz mittels Elektroschocktherapie zurück in den richtigen Takt gebracht wurde. Nach drei Tagen postete ein sichtlich gezeichneter und am ganzen Oberkörper verkabelter Moritz Schenkel via Facebook ein Foto aus dem Potsdamer Krankenbett.
Drei Wochen später begann die Finalserie gegen Spandau. Folgeschäden konnten nach einer Magnetresonanztomografie ausgeschlossen werden, aber ganz ohne Risiko war der Einsatz nicht. Einen zur Weiterbehandlung in Hannover eingesetzten Blutverdünner musste er absetzen – „die Gefahr ist einfach zu groß, dass du einen Ball an den Kopf bekommst und es dadurch zu inneren Blutungen kommt“. Ja, das sei im ersten Moment schon eine sehr bedrückende Erfahrung gewesen, „aber die Ärzte haben mir versichert, dass alles in Ordnung ist. Wenn alles normal läuft, sollte ich bis zur Rente keine Probleme mehr bekommen – und in dem Alter hat ohnehin fast jeder Probleme mit solchen Geschichten.“
In den fünf Finalspielen gegen Spandau war Schenkel kein Handicap anzumerken. Es war auch kein Thema in der öffentlichen Abhandlung dieses Duells zwischen dem Berliner Establishment und den neureichen Hannoveranern. Parallel zum Duell im Wasser führte Hannovers Präsident Bernd Seidensticker seinen seit Jahrzehnten währenden Kleinkrieg gegen seinen Berliner Kollegen fort. Das gipfelte in der Behauptung, Hagen Stamm sei „charakterlich nicht geeignet für das Amt des Bundestrainers“ und eigentlich könne er es seinen Spielern gar nicht zumuten, in Zukunft unter Stamm in der Nationalmannschaft zu spielen.
Gibt es da ein Problem? Für die vier Hannoveraner, die nun schon seit Wochen rund um die Uhr mit sechs Berlinern zusammen sind? Moritz Schenkel überlegt kurz. „Ein bisschen komisch war das schon, gleich nach den Endspielen zum ersten Lehrgang mit der Nationalmannschaft zu fahren“, gar nicht so ungewöhnlich nach einer sehr emotionalen und schwer umkämpften Finalserie. „Aber dann sind wir bei ersten Training zusammen ins Wasser gegangen, und spätestens da war das überhaupt kein Thema mehr.“
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