Verbrechen in Uckermark: Mord an Tramperin nach 21 Jahren aufgeklärt
Einer der größten Kriminalfälle Brandenburgs ist gelöst: Am 19. Mai 1991 fand man ihre Leiche in einem Wald in der Uckermark. Die 15-Jährige Andrea S. war vergewaltigt worden. Nach einem Massengentest brachte sich der Mörder nun um.
20 Jahre lebten die Angehörigen mit der Ungewissheit, wer 1991 die damals 15 Jahre alte Andrea S. vergewaltigt und erwürgt hat. Jetzt ist der Fall aufgeklärt. Der Täter hat sich umgebracht. Anfang Dezember sprang Günter G. auf der Strecke zwischen Berlin-Buch und Bernau bei Zepernick vor eine S-Bahn. Auch wenn er in seinem Abschiedsbrief den Sexualmord nicht gestand. Die Ermittler gehen fest davon aus, dass der 64-Jährige Andrea S. ermordet hat. „Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort“, schrieb er. „Ich unterziehe mich selbst der größten Strafe“, mit diesen Worten endet sein Brief.
Seit 2004 war Axel Hetke, der Chef der Eberswalder Mordkommission, mit dem Fall befasst. Am Ende aber führten Medienberichte über die akribischen Ermittlungen und ein Massengentest dazu, dass Hetke die Akten in einem der größten ungelösten Kriminalfälle Brandenburgs nun schließen kann.
Das Opfer, Andrea S., hatte damals schon eine „komplizierte Kindheit“ hinter sich. Die Eltern hatten sich getrennt, als sie gerade drei Jahre alt war. Die Mutter kam mit ihren vier Kindern nicht zurecht und das Mädchen in verschiedenen Kinderheimen unter. Ihre letzte Station war Neubrandenburg, sie galt als Ausreißerin und trampte damals wohl in Richtung Berlin, wo eine ihrer Schwestern lebte. Spaziergänger fanden am 19. Mai 1991 ihre Leiche in einem Wald bei Warnitz (Uckermark) nahe der A 11, die von Berlin nach Szczecin führt.
Bereits 1992 war der Fall dann zu den Akten gelegt worden. „Die Ermittlungen gestalteten sich schwierig, die Zuständigkeiten änderten sich mehrfach“, sagte Neuruppins Leitender Oberstaatsanwalt Gerd Schnittcher. „Damals achtete man auch noch nicht auf die hygienischen Standards.“ 2004 nahm die Mordkommission den Fall wieder auf. Denn nun konnten die Behörden auch auf DNA-Tests zurückgreifen – und an der Leiche waren DNA- und Sekretspuren gefunden worden. „Wir mussten davon ausgehen, dass die Libido des Mörders noch nicht erloschen ist“, sagte Schnittcher.
Im Abschiedsbrief hinterließ Günter G. nur vage Angaben
Zunächst prüften die Ermittler über mehrere Jahre, ob die Spuren nicht von Labormitarbeitern oder Polizisten stammen könnte. Ein Massenspeicheltest war dann die letzte Chance, den Fall aufzuklären. Chefermittler Hetke nahm an, dass der Täter beste Ortskenntnisse gehabt haben muss. Deshalb wurden seit März 2011 knapp 2.300 Männer im Alter zwischen 38 und 85 Jahren, die 1991 in der Gegend rund um Warnitz lebten, getestet. Es war das größte Massenscreening in der Landesgeschichte. Selbst aus Australien, Dänemark, den Niederlanden und der Schweiz wurden Proben angefordert. Günter G. war nicht darunter. Einen Treffer ergab der Massentest nicht.
Stattdessen muss es wohl ein Ende November ausgestrahlter Fernsehbericht über den Mord und die Angehörigen des Opfers gewesen sein, der den Fall zum Abschluss brachte. „Wir sind überzeugt, dass dies den Tatentschluss zum Suizid ausgelöst hat“, sagte Schnittcher. Zwei Tage später brachte sich der unauffällig lebende Familienvater um. „Die Erinnerungen an die Tat waren in ihm eingeschlafen und wurden auf einen Schlag wieder aktiviert.“ Günter G. habe angenommen, „dass die Polizei jede Stunde vor seiner Tür steht“. Chefermittler Hetke sagte, der Mann habe im Abschiedsbrief geschrieben, „dass er den Verfolgungsdruck nicht mehr ausgehalten und deshalb den Selbstmord gewählt hat“.
Dabei stimmte seine DNA überhaupt nicht mit den Spuren an der Leiche überein, die muss jemand anders hinterlassen haben, Beamte oder Laboranten. Das bleibt ungeklärt. „Wir haben ihn nicht durch das Massenscreenung selbst überführt, sondern ihm Anlass gegeben, sich selbst zu töten“, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Schnittcher.
In seinem Abschiedsbrief hinterließ Günter G. nur vage Angaben zum Tatort nahe Eberswalde, etliche Kilometer vom Fundort der Leiche entfernt. Die Ermittler prüften dann mögliche abgelegene Stellen wie Waldstücke rundherum. Eine von 30 Bodenproben konnte den Erdresten an der Leiche zuordnet werden. Auch das an der Leiche gefundene Sekret entsprach der Blutgruppe des Mannes. Alle Indizien deuten schließlich auf ihn: Günter G. war verheiratet, hatte zur Tatzeit noch eine Geliebte, kam aus der Gegend, kannte sich also aus, zog 1989 in den Barnim in die Nähe von Berlin, weshalb er auch nicht zum Speicheltest geladen wurde. Er war damals als selbstständiger Schafscherer in der Uckermark tätig. Einen Monat nach der Tat gab er den gut bezahlten Job auf. In dem Brief an seine Familie räumt Günter G. die Vergewaltigung der Tramperin ein, den Tod könne er sich aber nicht erklären. Vielmehr habe er sich angewidert von dem Mädchen abgewendet. „Vermutlich als er gemerkt hat, dass sie schon tot ist“, sagte Schnittcher.
Vollends fertig ist Kommissiar Hetke mit dem Fall und dem Täter noch nicht. Jetzt werden weitere, nie aufgeklärte Sexualmorde im gesamten Bundesgebiet überprüft. Arbeit hat der Beamte ohnehin genug: Seine Mordkommission, sechs Ermittler und vier sogenannte Profiler, kümmert sich jetzt nur noch um alte, nie geklärte Fälle. Ganze 120 sind es bislang, Tötungsdelikte, Morde und Vermisste. Der älteste Fall reicht zurück ins Jahr 1948. Hetkes Ermittler können schon einige Erfolge vorweisen. Sie lösten etwa den Mordfall Maja Steiner. Die damals 13-Jährige aus Berlin war im Juli 1988 vergewaltigt und umgebracht worden. Der Täter wurde 2003 gefasst und 2008 zu lebenslanger Haft verurteilt. Auch zwei Raubmordfälle aus den frühen 1990er Jahren in Bernau und Neuruppin konnten die Ermittler klären, in beiden Fällen war ein Wachmann einer Geldtransportfirma erschossen worden.