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Diffuse Aussichten. Kann Sebastian Vettel im Ferrari wirklich Weltmeister werden?
© Glenn Dunbar/Imago
Update

Formel 1: Monumentale Parallelen: Sebastian Vettel will den Titel mit Ferrari

Sebastian Vettel soll in seinem fünften Jahr bei Ferrari endlich den WM-Titel in der Formel 1 holen – wie Michael Schumacher vor 19 Jahren.

Was nicht passieren durfte, geschah in Runde 52. Und als es geschah, weinte der Himmel. 22. Juli, Hockenheimring, Sachskurve. Einige der 70 000 Fans, die mehrheitlich sattes Rot trugen, weinten mit dem Himmel, fassungslos darüber, dass ein überlegenes Auto von der feuchten Fahrbahn rutschte, hinein in eine hässliche gelbe Werbebande. Der Insasse des Unfallgefährts war genauso fassungslos. Er trommelte mit geballten Fäusten auf sein Lenkrad; dann entstieg Sebastian Vettel seinem Firmenwagen, einem sattroten Ferrari, und trat mit gesenktem Kopf den Weg in die Boxengasse an. Es waren die ersten Schritte, die den Anfang vom Ende bedeuteten.

Im Nachhinein betrachtet war das Rennen in Hockenheim, das der damalige Außenseiter Lewis Hamilton wundersamerweise gewann, die Wende im Kampf um die Formel-1-Weltmeisterschaft 2018 – die der Mercedes-Fahrer dann ebenfalls gewann. Seit diesem Tag und jenem Malheur hieß der WM-Gesamtführende nie wieder Sebastian Vettel. Es lag allerdings nicht nur an der feuchten Sachskurve, dass Vettel peu à peu die WM entglitt. Unstimmigkeiten zwischen den Teamverantwortlichen, fehlende Stallorder und Technikprobleme spielten ebenfalls eine Rolle, das wissen sie auch bei Ferrari. In der neuen Saison, die am kommenden Sonntag in Melbourne beginnt, soll deshalb alles ganz anders werden, vor allem aber: erfolgreicher. Der erste WM-Titel seit 2007 soll her. Nichts anderes wird von Sebastian Vettel erwartet.

Ferrari überlasst nichts dem Zufall

Dafür hat Ferrari die eigenen Reihen umgebaut – und sogar dem Auto einen neuen Farbton verpasst. Mattrot statt sattrot. Vielleicht, haben sie in Maranello überlegt, lag es ja auch am aggressiven Kolorit, dass hin und wieder die nötige Kühle fehlte. Neben der Farbe hat Ferrari auch den Teamchef ausgetauscht. Mattia Binotto, zuvor Technikchef, hat Maurizio Arrivabene zu Jahresbeginn abgelöst. Binotto kennt die Scuderia aus dem Effeff, der 49-Jährige verhalf als Ingenieur schon Michael Schumacher zu Titeln.

Bereits vor dem ersten Rennen als Hauptverantwortlicher schallen Binotto die Lobeshymnen nur so entgegen. Bei den jüngsten Testfahrten in Barcelona haben Beobachter frischen Schwung und viel positive Stimmung bei Ferrari ausgemacht. „Es ist eine sehr ruhige Atmosphäre. Natürlich kann sich das ändern, aber aktuell ist die Atmosphäre gut“, sagt Formel-1-Sportchef Ross Brawn. Ein „sehr ruhiger und logischer Kerl“ sei Binotto, dem Brawn viel zutraut. Norbert Haug, Mercedes’ früherer Motorsportchef, behält sich etwas Skepsis vor: „Einen besseren Job als Arrivabene macht Binotto dann, wenn Ferrari 2019 bessere Resultate als 2018 schafft“, sagt Haug.

Die besseren Resultate soll neben Vettel auch ein neuer Fahrer liefern. Anstelle Kimi Räikkönens, der zu Alfa Romeo wechselte, sitzt Charles Leclerc im zweiten Ferrari. Der 21 Jahre alte Monegasse kam vom Sauber-Rennstall, gilt als hoffnungsvolles Talent – und soll Vettels Edelhelfer werden. Zumindest hat Binotto angedeutet, in diesem Jahr die zuvor mit Räikkönen quasi nicht existente Stallorder zugunsten Vettels wieder aufleben zu lassen. Doch erst mal muss Vettel beweisen, dass er schneller als Leclerc fährt.

Sebastian Vettel hat sich für die am kommenden Sonntag in Melbourne beginnende Saison viel vorgenommen.
Sebastian Vettel hat sich für die am kommenden Sonntag in Melbourne beginnende Saison viel vorgenommen.
© Imago

Wie gut der Ferrari läuft, war zuletzt in Barcelona zu bestaunen, wo Vettel einige imposante Bestzeiten servierte. Die neuen Aerodynamikregeln, die einen erheblichen Einfluss auf das Gesamtpaket haben, schienen den Italienern bislang besser zu liegen als Mercedes. Doch Hamilton fuhr schon im vergangenen Jahr bei den Tests hinterher, um am Ende doch wieder ganz oben zu stehen. Haug sagt dazu: „Nicht mehr lange, und wir werden mehr wissen, wer beim Testen tatsächlich das bessere Ende für sich gehabt hat.“ Und tatsächlich: Beim ersten Training in Melbourne ist Hamilton mit deutlichem Vorsprung zur Bestzeit gefahren. Vettel wurde nur fünfter, mit fast neun Zehntelsekunden Rückstand. Ferrari-Teamchef Binotto hat die Favoritenrolle am Freitag dann auch direkt zurückgewiesen: „Wintertests sind nicht dasselbe wie eine Qualifikation oder eine Rennsituation. Erst hier in Melbourne beginnen wir, das Auto richtig zu verstehen“, sagte der 49-Jährige.

Die Hoffnung ist trotzdem mal wieder groß in Italien, wo die Emotionen stärker ausschlagen als anderswo und die Medien gerne magische Momente und Geschichten beschwören. „Ferrari ist in Italien eine Religion, ohne das despektierlich zu meinen“, sagt Haug. Zumal die Gläubigen im heiligen Motorsportland auch schon großen Gefallen an einer Erzählung gefunden haben, die sie sehnlichst erfüllt wissen möchten. Zwei Zahlen spielen darin eine Rolle, zwei Deutsche und ein Italiener.

Der Italiener in diesem Stück ist Enzo Ferrari, er schuf den Mythos Ferrari vor 90 Jahren, das Formel-1-Modell 2019 trägt deshalb den Namen SF90. Die zweite Zahl, fünf, setzt die Deutschen in Szene. Denn wie einst Michael Schumacher in seinem fünften Jahr bei Ferrari den ersten WM-Titel nach Maranello brachte, so soll auch Sebastian Vettel in seinem fünften Jahr die traditionell hoch gesteckten Erwartungen erfüllen – in einem Auto mit der Startnummer fünf.

Die Ferrari-Fans träumen schon

Die Fans träumen schon. „Ich denke, kein Mensch und auch nicht Tausende von Tifosi können Sebastian mehr Druck machen, als er sich selber macht. Und das ist bei allen Bestleistern so – keiner von draußen kann mehr von ihnen erwarten, als sie das selbst tun“, sagt Haug. Für Vettel wäre der erste WM-Triumph mit Ferrari jedenfalls „das Ultimative“, wie er selbst kundtat. Weshalb der Mensch Vettel den Fahrer Vettel wohl am meisten fordert, manche sagen: überfordert.

Die Einschätzung Haugs ist so oder so ähnlich des Öfteren über den ehrgeizigen Vettel zu hören; dass er einen extrem starken Willen habe, hart arbeite, bereit sei, Dinge zu ändern. Dass er, wie einst Schumacher, nicht bloß angestellter Fahrer sei, sondern ins Innere des Teams wirke, als Motivator, als Kommunikator, als Antreiber. „Sebastian sieht Steigerungspotenzial in sich und in seinem Team – so wie Lewis Hamilton auch. Und wäre dies nicht der Fall, wären beide nicht bei den Allerbesten ihres Fachs“, sagt Haug. Mit dem Allerbesten, dem siebenmaligen Weltmeister Schumacher, hat Haug in dessen letzten Karrierejahren bei Mercedes zusammengearbeitet. Ist der Vergleich Vettel-Schumacher also überhaupt zulässig?

Aus alten Zeiten. Michael Schumacher gewann zwischen 2000 und 2004 den Titel.
Aus alten Zeiten. Michael Schumacher gewann zwischen 2000 und 2004 den Titel.
© Gero Breloer/dpa

„Außerhalb des Autos hat ihm in meiner Einschätzung keiner das Wasser reichen können. Keiner ging tiefer in die Details, wertschätzte mehr, forderte mehr, ohne zu überfordern. Und dieses Maß für Umgang, Respekt und Teamplay als Basis für den Erfolg wird noch sehr, sehr lange Bestand haben“, sagt Haug über Schumacher. Er sagt aber auch: „Es ist müßig, Sebastian Vettel mit Michael Schumacher zu vergleichen. Beide haben sich immer geschätzt, Michael hat Sebastian unterstützt, ihm Tipps gegeben.“ Vettel wisse aber selbst, was er als viermaliger Titelgewinner tun müsse.

Bislang schien Vettel allerdings nicht immer genau zu wissen, was zu tun ist. Zu häufig schon wechselten geniale Rennmomente und unnötige Fehler, folgten auf süße Siege qualvolle Niederlagen. Die Cleverness, die gegen einen Ausnahmekönner wie Hamilton nötig ist, fehlte ab und an. „Michael hat Ferrari auf seine Schultern genommen und das Team aus der Krise geführt. Er war ein Leader“, sagte der frühere Formel-1-Chef Bernie Ecclestone neulich. „Vettel ist nicht so.“

Es sind auch solche Sätze, gegen die der Ferrari mit der Startnummer 5 anfährt. Im fünften Anlauf will der 31-Jährige deshalb endlich beweisen, dass es ihn in dieser Saison nicht mehr so leicht aus der Kurve tragen wird wie damals in Hockenheim. Der Hunger auf den WM-Titel ist groß.

David Joram

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