Vor der Präsidentenwahl in Zürich: Montserrat: Ein Ausflug in die absurde Inselwelt Fifa
Die Karibik-Insel Montserrat ist so groß wie Sylt, aber hat bei der Wahl des Fifa-Präsidenten am Freitag die gleiche Stimme wie Deutschland. Nirgendwo ist das System Fifa deutlicher zu erkennen.
- Dominik Bardow
- Johannes Nedo
Die kleine Propellermaschine hielt direkt auf den Vulkan zu. Unter ihr das karibische Meer, vor sich eine grün-braune Insel. Eine Delegation wartete dort bereits: der Fußballverbandspräsident, ein Minister, schwarze Kinder in weißen Schuluniformen. Als der Gast aus dem Flugzeug stieg, funkelte seine Glatze in der Sonne wie ein Versprechen. Gianni Infantino war nach Montserrat gekommen, um zu werben, für sich, als künftigen Präsidenten des Weltfußballs, und um zu erklären, was er der Insel alles Gutes tun könnte.
Am Freitag beim Fifa-Wahlkongress in Zürich braucht der Schweizer jede Stimme. Denn im Weltfußballverband hat jedes der 209 Mitglieder das gleiche Gewicht, China oder Brasilien genauso viel wie San Marino oder die Cayman Islands. Die kleinen Verbände sind dabei in der Überzahl, sie werden also diese Wahl entscheiden. Egal, wie wenige Menschen dort tatsächlich Fußball spielen.
Kein Fifa-Land ist kleiner als Montserrat. Nirgendwo ist das System Fifa deutlicher zu erkennen. Die Fehler, aber auch das Gute. Vor allem lässt sich an Montserrat genau sehen, warum der Fußball eine bessere Fifa bräuchte. Doch auch bei der ersten Wahl nach Joseph Blatter kann der Fußball kaum auf Besserung hoffen.
Keine Liga, keine Vereine - trotzdem ist die Insel vollwertiges Fifa-Mitglied
Die meisten Menschen wissen nicht einmal, wo Montserrat liegt. Nun: östliche Karibik, Kleine Antillen, zwischen Puerto Rico und Trinidad und Tobago. Die Insel ist so groß wie Sylt und gar kein eigenständiger Staat, sondern britisches Überseegebiet, weil sie zu klein ist, um sich selbst zu verwalten. Von 5000 Einwohnern spielen 700 Fußball, 200 registriert und 500 unregistriert. Es gibt dort keine Liga und keine Vereine, aber Montserrat ist vollwertiges Fifa-Mitglied. Und deshalb interessant für Gianni Infantino, den Kandidaten.
Der europäische Fußball-Verband Uefa hat seinen Generalsekretär nominiert, um die Interessen der Europäer zu wahren und zu verhindern, dass künftig ein Kandidat aus einem anderen Erdteil das Sagen im Weltfußball hat. Sein größter Konkurrent, der Scheich Salman Al Chalifa aus Bahrain etwa. Also hat die Uefa Infantino ein großzügiges Wahlkampfbudget von 500 000 Euro zur Verfügung gestellt. Der gesperrte Fifa-Präsident Blatter tritt nach 18 Jahren nicht mehr an, die Karten werden neu gemischt.
Viele Kontinente wählen weiter im Block, bieten ihre Stimmen als Pakete an. Die 23 Karibikstaaten aber, die stets Blatter gefolgt waren, gelten nun als Swing Votes, als fraktionsfrei. Sie könnten am Ende den Ausschlag geben, wenn es knapp wird, und danach sieht es aus. Infantinos Werbetour um den Globus führte daher auch in die Karibik und Ende Januar nach Montserrat.
Ein Stadion am Rande der Welt, nach 20 Jahren Bauzeit noch nicht fertig
Nach seiner Landung besuchte Infantino mit seinem Gefolge – darunter der karibische Fußballstar Dwight Yorke – das einzige Stadion der Insel. Eigentlich ist es nur ein Rasenplatz mit Tribüne und Flutlichtmasten, eingebettet zwischen dramatischen Abhängen, mit Blick auf das endlose Meer. Ein Stadion am Rande der Welt. Und immer noch nicht fertig. Nach fast 20 Jahren Bauzeit wird weiter am Gebäude gewerkelt, Arbeiter mussten ihre Löhne einklagen. Dabei hat der Verband insgesamt 7,1 Millionen US-Dollar Fördergeld von der Fifa erhalten. Anstatt zu fragen, wo die geblieben sind, schwärmte Infantino. „Ich liebe die Fußballanlagen hier“, sagte er zu Radioreportern. Na gut, die Schotterstraße zum Stadion könnte ausgebessert werden. Aber sonst? „Kompliment an den Verband und die Regierung. Sie sind ein Beispiel, was in der Region benötigt wird.“ Offenbar noch mehr Geld. Infantino hat versprochen, dass künftig mindestens 50 Prozent des Fifa-Budgets in Entwicklungsprojekte fließen, sollte er Präsident werden. Dabei hat der Weltverband den Fußball seit 1999 schon mit mehr als 2,6 Milliarden US-Dollar gefördert. Die Verteilung dieses Gelds war Blatter oft als Stimmenkauf ausgelegt worden. Seine Nachfolgekandidaten versprechen nun allesamt, noch einmal mehr Geld auszuschütten. Infantino spricht zusätzlich davon, Weltmeisterschaften bald mit 40 statt nur 32 Teams auszutragen. Ein Wahlkampfversprechen an Mannschaften, die bisher zu schwach waren, um sich für das Turnier der Besten zu qualifizieren.
Montserrat ist davon meilenweit entfernt, dennoch wächst der Einfluss des Zwerges. Nach der jüngsten Reform dürfen künftig im Kongress alle 209 Mitglieder mit abstimmen, wo die nächsten WM-Turniere stattfinden. Die 136 kleinsten Verbände haben laut Fifa-Statistik zusammen so viele registrierte Fußballer wie das größte Mitglied Deutschland: 6,3 Millionen. Aber sie halten zwei Drittel der Stimmen, sie können bestimmen. Dabei werden sich viele dieser Länder nie für eine Weltmeisterschaft qualifizieren.
Montserrat hat noch nie an einem offiziellen Turnier teilgenommen
Montserrat hat bisher jedes WM-Qualifikationsspiel verloren und noch nie an einem offiziellen Turnier teilgenommen, selbst auf Karibik-Ebene nicht, sich zuletzt nicht einmal dafür angemeldet. Man könnte das Nationalteam fast für eine sportliche Briefkastenfirma halten, wenn es nicht 2002 Berühmtheit erlangt hätte durch den Dokumentarfilm „The Other Final“. Darin bestreiten die beiden Letzten der Fifa-Weltrangliste parallel zum echten WM-Finale ein Freundschaftsspiel. Montserrat verlor in Bhutan 0:4 und war also wirklich das schlechteste Team der Welt.
Das hat sich jedoch geändert. Jerome Champagne ist einer der fünf Präsidentschaftskandidaten, auch er will mehr fördern. „Montserrat ist in vier Jahren von Weltranglistenplatz 206 auf 165 geklettert“, führt der Franzose an, „das zeigt doch, dass die Entwicklungshilfe funktioniert.“ Zwischendurch lag die kleine Insel im Ranking vor Indien. Also versickern die Fördergelder am Ende doch nicht, sondern erfüllen wirklich ihren Zweck, den Fußball weltweit voranzubringen?
So einfach ist es nicht. Montserrat hat eine tragische Geschichte. Immer wieder von Hurricanes verwüstet, brach hier 1995 der Vulkan aus, eine moderne Katastrophe biblischen Ausmaßes. Über zwei Drittel der Bevölkerung flohen von der Insel, die alte Hauptstadt Plymouth samt Stadion ist heute eine von Asche überzogene Geisterstadt, gegen die Pompeij bewohnbar wirkt. „Die Briten wollten, dass wir die Insel aufgeben“, erinnert sich Claude Bambi Hogan, heute Minister für Bau und Landwirtschaft. „Als die Fifa unser Stadion genehmigt hat, war es, als wäre Christus auf unserer Insel erschienen. Es war das erste Bauprojekt, ein Zeichen der Hoffnung für unsere Leute, dass es sich lohnt zu bleiben.“ Der Minister war dabei beim Empfang für Infantino. Der Kandidat sah sich das wöchentliche Fußballtraining an, das der Verband an Schulen durchführt. Es gab Gruppenbilder, auf denen alle lachen und winken. Infantino schrieb dazu bei Twitter: „Wir müssen weiter für die Kinder weltweit arbeiten, die Fußball lieben.“ Ohne Fifa-Geld gäbe es auf Montserrat wohl kaum Kinder- und Mädchenmannschaften. Aber trotz Fifa-Geld gibt es hier keine Männerteams. Als Nationalspieler werden mittlerweile Auswandererkinder angeworben, fast alle leben und trainieren in England. Sie für die ein, zwei Länderspiele im Jahr einzufliegen, kostet angeblich 500 000 Dollar, aber in der Weltrangliste schossen sie Montserrat ein Stück nach oben. So viel zur Entwicklung.
Die Stimmen aus Montserrat hat Gianni Infantino schon sicher
Ein nationaler Meister wurde dagegen in Montserrat schon seit 2004 nicht mehr ausgespielt, es gibt keine Vereine mehr auf der Insel. „Fragen Sie Mister Cassell, warum wir keine Liga mehr haben, fragen sie, wo das Geld geblieben ist“, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter, der den Verband im Streit verlassen hat. Doch auf mehrmalige Anfrage konnte sich Verbandschef Vincent Cassell nicht für ein Gespräch mit dem Tagesspiegel gewinnen lassen.
So kann er sich nicht äußern zu den Anschuldigungen: dass er seine Wahlen manipuliert habe. Dass die 1,5 Millionen Dollar des Goal-Projekts der Fifa nicht komplett ins Stadion geflossen seien. Dass von 5,6 Millionen an übrigen Fördermitteln Reisen für Angehörige und Freunde bezahlt wurden – bis nach Bhutan. Das alles zu überwachen, wäre eigentlich eine Aufgabe für einen Buchprüfer. Doch der sitzt im Fall Montserrat auf Trinidad und Tobago, der Heimat von Jack Warner. Der frühere Fifa-Vizepräsident und Chef des Karibikverbandes war ein guter Freund von Vincent Cassell und Joseph Blatter. Mittlerweile ist er lebenslang gesperrt. Kein Wunder, dass der frühere Mitarbeiter behauptet, der Buchprüfer hänge mit drin.
Der Weltverband kann nicht jedes Mitglied kontrollieren
Infantino predigte beim Insel-Besuch zwar mehr Transparenz, aber ohne auszuführen, ob und wie er die durchsetzen will. Auch Scheich Salman soll Leute in der Karibik haben, die für ihn werben. „Im aktuellen Wahlkampf wird mehr über Wahlgeschenke geredet als über Reformen“, beklagt Damian Collins, Mitglied des britischen Parlaments und Mitgründer der Initiative „New Fifa Now“. „Es muss mehr unabhängige Rechnungsprüfung geben.“ Doch warum sollte ein Kandidat einem Verband, dessen Stimme er will, mit mehr Kontrollen drohen? „Die Geschäftsführung, speziell die Buchprüfung, ist Sache der einzelnen Verbandsvorstände“, teilt die Fifa mit. Übersetzt heißt das: Der Weltverband könne nicht jedes Mitglied kontrollieren. „Es muss Inspektionen vor Ort geben“, fordert Parlamentarier Collins dagegen. Doch bei allen geplanten Reformen, die am Freitag ebenfalls zur Abstimmung stehen – das Prinzip „Ein Land, eine Stimme“ traut sich niemand anzutasten. Regierungen sollen sich zudem weiter raushalten. „Und wie kann man der Fifa vertrauen, wenn einige wenige Leute in den Führungsgremien die Fördergelder verteilen?“, fragt Collins. Schon Blatter hatte betont, er gebe den Armen, wie Robin Hood. Doch der wollte nie von den Armen gewählt werden. „Die Fifa zu reformieren ist nahezu unmöglich“, sagt Collins und glaubt: „Die Fifa bremst den Fußball in seiner Entwicklung.“
Wenn das stimmt, dann würde in Montserrat gar kein Stadion stehen. Dann würden hier kaum Kinder spielen, dann wäre da nur Asche. Es kommt schon Geld an. „Leider nicht alles, aber doch genug“, sagt Minister Hogan. „Aber wenn einiges in private Taschen geflossen ist, und ich glaube, das ist es, wer hat das erlaubt?“ Er meint: die Fifa. Infantino, glaubt Hogan, werde es besser machen. Doch der Schweizer will, trotz aller Lecks, noch mehr Geld ins System pumpen. Gianni Infantino versprach, Montserrat bei weiteren Projekten zu unterstützen, bevor er wieder in die Propellermaschine stieg, weiter zur nächsten Insel, immer der Wahl in Zürich entgegen. Die Stimme aus Montserrat, das hat Minister Hogan bereits erklärt, hat er sicher.