Tour de France: Mont Ventoux: Röntgenstrahlen auf dem kahlen Riesen
Um Motordoping zu verhindern, setzt die UCI mittlerweile sogar Röntgengeräte bei der Tour de France ein.
Bisher ging es bei der Tour de France um Abfahrten. Chris Froome holte auf der Abfahrt vom Col de Peyresourde das Gelbe Trikot. Heute geht es wieder richtig herum. Etappenziel ist der mythische Mont Ventoux, jener kahle Gipfel der Provence, den der Poet Petrarca einst bestieg und dabei über die unglückliche Liebe zu seiner Muse Laura de Sade sinnierte. Der Sturm auf den Mont Ventoux wird heute ein verkürztes Spektakel. Die Etappe auf den Gipfel mit einem eigentlich 15,7 Kilometern langen Anstieg wird sechs Kilometer vorher beendet. Wegen vorhergesagter Windgeschwindigkeiten von über 100 Stundenkilometern fällten die Tour-Verantwortlichen am Mittwoch diese Entscheidung.
Der Mont Ventoux ist der Gipfel, an dem der britische Radprofi Tom Simpson gestern vor 49 Jahren sein Leben ließ. Er sinnierte nicht wie Petrarca, er delirierte – auch wegen eines Cocktails aus Amphetaminen und Alkohol. Simpson wollte schnell sein, schneller als die anderen und putschte sich deshalb auf. Simpsons Landsmann Chris Froome will ebenfalls schnell sein. Er war schon einmal der Schnellste auf diesem Berg. Als das Tourpeloton sich 2013 die langen Serpentinen durch die Mondlandschaft nach oben wand, gewann er, mit 29 Sekunden Vorsprung vor seinem heutigen Hauptrivalen Nairo Quintana.
Weil Froomes Zeit (und auch die Quintanas) sich mit den Bestzeiten aus der Hochdoping-Ära durchaus messen ließ, ging das Dopingverdachtsgewitter wieder einmal los. Lücken im Kontrollsystem gab und gibt es, selbst wenn die französische Antidopingagentur AFLD jetzt einen verfeinerten Epo-Test einsetzt, der auch kleinste Dosierungen dieses Blutmedikaments nachweisen soll. Die Pharmadoping-Debatte ist mittlerweile aber abgelöst von der Motordoping-Debatte. Wann, wenn nicht beim Mont Ventoux, würde ein Einsatz solcher Hilfsmotoren sinnvoll sein, um entspannt an der Gedenkstele für Tom Simpson vorbeizufahren und eine gute Platzierung zu erreichen?
Auch der Weltverband nimmt die Bedrohung ernst
Die Technik dafür gibt es. Nur fünf Zentimeter lang und dünner als der Innendurchmesser eines Fahrradrahmens sind die Motoren, die der ungarische Ingenieur Istvan Varjas herstellt. Für normale Klienten vertreibt sie der Fahrradladen Bike Express in Budapest. 7000 Euro kosten Material und Einbau in den Rahmen, den der Kunde selbst mitbringt. Die Preise kann sich selbst ein Radamateur leisten. Dass Varjas’ Motoren im Profipeloton unterwegs sind – davon ist der Verkäufer in seinem Budapester Laden felsenfest überzeugt. Varjas selbst kann man nicht fragen, der reagiert nicht auf Anfragen. Pikant ist, dass der Ungar 2015 am Rande der Tour gesehen wurde. Noch pikanter, dass er verschwand, nachdem er über einen Mitarbeiter der UCI den Tipp bekommen hatte, dass die französische Polizei ihn sprechen wolle.
Seitdem die UCI im Frühjahr einen Motor im Rad einer belgischen Crossfahrerin fand, nimmt auch der Weltverband die Bedrohung richtig ernst. Luc Geysen, der UCI-Kommissar, der auch den Motor bei der Belgierin fand, dirigiert bei der Tour gleich mehrere Teams, die Räder der Tour de France-Fahrer auf Motoren scannen. Etwa 150 Räder werden täglich gecheckt. Der Belgier Geysen hat seit ein paar Tagen noch einen weiteren Job bei der Tour. Im Zielbereich steht er neben einem unscheinbaren braunen Zelt. Geysens Mitarbeiter nehmen hier Räder entgegen und bringen sie ins Zelt, dort werden die Räder mit Röntgenstrahlen durchleuchtet.
Dass die Kontrollen nötig sind, davon ist mittlerweile jeder bei der Tour überzeugt. „Wo Rauch ist, da ist auch Feuer“, sagt etwa Patrick Lefevere, Rennstallchef von etixx Quickstep.