Fußball-WM der Frauen: Mit deutscher Mentalität: Martina Voss trainiert die Schweiz
Ex-Nationalspielerin Martina Voss steht mit den Schweizerinnen im Achtelfinale - die Entwicklung bei DFB kritisiert sie: Steffi Jones sei als kommende Bundestrainerin eine Fehlbesetzung.
Sauer war sie. Natürlich. Wie man eben sauer ist nach solch einem Spiel. Solch einem Mist, wie eine Spielerin sagte. Alle Vorteile hatte ihre Mannschaft in den Händen gehalten, ein erstklassiges Torverhältnis ausgewiesen und dann auch noch geführt im abschließenden Gruppenspiel. Ein Unentschieden hätten sie zum sicheren Erreichen des Achtelfinales gebraucht. Und dann verloren sie die Ordnung und das Spiel. 1:2 statt 1:0, Platz drei statt Rang zwei. Martina Voss-Tecklenburg war sauer. „Das haben wir nicht gut gemacht“, tadelte sie.
Seit fast dreieinhalb Jahren trainiert die 47-jährige Duisburgerin das Nationalteam der Schweiz. Die 125-malige deutsche Nationalspielerin hat die Mannschaft erstmals zu einer WM geführt. Jetzt stehen die Schweizerinnen trotz der 1:2-Niederlage am Dienstag gegen Kamerun als einer der besten Gruppendritten im Achtelfinale und fordern dort Gastgeber Kanada. Doch Voss-Tecklenburg, die viermalige Europameisterin, gibt sich damit wohl kaum zufrieden. Die Schweizerinnen wollen ins Viertelfinale.
An Voss-Tecklenburg war es, der Schweiz Siegerqualitäten zu vermitteln. Eine Mentalität einzutrichtern, einzuimpfen, die man in der Schweiz gerne als „deutsche Mentalität“ bezeichnet. Oder bewundert. „Sie hat unsere Grenzen verschoben und in uns das Selbstvertrauen geweckt“, sagt Stürmerin Lara Dickenmann. Voss-Tecklenburg selbst schildert es so: „Ich habe rasch gespürt, dass sich die Schweizer gerne verstecken, auch mal hinter ihrer Neutralität. Sie sehen eher die Dinge, die sie nicht so gut machen, anstatt Dinge, die sie gut machen.“ Angetreten ist sie, um das zu ändern, auf breiter Fläche. Neben ihrem Job als Nationaltrainerin arbeitet sie im Ausbildungszentrum des Fußballverbandes in Biel bei Bern auch mit den Juniorinnen.
Als sie in die Schweiz kam, spielte nur ein kleiner der Teil der Nationalspielerinnen im Ausland
Bevor Voss-Tecklenburg vom USV Jena in die Schweiz kam, spielte nur eine Handvoll Schweizerinnen im Ausland. Der Rest kickte in der beschaulichen Schweizer Liga, einem reinen Amateurbetrieb. Heute stehen von den 23 Spielerinnen im WM-Kader 15 bei ausländischen Klubs unter Vertrag, die meisten von ihnen in Deutschland. In Wolfsburg, bei den Bayern, beim 1. FFC Frankfurt; einige dieser Transfers hat Voss-Tecklenburg eingefädelt. Das Nationalteam ist keine Wohlfühloase mehr, sondern ein Leistungsbetrieb. „Sie pusht uns“, sagt die Frankfurter Champions-League-Siegerin Ana-Maria Crnogorcevic. Trotz forscher Art kommt Voss-Tecklenburg an in der Schweiz. Die große Liebe zum Frauenfußball war zuvor nicht entflammt im Land, die Zuschauerzahlen bei Liga- und Länderspielen sind überschaubar, aber Voss-Tecklenburg gibt nicht auf. „Ich habe das Gefühl, dass der Sport in der Schweiz generell nicht den Stellenwert hat wie andernorts“, sagt sie. „Hier ist eher die Ausbildung wichtig, die berufliche Karriere, das Geld.“
Dass solche Aussagen negative Reaktionen auslösen könnten – davor hat sie keine Angst. Sie ist auch in der Heimat nicht zurückhaltend. Nachdem der Deutsche Fußball-Bund (DFB) wenige Wochen vor der WM bekanntgab, dass Bundestrainerin Silvia Neid im kommenden Jahr durch Steffi Jones ersetzt wird, zeigte sich Voss-Tecklenburg irritiert. „Mit dieser Entscheidung unterminiert man das ganze Trainerausbildungssystem“, sagte sie. Der DFB müsse sich die Frage gefallen lassen, ob „es richtig sei, bei der Vergabe des wichtigsten Traineramts im Frauenfußball eine Person auszuwählen, die null Trainererfahrung hat“. Voss-Tecklenburg hat schon viel Erfahrung, und sie traut sich noch viel zu.
Lukas Kuchen