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Steffi Jones wird 2016 Bundestrainerin. Ob sie in ihrer neuen Funktion auch Pokale hochhalten wird?
© picture alliance / dpa

Frauenfußball: Steffi Jones: Der schwere Weg zur Bundestrainerin

Steffi Jones hat sich von ganz unten hochgekämpft. Der DFB sieht sie als Symbol für die integrative Wirkung des Frauenfußballs. Reicht das, um im nächsten Jahr Bundestrainerin zu werden?

Weiter unten kann eine Fußballkarriere kaum beginnen. Als Steffi Jones das erste Mal mit ihrem großen Bruder Christian und dessen Freunden kicken geht, bleibt der Vierjährigen nur die Rolle als Torpfosten. Das Mädchen nervt die Jungs, ihr drei Jahre älterer Bruder ärgert sich, dass er die kleine Schwester überall hin mitschleppen und auf sie aufpassen muss. Also ist sie zuerst nur der Pfosten, später darf sie ins Tor, irgendwann lassen die Jungs sie richtig mitspielen. Steffi Jones erzählt das alles mit einem Grinsen, sie hat noch mehr solche Geschichten auf Lager. Vom Nichtaufgeben, Durchbeißen, Weitermachen.

Eigentlich ist ihr ganzes Leben so eine Geschichte.

Ende April, Steffi Jones besucht die Sporthalle der Spartacus-Grundschule in Friedrichshain. Sie kommt als Botschafterin des Champions-League-Endspiels der Frauen. Steffi Jones – schwarze Hose, braune Bluse, flache Schuhe, Perlohrringe – betritt die kleine Bühne. „Entscheidend ist, dass ihr etwas findet, das euch Spaß macht“, gibt sie den etwa 100 Kindern im Publikum mit auf den Weg. Mit vielen kleinen Erfolgen könne man Großes erreichen. Als Beispiel führt Jones an, dass viele junge Fußballer und Fußballerinnen beim Kopfball erst einmal die Augen schließen. Entscheidend sei aber, die Augen aufzumachen und den Ball anzuschauen. Und wenn man ihn dann mit der Stirn treffe und eine neue Richtung gebe, „dann ist das etwas, das einem Selbstvertrauen gibt“.

Das wichtigste Amt des deutschen Frauenfußballs

Steffi Jones hat die Augen schon früh in ihrem Leben aufgemacht. Die 42-Jährige hat es immer wieder geschafft, ihre Angst zu überwinden, ein Ziel anzuvisieren und zu treffen. Sonst würde sie jetzt nicht vor den Friedrichshainer Kindern sprechen. Sonst wäre sie nicht in 111 Länderspielen für Deutschland aufgelaufen, wäre nicht Weltmeisterin und dreimalige Europameisterin geworden, hätte nicht zwei Mal Olympia-Bronze gewonnen. Sonst wäre sie 2013 beim „Ball des Sports“ nicht mit ihrer damaligen Lebensgefährtin und heutigen Ehefrau über den Roten Teppich gelaufen und hätte sich nicht stilvoll und selbstbewusst als homosexuell geoutet. Vor allen Dingen hätte sie nicht die WM im Frauenfußball 2011 als Präsidentin des Organisationskomitees geprägt.

Trotzdem war es eine Überraschung, als der Deutsche Fußball-Bund (DFB) Ende März verkündete, dass Steffi Jones im kommenden Jahr das wichtigste Amt im deutschen Frauenfußball übernimmt und Bundestrainerin wird. Die aktuelle Bundestrainerin Silvia Neid wollte nach zehn Jahren im Amt frühzeitig ihre Nachfolge klären. Sie wird die Nationalmannschaft noch bei der WM in Kanada betreuen, in die das deutsche Team am heutigen Sonntag gegen die Elfenbeinküste startet (22.00 Uhr, live im ZDF). Olympia 2016 in Rio de Janeiro wird Neids letztes Turnier als Bundestrainerin, dann übernimmt Jones. Trotz all ihrer Erfolge, Ausstrahlung und Popularität hält das nicht jeder für eine gute Idee.

Steffi Jones hat zwar die höchste deutsche Trainerlizenz – als Trainerin gearbeitet hat sie aber noch nie. Seit 2011 arbeitet sie beim DFB im Hintergrund, als Direktorin für Mädchen- und Frauenfußball. Es heißt, der DFB habe eigentlich die U-20-Nationaltrainerin Maren Meinert als neue Bundestrainerin favorisiert, die eher introvertierte Meinert schreckte aber vor der großen Öffentlichkeit zurück. Dieses Problem hat Steffi Jones nicht. Dass sie nun ohne jede Erfahrung die wichtigste Frauen-Mannschaft des Landes übernehmen soll, dass der Verband sich ohne Not auf dieses Experiment einlässt, hat bei vielen Beobachtern Kopfschütteln verursacht. Selbst DFB-Präsident Wolfgang Niersbach räumt ein, es gebe da „ein kleines Risiko“. Dem Verband wird sogar vorgehalten, in einer Art Quotenregelung aus Prinzip ohne Rücksicht auf ihre Qualifikation eine Frau zur Bundestrainerin zu machen – und einen geeigneten männlichen Kandidaten von vornherein auszuschließen.

Steffi Jones reagiert auf die Kritik gelassen. „Es ist Fakt, dass mir die praktische Erfahrung fehlt. Da machen wir auch gar keinen Hehl draus“, sagt sie. „Ich wollte immer Trainerin sein. Und jetzt isses so. Und ich freue mich drauf.“ Es gehe nicht um Männer und Frauen, „da bin ich die Letzte, die so denkt“.

Ob man das Gleiche von ihren männlichen DFB-Chefs behaupten kann, ist allerdings fraglich. Bisweilen scheinen die Funktionäre Männerfußball und Frauenfußball wie zwei unterschiedliche Sportarten behandeln zu wollen, in dem bitteschön auch Männer und Frauen das Sagen haben sollen, aber fein säuberlich getrennt. Und beim Thema Frauenfußball will der Verband immer ein bisschen mehr als nur sportlichen Erfolg, sondern offenbart auch ein erstaunliches und bisweilen verkrampftes gesellschaftliches Sendungsbewusstsein.

Die Lebensgeschichte von Steffi Jones scheint da gut zu passen.

Stephanie Ann Jones, Tochter einer Deutschen und eines US-Soldaten, hätte ihre Augen auch vor den Dingen verschließen können, die um sie herum passiert sind. Sie wächst im Frankfurter Problemviertel Bonames auf. Der Vater lässt die Familie früh im Stich, ihre Mutter muss Tag und Nacht arbeiten, um sich und die drei Kinder zu ernähren. Ihr großer Halbbruder Christian setzt seine Schwester nicht nur als Torpfosten ein, sondern lässt sie auch manchmal auf den Fußweg zum Kindergarten einfach stehen, dann muss die Vierjährige den Weg allein finden. Von anderen Kindern wird das Mädchen als „Negerlein“ und „Krollekopp“ gehänselt.

Zu naiv sei sie, heißt es. Wird sie unterschätzt?

Ihre Mutter möchte, dass sie Tennis spielt, Röcke trägt und sich die Haare länger wachen lässt. Nein, nein und nein, Jones setzt ihren Kopf schon als Kind durch.

Später fängt ihr Bruder Christian an zu lügen, zu trinken, zu stehlen, zu prügeln, Drogen zu nehmen. Plötzlich muss Steffi Jones auf ihren großen Bruder aufpassen, der an der Nadel hängt oder im Knast sitzt oder beides und sie immer wieder aufs Neue enttäuscht. Und auf ihren kleinen Halbbruder Franky, das dritte Kind ihrer Mutter vom dritten Vater, der sich später freiwillig für die US-Armee meldet und im Irakkrieg beide Beine verliert. Egal was ihr und ihrer Familie zustößt, im Fußball findet Steffi Jones immer Halt. „Ein Ball allein genügte oft, um mich zufriedenzustellen“, schreibt sie in ihrer Autobiographie über ihre Kindheit. Und: „Ich bin überzeugt davon, dass ich diese Karriere gerade wegen der widrigen Umstände starten konnte.“

Keine angenehme Geschichte, aber eine starke Geschichte. Eine Geschichte, die auch den Funktionären beim DFB gefällt. Im November 2007, Steffi Jones hat ihre Karriere als Spielerin noch nicht einmal beendet, macht sie der Fußballverband im Alter von gerade einmal 34 Jahren zur Präsidentin des Organisationskomitees der Frauen-WM 2011 in Deutschland. „Ihr Lebensweg zeigt gerade auch die integrative Kraft des Sports, die in unserer Gesellschaft mehr denn je gefragt ist“, sagt der damalige DFB-Präsident Theo Zwanziger über Steffi Jones.

Jetzt ist sie nicht mehr nur eine gute Fußballerin aus schwierigen Verhältnissen, sondern ein Symbol.

Jones übernimmt für die Frauen-WM jene Rolle, die Franz Beckenbauer fünf Jahre zuvor für die Männer-WM ausgefüllt hat – auch diese Aufgabe erscheint vielen eine Nummer zu groß für sie. In den dreieinhalb Jahren bis zum WM-Start tritt sie bei rund 1500 öffentlichen Terminen auf, fliegt rund um die Welt und besucht alle 15 Nationen, die neben Gastgeber Deutschland an dem Turnier teilnehmen, sogar Nordkorea, in den USA gibt sie CNN und „New York Times“ Interviews. „Das war eine völlig andere Welt, eine Traumwelt“, sagt sie heute über Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und anderen Politikern. „Ich musste mich immer kneifen und sagen: Du bist die kleine Steffi und triffst jetzt diese Menschen, die ein Land leiten.“ In Anspielung auf Beckenbauers Fußstapfen und ihre bisweilen naiv wirkende Freude an ihrem Job nennt sie „Spiegel Online“ in einem Porträt spöttisch „die kindliche Kaiserin“. Aber die kleine Steffi aus Bonames macht ihre Sache gut, das WM-Turnier wird ein Erfolg, auch wenn das deutsche Team im Viertelfinale ausscheidet.

Vier Tage nach dem Termin in der Grundschule ist Steffi Jones schon wieder in Berlin. Der europäische Fußballverband Uefa hat ins Rote Rathaus zum „Cup-Handover“ eingeladen, einer pompösen Zeremonie, bei der die Champions-League-Pokale der Männer und Frauen an den Regierenden Bürgermeister übergeben werden. Steffi Jones fungiert wieder als Botschafterin, wieder geht sie mit ihrem etwas breitbeinigen Gang auf die Bühne und beantwortet alle Fragen souverän und entspannt. Der Moderator will wissen, wie das so war im ersten Europapokal-Endspiel der Frauen 2002, als sie den 1. FFC Frankfurt zum Titel schoss. Und er fragt natürlich auch nach ihren Plänen als Bundestrainerin, zu denen sie am liebsten gar nichts sagen würde. „Sie können davon ausgehen, dass das Konzept und alles steht“, sagt sie. „Wenn ich dann mal anfange, nach den Olympischen Spielen, dürfen sie mich beurteilen.“

Der Deutsche Fußball-Bund hat Steffi Jones mit der frühen Ernennung zur Bundestrainerin im Wartestand nicht unbedingt einen Gefallen getan. Bis sie die Mannschaft tatsächlich übernimmt, werden fast eineinhalb Jahre vergehen. Das deutsche Team wird bei zwei Turnieren antreten – und womöglich zwei Titel gewinnen. „Das wollen wir doch hoffen. Das ist der Plan“, sagt Jones. Dabei könnte es auch eine Bürde sein, den aktuellen Weltmeister und Olympiasieger zu übernehmen. Bei der WM in Kanada möchte sie sich erst einmal im Hintergrund halten und lieber bei den ganz großen Fußballadressen hospitieren. Vor großen Namen und großen Zielen hat sie längst keine Angst mehr.

Ihr Selbstwertgefühl, hat sie mal erzählt, habe sie erst mit zwölf Jahren entdeckt. Da wird sie in ihrer Mannschaft als einziges Mädchen von den Jungs zur Spielführerin gewählt. Wenig später erfährt sie, dass sie das Jungs-Team verlassen muss, der DFB erlaubt gemischte Teams nur bis zur B-Jugend. Sie weint vor Verzweiflung, weil sie sich nicht vorstellen kann, dass es auch andere Mädchen gibt, die sich so für Fußball begeistern können.

Nach dem ersten Schock setzt sie sich aber auch bei den Frauen durch. Erst als Stürmerin, später rückt sie ins Mittelfeld und schließlich in die Verteidigung, wo sie als athletische, torgefährliche und kopfballstarke Abwehrspielerin ihre Bestimmung findet. Am Anfang ihrer Karriere muss sie noch als Putzfrau, Kassiererin und Supermarktleiterin arbeiten, weil man als Fußballerin kein Geld verdienen kann. Sie wechselt fast jede Saison den Verein, spielt zwei Jahre lang in der neugegründeten Profiliga in den USA und kehrt am Ende wieder zurück nach Frankfurt zu dem Verein, bei dem sie 15 Jahre zuvor zur Nationalspielerin gereift ist.

Es ist kein geradliniger Weg, den sie sich ausgesucht hat. Kein einfacher Weg. Langjährige Weggefährten sagen, sie habe sich immer Aufgaben zugetraut, die zunächst zu groß erschienen. „Ich bin noch mal wahnsinnig gereift“, sagt sie über die von Bürokratie und Verbandsarbeit geprägten vergangenen vier Jahre beim DFB. „Das ist auch der Grund, warum ich für mich sage: Ich werde auch das Amt der Bundestrainerin meistern können.“

Im Gegensatz zur bisweilen verkniffenen aktuellen Bundestrainerin Silvia Neid wirkt Steffi Jones entspannt und im Reinen mit sich. „Ich bin sehr ausgeglichen gerade. Ich sage, was ich denke“, sagt sie und fügt nach kurzer Pause hinzu: „Schon bedachter als früher.“ Sie kann konzentriert zuhören, ihr Lachen kommt spontan und wirkt ansteckend, als Botschafterin ist sie absolut überzeugend.

Ob sie als Bundestrainerin genauso überzeugend sein kann, muss sie erst noch beweisen. Denn auch Steffi Jones weiß: Weiter oben kann eine Fußballkarriere kaum ankommen.

Lars Spannagel

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