Nationalelf in Frankreich: Michel Platini darf nicht zuschauen
Im Spiel gegen Frankreich sucht Bundestrainer Joachim Löw nach Kandidaten für die EM.
Es hätte alles so schön sein können – Michel und Wolfgang in trauter Zweisamkeit oben im Zentrum der Ehrentribüne des Stade de France in Saint-Denis, wo Frankreich 1998 Weltmeister wurde. Und zu Gast der aktuelle Fußball-Weltmeister Deutschland mit Platinis altem Kumpel Niersbach an der Spitze der Delegation. Der 60 Jahre alte Uefa-Präsident Platini ist jüngst vom Weltverband Fifa für 90 Tage suspendiert worden, weshalb er de facto von der Teilnahme an allen nationalen und internationalen Fußballaktivitäten ausgeschlossen ist. Frankreichs Fußballidol erhält schlicht keinen Einlass. Und Niersbach, 64, hat es vor wenigen Tagen aus Amt und Würden gespült. Beide könnten sich nun wie ganz normale Fußballfans zum gemeinsamen Freitag-Fernsehabend verabreden, doch dazu fehlt ihnen vermutlich der Sinn.
Gespielt wird trotzdem, gut 16 Monate nach dem letzten Duell der beiden durchgerüttelten Fußballnationen. Das Viertelfinale der WM 2014 im Maracana zu Rio gewann die deutsche Mannschaft nach einem Tor von Mats Hummels. Es war ein enges Match, das Bundestrainer Joachim Löw nach dem WM-Sieg als das Schlüsselspiel bezeichnete. Und auch jetzt besitzt dieses Duell Brisanz, ganz unabhängig von den Verwerfungen auf Funktionärsebene.
Den Franzosen fehlen als gesetztem EM-Gastgeber echte Wettkämpfe, und Deutschland hat sich mehr schlecht als recht durch die Qualifikation gespielt. Ein ganzes Jahr lang fand die Mannschaft von Löw weder die Form noch die Spannung, die sie in Brasilien noch zum Titel getragen hatte. Nach den beiden abschließenden EM-Qualifikationsspielen im Oktober gegen Irland (0:1) und Georgien (2:1) stellte Löw ernüchtert fest: „Wir müssen die eine oder andere Überlegung anstellen.“
Grundsätzlich ist es gut, dass sich der Bundestrainer für die Testspieltermine hochkarätige Gegnerschaft wünscht wie jetzt Frankreich. Nur solche Vergleiche bringen etwas. „Wir wollen uns dort natürlich gut verkaufen, ein gutes Ergebnis machen“, sagte Löw vor dem Spiel im Endspielstadion der kommenden EM. Der 55-Jährige möchte die Testspiele aber auch für taktische Experimente nutzen: „Ich bin auch in der Pflicht, manche Dinge auszuprobieren im Hinblick auf die EM“, sagte Löw. Dies dürfte allerdings eher im Spiel am kommenden Dienstag gegen die Niederlande in Hannover der Fall sein. Im März folgen noch die beiden Klassiker gegen England und Italien, dann steht auch schon die Nominierung für die EM an.
„Wir wissen, dass wir in den nächsten Monaten einige Arbeit vor uns haben, um wieder auf das Niveau der WM zu kommen“, sagte Löw. Erschwerend kommt hinzu, dass Spieler wie Marco Reus und Mario Götze aktuell verletzt oder wie Jerome Boateng, Christoph Kramer oder Max Kruse nicht ganz fit sind. Den Weltmeistern Mesut Özil und Toni Kroos, die in ihren Vereinen hohe Belastungen zu tragen haben, gönnte Löw eine schöpferische Pause.
Dafür können sich Spieler erneut beweisen, die zuletzt sehr selten oder lange nicht mehr zur Auswahl zählten wie Julian Draxler oder Mario Gomez. Der 30 Jahre alte Gomez „wird Spielzeit bekommen“, sagte gestern Löws Assistent Thomas Schneider, ähnlich verhält es sich auch mit Leroy Sané. Der 19 Jahre alte Schalker Mittelfeldspieler ist die Entdeckung der Saison und wurde erstmals von Löw nominiert.
Gomez und Sané könnten eine Schwäche beheben helfen, die sich wie ein roter Faden durch die Qualifikationsspiele zog: die Abschlussschwäche. Man sei wie ein Boxer, der viele Treffer, aber nicht frühzeitig den K. o. landet, hatte Löw unlängst gesagt. Auch deswegen holte der Bundestrainer einen klassischen Mittelstürmer wie Gomez als Alternative zurück. „Wenn einer da ist, der die Form und das Selbstvertrauen hat, bin ich um jeden Stürmer froh“, sagt der Bundestrainer. Miroslav Klose ist ja nicht mehr da.
Auch Philipp Lahm zog sich nach der WM aus dem Nationalteam zurück. Und so hat Löw auf beiden Außenverteidigerpositionen ein Besetzungsproblem. Zuletzt spielten dort Emre Can, Sebastian Rudy, Matthias Ginter und Jonas Hector vor. Restlos überzeugen konnte keiner der Kandidaten. Auch diese Plätze sind also noch frei.