Fehlstart bei der Fußball-WM 2018: Mein Klinsmann-Trikot stürzte Deutschland in die Krise
Jeder Fußballfan kennt den blauen Pullover von Udo Lattek, den er aus Aberglaube trug, solange seine Mannschaft siegte. Unser Autor ist schuld am 0:1 gegen Mexiko. Wegen seines Trikots.
Im Juni 2014 hielt ich das gute Stück in den Händen. In einem dünnen Pappumschlag war es mir geschickt worden. Weißer Stoff, metallisch glänzend. Auf der rechten Seite, knapp über der Leber, das alte Herstellerlogo. Auf der linken Seite das Wappen des DFB. Vor allem aber: Der schwarz-rote-goldene Poncho am Hals und die Nummer 18 auf dem Rücken. Das WM-Trikot von 1994.
Zeit meiner Kindheit wollte ich ein Trikot besitzen. Im Sommer kaufte ich mir Bundesliga-Sonderhefte, ging ins Freibad und inspizierte jedes Design – nuckelte an meiner Capri-Sonne und träumte von einem blau-roten Bayerntrikot der Saison 1996/97. Alles, was ich je bekam, war ein Schlafanzug mit eingesticktem Wappen meiner Oma. Ähnlichkeit mit dem Original? Fehlanzeige. Trikots blieben immer eine Sehnsucht.
Bis ich viele Jahre später dann eigenes Geld verdiente und an Trikots alles kaufte, was ich in die Hände bekam. Greuther Fürth, Oberhausen auswärts, FC Benidorm und gerne auch was ausgefallenes. Das Juwel meiner Sammlung aber kaufte ich vor vier Jahren. Meine ganz persönliche blaue Mauritius: Ein Klinsmann-Trikot der WM 1994, original, ein bescheidenes Vermögen wert.
Das Trikot erwies sich als perfektes Understatement im allgemeinen Schland-Taumel. Als ginge man in Bademantel und Fischerhut auf die Fashion-Week. Ich trug es an jedem Spieltag. Gegen Portugal, gegen Algerien, im Finale. Und ich war sicher: Dieses Trikot bringt Glück. Dieses Trikot musste der Grund, dass Deutschland gewann.
Trägt er Schland oder Oberhausen auswärts?
Also trug ich das Trikot auch zwei Jahre später, hatte deswegen keinerlei Sorge im Elfmeterschießen gegen Italien. Bis zum verhängnisvollen Abend im Halbfinale gegen Frankreich. Ich hatte es, entschuldbar ist das nicht, einfach vergessen. Wie Trapattoni 1997 hatte ich einfach auf Klinsmann verzichtet. Und Deutschland verlor. Zum ersten Mal.
Und so stand ich an vergangenen Sonntagmorgen zweifelnd vor meinem Kleiderschrank. Sollte ich das Trikot tragen? Auch wenn ich einfach nur zur Arbeit ging? Ich entschied mich dagegen. Und Deutschland verlor schon wieder, 0:1 gegen Mexiko. War das noch Zufall? Oder schon Leichtsinn?
Nun ist Schland in der Krise. Und an allem schuld – bin ich. Vielleicht. Meine Kleidungsfrage ist zur nationalen Verpflichtung mutiert, die außer mir niemand kennt. Nicht auszuschließen, dass die Menschen vor meiner Tür warten werden, wenn ich am Samstag heraustrete. Trägt er Schland oder Oberhausen auswärts? Ich werde sie nicht enttäuschen.
Der Tagesspiegel kooperiert mit dem Umfrageinstitut Civey. Wenn Sie sich registrieren, tragen Sie zu besseren Ergebnissen bei. Mehr Informationen hier.
Tobias Ahrens