Kinofilm: Mario Götze - ein Leben wie eine Tragödie
Es hört nicht auf. Ständig geht es um seinen Treffer im WM-Finale. Was stellt das mit Mario Götze an? Ein Kinofilm sucht Antworten.
Neulich hat Aljoscha Pause mal wieder Mario Götze gesehen. Nicht persönlich, sondern im Fernsehen, beim Champions-League-Spiel in Brügge. Götze war so lala, schoss aber immerhin einmal aufs Tor, das gelang an diesem Abend nicht allzu vielen seiner Kollegen von Borussia Dortmund. Und doch hat Aljoscha Pause geahnt, was da irgendwann kommen musste. „Mario ist ein Pass misslungen, ich konnte förmlich sehen, wie der Fernsehkommentator mit dem Kopf schüttelte, dann hat er gesagt: ‚Ach, Götze! Alles, was mehr als Standard ist, geht schief!' Verstehen Sie, worauf ich hinaus will? Alle Dortmunder waren schlecht, alle hätte man kritisieren können. Aber der einzige, den sich der Kommentator herauspickt, ist Mario Götze!“
Seit dem WM-Tor verfolgt ihn die Melancholie
Es hört nicht auf. Keine Woche, keinen Tag, keine Stunde, seitdem Mario Götze im Juli 2014 der deutschen Nationalmannschaft den vierten Stern aufs Trikot gezaubert hat. Das Tor zum 1:0-Sieg im WM-Finale von Rio gegen Argentinien definiert ihn bis heute. Es war ja nicht nur ein wichtiges Tor im wichtigsten aller Wettbewerbe. Sondern ein Kunstwerk, eine großartige Komposition aus Antizipation, Verarbeitung und Vollendung. Das Tor hat ihm Berühmtheit beschert und Erwartungen geweckt. Was stellt so ein Moment an mit einem, der mit seinen 22 Jahren doch gerade erst ein Mann geworden ist, auf einem Weg, der noch gefunden werden will?
Der Filmemacher Aljoscha Pause hat sich dieser Frage gewidmet und Mario Götze antworten lassen. Das Ergebnis war im Sommer in einer vierteiligen Mini-Serie auf der Internet-Plattform DAZN zu sehen. 200 Minuten, die er jetzt zu einem gut zweistündigen Kinofilm verdichtet hat. „Being Mario Götze“ erfährt am Sonntag seine Uraufführung, im Deutschen Fußball-Museum gegenüber dem Dortmunder Hauptbahnhof. Sozusagen ein Heimspiel für Mario Götze. „Ich hoffe, dass er zur Premiere kommt“, sagt Pause. „Das steht noch nicht ganz fest. Aber falls er nicht kommt, ist das in seiner jetzigen Situation auf jeden Fall sehr gut nachvollziehbar.“
Sieben Monate lang hat die Kamera Götze begleitet. Sieben Monate, die einem großen Ziel untergeordnet war, der Reise mit der Nationalmannschaft zur Weltmeisterschaft nach Russland. Der Film schließt mit einer Studie von Joachim Löw, wie er seine Gedanken sortiert, wenige Minuten vor der Bekanntgabe des WM-Aufgebots. Götzes Name wird fehlen. Der Bundestrainer verzieht das Gesicht, wahrscheinlich ein Ausdruck höchster Konzentration, vielleicht bedrückt ihn aber auch die Nachricht, die er Götze schon überbracht hat und die gleich auch alle anderen erfahren werden. Es ist ein melancholisches Ende, in dem jeder Zuschauer nachempfindet, was das in diesem Augenblick bedeutet: „Being Mario Götze.“
Die Melancholie findet ihre Fortsetzung in der Gegenwart. Unter dem neuen Trainer Lucien Favre hat Mario Götze in der Bundesliga noch keine Minute gespielt und es bei den jüngsten beiden Spielen nicht einmal in den Kader geschafft. Kann schon sein, dass er sich auch das Spiel am Samstag gegen den FC Augsburg von der Tribüne aus anschauen muss. Das wäre keine schöne Ouvertüre für einen Spaziergang über den roten Teppich. Wer der Welt im Sommer 2014 auf dem Rasen ein Jahrhunderttor beschert hat, der lässt sich 2018 nicht gern auf der Leinwand bemitleiden. Selbst wenn er als Hauptdarsteller so reflektiert herüberkommt, wie ihm das kaum jemand zugetraut hat, der sich sein Bild aus hastigen Interviews im verschwitzten Trikot gemacht hat und aus der Art und Weise, wie Mario Götzes Spiel manchmal aussieht, also ein bisschen oberflächlich und überheblich.
Wer kennt Mario Götze? Wir! Brüllt deutschlandweit die Fankurve.
Wirklich?
Der Wechsel nach München wird ihm nur schwer verziehen
In der allgemeinen Wahrnehmung ist Mario Götze ein Schnösel, der zu früh zu berühmt war, der schlampig mit seinem Talent umging und so blöd war, aus dem heimeligen Dortmund zu den Haifischen vom FC Bayern München zu wechseln, wo er vom allwissenden Fußball-Weisen Pep Guardiola für untauglich befunden wurde. Dabei hat Götze in seinen ersten beiden Münchner Jahren sehr erfolgreich gespielt, im zweiten sogar so viel wie in keinem anderen seiner Karriere. „Da kann man schlecht sagen, dass er dort gescheitert ist“, sagt Aljoscha Pause. „Wahrscheinlich haben viele Mario so gesehen, wie Sie das eben beschrieben haben. Ich habe ihn eher als einen Menschen erlebt, der bei den schnellen Interviews auf dem Platz sehr stark mit der Schere im Kopf agiert. Insofern war es ein Aha-Moment für mich, ihn dann im persönlichen Gespräch ganz anders zu erleben: offen, verbindlich und interessiert. Diesen für mich neuen Mario wollte ich gerne im Film transportieren.“
Mario Götze ist nicht der erste Fußballspieler, der sich Pauses Kamera anvertraut hat. Zwischen 2003 und 2011 begleitete er Thomas Broich, einen stillen und intelligenten Profi, der vielleicht etwas zu still und zu intelligent für die Branche war. „Tom meets Zizou“ war die erste Langzeit-Dokumentation über einen deutschen Fußballspieler und Mario Götze hat sie sich angeschaut, bevor er seine Zusage gab. „Danach hat Mario gesagt: ‚Mit dem will ich arbeiten'“, erzählt Pause und dass er gleich beim ersten Kennenlernen darauf hingewiesen habe: „Bei einer Langzeit-Doku weiß man nie, wie sie ausgeht. Es kann auch ein trauriges Ende geben. Mario hat das sofort akzeptiert. Er wollte auch nie, dass ich einen Imagefilm für ihn drehe.“
Die sieben Monate im Auge der Kamera sind nicht die schönsten im Leben des Mario Götze, sie zeigen ihn mit zunehmender Zeit immer häufiger beim Zweifeln und Verzweifeln. Die großartigen Momente dieses großartigen Fußballspielers kommen aus dem Archiv. Pauses Verdienst ist die Ausleuchtung dieses Gegensatzes, er erweckt die mediale Kunstfigur Mario Götze zu menschlichem Leben. Am Anfang des Films wirkt Götze noch euphorisch. Er hat gerade in Köln sein Comeback in der Nationalmannschaft gefeiert, das Tor zum 2:2 gegen Frankreich vorbereitet und glaubt fest an seine Chance, mit zur Weltmeisterschaft zu fahren.
Zum Ende hin leidet er. An seinem Reservistendasein in Dortmund. An seinem Vereinstrainer Peter Stöger, der ihn nach einem missratenen Spiel in Salzburg mit einer öffentlichen Tirade lächerlich macht. An der Nichtberücksichtigung für die Länderspiele gegen Spanien und Brasilien, „Dass er in diesem kritischen Moment für den Film da war, das heißt zum Interview bereit, hat mich besonders beeindruckt“, sagt Aljoscha Pause. Denn immer deutlicher zeichnet sich ab, dass Götze wohl nicht mit nach Russland reisen wird. Götze verzweifelt an der verloren Leichtigkeit, an der Einsicht, dass er nicht mehr der Fußballspieler ist, der er einmal war. Nicht weil er seinen Beruf nicht ernst genug nimmt. Mit jedem Bild, das die Kamera einfängt, mit jedem Satz, den Götze und Wegbegleiter wie Jürgen Klopp, Toni Kroos oder Matthias Sammer in Aljoscha Pauses Mikrofon sprechen, mit jeder Minute des Films wird immer deutlicher: Mario Götze hat seinen Beruf viel zu lange viel zu ernst genommen.
Sein Leben ist auf Fußball ausgelegt
Seine Wohnung ist mit Fitnessgeräten, Kältekammer, Sauna und Behandlungstisch ausgestattet. Er misst seine Schlafphasen, ernährt sich nach strenger Diät und analysiert seine Spiele am Fernseher. In seiner Freizeit liest Götze Biographien und schaut sich Sport-Dokumentationen an. In den Weihnachtsurlaub nach Dubai fährt auch der Sportmediziner seines Vertrauens mit. Götze trainiert im Kraftraum, kickt am Strand und radelt durch die Wüste, auf dass er in bester Verfassung mit dem BVB ins Trainingslager fahren kann. Spät erst ringt er sich zu der Erkenntnis durch, „dass auch eine Regenerationseinheit eine Trainingseinheit ist“.
Ein bis an die Grenzen der Perfektion trainierter Körper stößt irgendwann an seine Grenzen. Bei Mario Götze führt das im Frühjahr 2017 zu jener viel diskutierten Stoffwechselkrankheit, die auf dem Boulevard schnell zu einer Depression aufgeblasen wird.
Aus medizinischer Sicht ist die Angelegenheit heute gelöst. Der Patient Mario Götze ist wieder gesund, aber das Grundproblem des früher so unbeschwerten Fußballspielers Mario Götze bleibt, Jürgen Klopp gießt es in die schöne Formulierung: „Jetzt willst du selber wieder, dass es funktioniert. Und du weißt gar nicht genau, wie es funktioniert. Du hast dein ganzes Leben lang dafür trainiert, dass du es instinktiv tun konntest. Und auf einmal musst du es geplant tun.“
Wie die Geschichte weitergeht? Hoffentlich gut, sagt Klopp. Götze ist gerade 26 Jahre alt, da könne er noch gute zehn Jahre lang spielen.
Thomas Broich, der Held in Aljoscha Pauses „Tom meets Zizou“, hat die Bundesliga 2010 mit 29 Jahren Richtung Australien verlassen und dort noch sieben Jahre lang eine Karriere nach der Karriere gemacht. „Ich will mir kein Urteil darüber anmaßen, was jetzt für Mario richtig oder falsch ist. Aber so etwas in der Art könnte ihm vielleicht auch guttun“, sagt Pause. „Ich weiß, dass er ein großer Fan vom Leben in den USA ist. Vielleicht muss er einfach mal raus hier aus diesem Leben unter ständiger Beobachtung.“
Aber nach siebenmonatiger Begleitung weiß der Mann hinter der Kamera selbst am besten, dass daraus wohl nichts wird. Gegen Ende des Films sinniert Götze über das Leben von früher, da „haben wir einfach nur gekickt und gezockt, hat irgendwie nicht so viele Leute interessiert. Andererseits ist es auch das Schöne, in einem vollen Stadion zu spielen und sich mit den Besten zu messen.“ Und: „Es ist ein schmaler Grat zu sagen: Eigentlich möchte ich nur spielen, aber auch auf der großen Bühne stehen.“
Sven Goldmann