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Mario Götze ist nicht dafür gemacht, seine Mannschaft über ein gesamtes Spiel mitzureißen.
© Imago
Update

Abschied bei Bayern München?: Mario Götze - der Moment-Spieler

Der neue Bayern-Trainer Carlo Ancelotti soll Mario Götze den Abschied nahe gelegt haben. Das ist verständlich, denn von Götze sind nur schöne Momente in Erinnerung - aber kein großes Spiel.

Die Beweisführung ist noch lückenhaft und basiert auf der Information aus dem Bekanntenkreis von Carlo Ancelotti. Dieser hat angeblich ein Telefonat mit Mario Götze geführt und ihm nahegelegt, er möge sich doch bitte einen anderen Verein suchen für den Fall, dass er regelmäßig Fußball spielen wolle. Es gab schon härtere Indizien. Und doch stellt niemand die Conclusio ernsthaft in Frage. Für Mario Götze, das einstige Wunderkind des deutschen Fußballs, ist kein Platz mehr beim FC Bayern München.

Schon Pep Guardiola, ein aufrichtiger Freund des schönen Fußballs,  hatte nur eingeschränkt Verwendung für den Künstler, der Deutschlands Nationalmannschaft den vierten Stern auf das Trikot zauberte. Unter dem künftigen Impresario Ancelotti  wird das Angebot an offensiven Künstlern eher noch größer. Warum sollte Mario Götze bleiben, warum sollten die Bayern wollen, dass er bleibt?

Sportlern mit außergewöhnlicher Begabung und mäßigem Erfolg heftet der Stammtisch gern das Etikett „schlampiges Talent“ an. Aber Mario Götze ist mit 23 Jahren kein Talent mehr, er spielt gerade seine siebte Bundesligasaison. Nach allem, was so durchdringt vom Bayern-Gelände an der Säbener Straße, geht Götze mit seiner Begabung keinesfalls schlampig um, sondern zählt vielmehr zu den trainingsfleißigsten Profis. Und natürlich kann er mit dem Ball nach wie vor großartige Dinge anstellen. Dieses Siegtor im WM-Finale von 2014 bezieht seine Faszination ja nicht ausschließlich daraus, dass es Deutschland zum Weltmeister machte. Es war in seiner Komposition aus Antizipation, Verarbeitung und Vollendung auch ein Kunstwerk, wie es von den auf dem Rasen von Maracana versammelten Spielern allenfalls noch Lionel Messi zustande gebracht hätte.

Es ließe sich nun leicht behaupten, dieses Tor sei für Götze Fluch und Segen, weil es ihm zwar ewigen Ruhm beschert, die Erwartungen aber ins Unermessliche gesteigert hat. Ja, die Erwartungen sind gestiegen, aber Götze verfügt über ein bemerkenswertes Selbstwertgefühl. So wie er den Hass seiner früheren Dortmunder Jünger ignoriert und die Kritik des Fernsehgurus Mehmet Scholl weglächelt, hat ihn das Tor von Maracana eher bestärkt denn verunsichert.

Götze muss die Situation als Chance begreifen

Für seine Karriere ist dieses Tor keine Last, es ist ein Symptom. Der Fußballspieler Mario Götze ist auf dem Platz immer für die besonderen Momente zuständig gewesen. Ein Kleinkünstler, dem das Publikum Szenenapplaus spendiert, der aber nicht dafür gemacht ist, seine Mannschaft über ein gesamtes Spiel mitzureißen. In Brasilien hat Götze vor der Anfertigung seines finalen Kunstwerks kaum eine Rolle gespielt. Er schoss ein Tor gegen Ghana, verlor seinen Stammplatz nach dem Achtelfinale gegen Algerien, war nicht gut genug für das Viertelfinale gegen Frankreich, das Jahrhundertspiel gegen Brasilien und zunächst auch nicht für das Endspiel. Die Weltmeisterschaft steht idealtypisch für Götzes Karriere. Ein wirklich großes Spiel, wie es etwa Bastian Schweinsteiger gegen Argentinien geliefert hat, ist von ihm nicht in Erinnerung. Aber dieser eine wunderschöne Moment.  

Götze ist einer wie Messi, nur eben nicht ganz so gut. Auch Messi glänzt in Barcelona als Moment-Spieler, und die langen Pausen zwischen diesen Momenten fallen nur deshalb nicht so schwer ins Gewicht, weil die Momente so großartig sind und so verlässlich geliefert werden. Das funktioniert in Barcelona, weil die gesamte Mannschaft für ihn arbeitet, auch die neben ihm stürmenden Weltstars Neymar und Suárez. Messi hat sich diesen Stellenwert erarbeitet, erst als Wunderkind der klubeigenen Nachwuchsakademie, in der Profimannschaft früh gefördert vom Brasilianer Ronaldinho. Später, auf höchstem Niveau, hat Messi keine Stars mehr neben sich geduldet und Konkurrenten wie Ibrahimovic einfach weggebissen.

Die in Barcelona vorgelebte Unterwerfung auf höchstem Niveau ist einmalig im modernen Tempofußball, und sie ist einer Jahrhundertbegabung vorbehalten. So einer ist Mario Götze, bei aller Wertschätzung, nicht. Er kam mit 20 Jahren und ohne Hausmacht aus Dortmund zum FC Bayern, nicht als Weltstar, sondern als Versprechen. Kein Müller, Lahm oder Vidal, dachte oder denkt ernsthaft daran, sich einem Götze unterzuordnen. Seine Fähigkeit zum Veredeln des Spiels ist nicht stark genug ausgeprägt, als dass sie seine dauerhafte Präsenz in einer Mannschaft auf höchstem Niveau erfordert.

Mario Götze muss das als Herausforderung, als Chance begreifen und seine Kunststücke demnächst woanders vorführen. Warum nicht in einer Mannschaft, deren Trainer ihn liebt und die Bedarf hat an künstlerischer Ausgestaltung? Warum nicht beim FC Liverpool?

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