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Marc Wilmots - einst als "Kampfschwein" bei Schalke 04 berühmt geworden.
© dpa

WM 2014: Viertelfinale Argentinien - Belgien: Marc Wilmots: Comeback als Trüffelschwein

An Angriffslust hat der einst als "Kampfschwein" bei Schalke 04 berühmt gewordene Marc Wilmots auch als Trainer nicht verloren. Er legt sich mit Journalisten an, maßregelt seine hochbegabten Jungstars - und glaubt an die historische Chance.

Kampfschwein bleibt Kampfschwein. Als Marc Wilmots nach dem Achtelfinal-Sieg auf dem Podium bei der Pressekonferenz Platz genommen hatte, erhöhte sich schlagartig die Pulsfrequenz der anwesenden Journalisten. Zuvor hatte Jürgen Klinsmann noch in präsidialer Weise das Ausscheiden seines US-Teams abmoderiert. Er hatte geduldig über Stolz und Demut gesprochen, auch darüber, dass der Spielverlauf ein großes Drama gewesen sei. Der Schwabe hatte wie zu seinen Bundestrainer-Zeiten die Etikette beherrscht, hatte Komplimente gemacht, seinen Verdruss in fernsehgerechte Bahnen gelenkt, und am Ende ein schüchternes Klinsmann-Lächeln aufgesetzt.

Erst als wenige Minuten später Wilmots mit der Verve eines flämischen Wirtshaus-Patrons auf die Bühne rauschte, im blauen Anzug und weißem Hemd mit gestärktem Kragen, die Haare streng zurückgegelt, wurde dem Betrachter bewusst, wie zerbrechlich der US-Coach gewirkt hatte. Das Ritual verlangt, dass der Trainer, bevor die offene Fragerunde beginnt, eine allgemeine Spielanalyse spricht. Marc Wilmots nutzte jedoch die Gelegenheit gleich mal für einen Rundumschlag. Belgische Journalisten hatten in der Vorrunde bemängelt, dass sich Belgiens hochgelobte Goldene Generation bei der WM bislang in Beamten-Manier durchs Turnier mogele. „Ihr habt uns kritisiert, weil euch das Spektakel fehlt, habt geschrieben, dass wir keinen Fußball spielen“, so Wilmots feurig, „jetzt habt ihr euer Spektakel erlebt. Ihr habt von Belgien jede Menge Fußball bekommen. Euch hat es gefallen, aber, bitte, für mein Herz sind solche Spiele nicht so gut.“

Traumatische Erfahrung im WM-Achtelfinale 2002

Es ist die siebte WM in Folge, die der Wallone in handelnder Funktion erlebt. Ab 1990 reiste er vier Mal als Spieler zu den Titelkämpfen, er ist WM-Rekordtorschütze seines Landes. Nach der aktiven Zeit war Wilmots als TV-Experte bei WM-Turnieren dabei, nun ist er es als Nationaltrainer. Doch mehr als Achtungserfolge hat er als Spieler nie gehabt. Seine ganz persönliche Tragödie erlebte er 2002 im Achtelfinalspiel gegen Brasilien, als ihm ein regulärer Kopfballtreffer aberkannt wurde. Eine traumatische Erfahrung, denn das Team hatte gute Chancen, in die Fußstapfen der großen belgischen Mannschaft, des Vizeeuropameisters von 1980 und WM-Dritten von 1982, zu treten. „Ich sage nicht, dass wir das Spiel gewonnen hätten, wenn der Treffer gezählt hätte“, erklärte er noch vor Kurzem, „aber es wäre auf jeden Fall anders gelaufen.“

Nach 2002 konnten sich die Belgier zwölf Jahre nicht mehr für eine WM-Endrunde qualifizieren, die Nachwuchsarbeit wurde sträflich vernachlässigt. Doch seit Wilmots 2012 die Verantwortung übernahm, hat er die Mannschaft zu einer echten Attraktion des Weltfußballs geformt. Das Kampfschwein erlebte ein Comeback als Trüffelschwein, indem er junge Talente wie Eden Hazard, Romelu Lukaku, Kevin de Bruyne oder Divock Origi mit Routiniers wie Daniel Van Buyten, Vincent Kompany und Thomas Vermaelen zu einer Einheit verschweißte.

Als Marc Wilmots nach dem USA-Spiel bei der Pressekonferenz saß, war ihm der Stolz anzumerken. Der Viertelfinaleinzug ist der zweitgrößte Erfolg in der belgischen Fußballgeschichte, ein Triumph, der ihm als Spieler stets versagt blieb. Als Journalisten fragten, wie er nun gedenke, Argentinien zu besiegen, sagte er zunächst: „Fragt mich morgen Nachmittag, bis jetzt habe ich mich nur mit den USA beschäftigt.“ Doch später fiel ihm ein, dass eigentlich nicht die Belgier in der Pflicht seien: „Warum fragt ihr, was wir tun wollen, um Argentinien zu schlagen? Die müssen doch versuchen, uns zu schlagen. Und das sollen die erst mal schaffen.“

Späßchen mit Jürgen Klinsmann

Von seiner Charaktereigenschaft als Aktiver, das Leben als immerwährenden Kampf um den Erfolg zu verstehen, ist ihm auch als Trainer kein Jota abhanden gekommen. Das Duell mit den USA stilisierte der Boss der „Roten Teufel“ zum „Krieg“ hoch. Als er hinterher gefragt wurde, worüber sein Kumpel Klinsmann und er nach dem Abpfiff auf dem Rasen gelacht hätten, sagte er: „Über unsere ausgelassenen Chancen. Jürgen lächelt ja fast immer, im Gegensatz zu mir. Aber diesmal habe ich ein bisschen mehr gelacht.“

Für Wilmots besteht kein Zweifel, dass seine Spieler um die historische Chance, die sich ihnen bietet, bis zum Gehtnichtmehr kämpfen werden. Er beschwört geradezu den Halbfinaleinzug. „Meine Spieler brennen, sie brennen wie verrückt“, sagte er nach dem Spiel gegen die Vereinigten Staaten. Er sprach zwar über seinen Kader, doch bestimmt nicht zuletzt meinte er auch sich selbst. Kampfschwein bleibt eben Kampfschwein.

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