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30 Prozent erhöhte Verletzungsanfälligkeit. Für Ingo Froböse bedeutet die Pause ein Bruch innerhalb der Saison.
© imago images/Michael Weber

Training in der Bundesliga: „Man kann sich die Winterpause komplett sparen“

Sportwissenschaftler Ingo Froböse über mehr Verletzungen, den Wert der Regeneration und gefährliche Netflix-Serien.

Ingo Froböse, 63, ist Professor für Prävention und Rehabilitation und wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Gesundheit durch Sport an der Deutschen Sporthochschule Köln.

Herr Froböse, die Winterpause der Bundesliga war dieses Jahr so kurz wie noch nie. Ist das im Hinblick auf die Gesundheit der Spieler gefährlich?
Ich bin seit vielen Jahren ein Gegner davon, dass die Winterpause überhaupt stattfindet. Die Spieler kommen dadurch innerhalb der Saison in einen Bruch hinein, der einerseits nicht lang genug ist, um neue Ressourcen aufzubauen, anderseits aber zu lang ist, um die gegebene Leistungsfähigkeit zu erhalten. Ich gehe deshalb davon aus, dass wir nach dieser Pause eine um 30 Prozent erhöhte Verletzungsanfälligkeit erleben werden.

Aber brauchen die Spieler nicht gerade in dieser zehrenden Saison eine Erholungsphase?
Man muss zwischen zwei Ermüdungsprozessen unterscheiden. Wir haben auf der einen Seite die akute Ermüdung, die eine Regeneration nach jedem einzelnen Spiel erfordert. Das ist die Problematik, auf die man die meisten Verletzungen zurückführen kann. Auf der anderen Seite gibt es die chronische Ermüdung, die nur mit einer längeren Wettkampfpause behoben werden kann. Die ist aktuell aber noch nicht zu spüren und wird auch erst gegen Ende der Saison erfolgen – dann also, wenn die Spiele besonders wichtig werden.

Wie sähe der Spielplan optimal aus?
Wir brauchen in der Bundesliga eine deutlich größere Taktung des Rahmenkalenders. Eine längere Regeneration zwischen den Spielen ist aus trainingswissenschaftlicher Sicht viel wertvoller als der Weihnachtsurlaub. Wenn man die Anzahl der Englischen Wochen minimiert, kann man sich die Winterpause komplett sparen.

Wie sieht es mit der mentalen Regeneration aus? Wäre es nicht hilfreich, zwischen den Jahren eine gewisse Zeit komplett abzuschalten?
Ganz im Gegenteil. Mitten in der Saison psychisch zu weit aus dem Spiel rauszugehen, halte ich für kontraproduktiv. Spieler haben dadurch viel größere Schwierigkeiten, mental aus dem Trainingsloch zu kommen und sich zu motivieren. Eine wirksame Regeneration, in der die Profis aber gedanklich im Spiel bleiben, ist daher aus sportlicher Sicht viel wertvoller.

Ingo Froböse ist wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Gesundheit durch Sport an der Deutschen Sporthochschule Köln
Ingo Froböse ist wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Gesundheit durch Sport an der Deutschen Sporthochschule Köln
© Sebastian Bahr

Und aus gesundheitlicher Sicht?
Man muss die psychologischen Belastungen im Blick behalten. Solange man die möglichen Probleme aber rechtzeitig erkennt und die Spieler vernünftig betreut, dürfte das keine Gefahr darstellen. Dieses mentale Anforderungsprofil gehört nun mal zum Beruf des Fußballprofis. Ganz anders als körperliche Überlastung. Die wird einigen Spielern in den nächsten Monaten leider schwere gesundheitliche Probleme bereiten.

Wie können sich Profis davor schützen?
Vor allen Dingen durch ihre Ernährung, ihren Schlafrhythmus und den Umgang mit Genussmitteln. Da dürfen die Verantwortlichen in diesem Jahr keinen Spielraum lassen. Sie müssen den Spielern ins Gewissen reden, dass sie eben nicht am Döner-Imbiss halten oder sich mit Netflix und der Playstation die Nacht um die Ohren schlagen. Wer die Auswirkungen eines ungesunden Lebensstils unterschätzt und sich nicht professionell verhält, wird deutlich schneller unter der Belastung leiden als andere.

Der Trainer kann aber schlecht kontrollieren, wann seine Spieler ins Bett gehen.
Das stimmt. Der Trainer hat andere Möglichkeiten, seine Spieler zu schützen. Er muss diese Saison schärfer denn je darauf achten, nach jedem Spiel sofortige und intensive regenerative Maßnahmen zu ergreifen. Durch Physiotherapie und Massagen beschleunigt man den Wiederaufbau beschädigter Strukturen im Körper und hemmt entzündliche Prozesse. Ebenso wichtig wäre es, die zentralen Leistungsträger viel stärker zu schonen – auch wenn es natürlich Mut erfordert, so etwas unter sportlichem und finanziellem Erfolgsdruck durchzusetzen.

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Müssten Verbände den Vereinen durch Regulierungen helfen, solche Entscheidungen zu treffen?
Im Interesse der Spieler wäre das bestimmt hilfreich. Andererseits ist die systematische Belastungssteuerung selbst aus sportlicher Sicht wichtig, weil ich dadurch meine Spieler nicht schon mitten in der Saison wie eine Zitrone ausquetsche, sondern so sensibel einsetze, dass sie im wichtigen Saison-Endspurt ihr volles Potenzial abrufen können. Diese Rotation wird vor allem ab Februar wichtig sein, wenn die europäischen Wettbewerbe weiter gehen.

Ist die Hoffnung berechtigt, dass der enge Terminkalender der dreifach belasteten Mannschaften eine spannendere Rückrunde ermöglicht?
Ich fürchte nicht. Ich glaube, dass die Vereine, die wissenschaftlich mit den Trainingsbelastungen umgehen und nicht nur einen tiefen Kader, sondern auch das beste Team hinter dem Team haben, besonders in diesem Jahr belohnt werden. Dazu zählen vor allem RB Leipzig und Bayern München. Die Vereine mit kleineren Kadern, die zum Teil fast jeden Spieltag ein Endspiel im Abstiegskampf haben und daher nicht so viel Wert auf Rotation legen können, werden in der Rückrunde leider auf der Strecke bleiben. Die Schere zwischen den beiden Tabellenenden wird in dieser außergewöhnlichen Saison also eher weiter auseinander gehen.

Jakob Schmidt

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