Fußball in den USA: Major League Soccer: Keine Chance gegen die Big Four
Immer wieder heißt es, der Durchbruch des Fußball in den USA stehe bevor. Doch vermutlich wird es niemals dazu kommen, denn das europäische Spiel passt nicht in die amerikanische Sportkultur. Da helfen auch Stars wie Kaká nicht.
Er lässt ein bisschen auf sich warten, Ricardo Izecson dos Santos Leite ist spät dran an diesem Tag. Und als er dann endlich kommt, muss er sich erst einmal bücken. Die Tür zum Konferenzraum eines Nobelhotels außerhalb von Orlando ist ein wenig zu klein für ihn mit seine knapp 1,90 Meter Körpergröße. Beinahe hätte er sich seinen Kopf mit den schwarzen Haaren gestoßen, aber die Sache ist nochmal gut gegangen, und so lächelt er weiter sein bekanntes Zahnpastalächeln, als er vorn auf dem Podium Platz nimmt.
Ricardo Izecson dos Santos Leite, der Sportwelt besser bekannt als Kaká, soll in Zukunft nicht nur körperlich eine große Attraktion werden in der amerikanischen Major League Soccer (MLS), die in der Nacht zum Sonnabend mit dem Spiel zwischen Meister Los Angeles Galaxy und Chicago Fire in ihre 20. Saison startet. Was hat sich im US-Fußball seit der WM 1994 im eigenen Land getan?
Seit vielen Jahren heißt es, Fußball werde in den USA das nächste große Ding. Aber stimmt das tatsächlich? Oder handelt es sich hier nur um die vage Hoffnung von Sponsoren, Ausrüstern und Agenten, irgendwann doch einen Markt zu erschließen, von dem es lange hieß, er würde gar nicht existieren?
In den vergangenen Monaten hat die MLS mit einer gewaltigen Transferoffensive von sich reden gemacht und allerhand Spieler verpflichtet, die im Fußball einen klangvollen Namen besitzen. Spaniens Ex-Weltmeister David Villa spielt ab sofort für den neugegründeten New York City FC und wird dort im Sommer Unterstützung vom Engländer Frank Lampard erhalten. Möglicherweise kommt Barcelonas Passmeister Xavi auch noch dazu. Liverpools Legende Steven Gerrard zieht es zu Los Angeles Galaxy, Kaká spielt für Orlando City SC. Neben New York City der zweite Klub, der in dieser Saison den Spielbetrieb aufnimmt. Beide treffen gleich am Sonntag aufeinander.
Noch nie haben so viele internationale Superstars in den USA gespielt
Villa, Lampard, Gerrard, Kaká – gefühlt haben nie zur gleichen Zeit in den USA Fußballer von so großer internationaler Strahlkraft gespielt. „Big names“, „superstars“, sagen die Amerikaner. Dass die nicht mehr ganz auf der Höhe ihrer einstigen Schaffenskraft sind und Kaká mit 32 Jahren noch der Jüngste unter ihnen ist, interessiert nur am Rande. Was zählt, sind die Namen. Stars, egal wie alt, lassen sich in keinem anderen Land der Welt so gut vermarkten wie in den USA. „In fünf bis zehn Jahren wird die MLS so gewachsen sein, dass sie es mit den großen Ligen in Europa aufnehmen kann“, sagt Kaká und versucht, überzeugt zu klingen. Er hat in zwei der großen Ligen gespielt, für große Klubs. In Italien beim AC Mailand, in Spanien bei Real Madrid. Die Champions League hat er 2007 gewonnen und ist im selben Jahr Weltfußballer geworden. Er müsste es besser wissen.
„Fußball gehört nicht zur amerikanischen Sportkultur und wird es auch in den nächsten 50 Jahren nicht tun“, sagt Andrei S. Markovits. Er ist Sportsoziologe und Politologe an der Universität von Michigan und hat gemeinsam mit Steven L. Hellerman das Buch „Offside: Soccer and American Exceptionalism“ geschrieben, in dem er sich mit dem Verhältnis der amerikanischen Gesellschaft zum Fußball auseinandersetzt. Sein Fazit fällt wenig positiv aus. Fußball, beliebt als Kinder- und Jugendsport, wird von amerikanischen Männern noch immer als „zu weich“ angesehen und es in näherer Zukunft nicht mit den etablierten Sportarten American Football, Baseball, Basketball und Eishockey aufnehmen können. Was ihn so sicher macht: „Ich war in den vergangenen drei Monaten in Washington und habe allerlei Sportsendungen im Radio und Fernsehen verfolgt“, erzählt Markovits. Nie sei die städtische Fußballmannschaft D.C. United dabei Thema gewesen. „Sportkultur ist, was zwischen den Spielen läuft, also in der Pause. Und da existiert Fußball so gut wie nicht.“
Sportkultur ist, was zwischen den Spielen abläuft
Markovits’ Beobachtungen stehen im Gegensatz zum Handeln der internationalen Großklubs. Jüngst erst hat der FC Bayern ein Büro in New York eröffnet, in der Hoffnung, künftig in den USA Geld machen zu können. Längst zieht es die internationale Konkurrenz aus England, Spanien oder Italien in den Sommermonaten auf Tourneen durch Amerika. Im vergangenen Juli kamen über 100.000 Zuschauer ins Stadion der Universität von Michigan, um sich ein Freundschaftsspiel zwischen Manchester United und Real Madrid anzusehen. Im vergangenen Jahr stellte die MLS einen neuen Zuschauerrekord auf, etwas mehr als 19.000 Fans verfolgten die Spiele im Schnitt – alles Zahlen, die einen Fußball-Boom suggerieren und doch nur die halbe Wahrheit erzählen.
Die Fernsehquoten sind nach wie vor ein Desaster. Im Schnitt schauten 240 000 Menschen die regulären Saisonspiele auf dem Spartenkanal ESPN 2 an.
Die Euphorie der Weltmeisterschaft, als um die 20 Millionen Fernsehzuschauer die Spiele des US-Teams verfolgten und beim Public Viewing feierten, war nach dem Turnier schnell verflogen. Fußball sei inzwischen „olympianisiert“, wie Markovits es nennt. Ein Sport, der nur alle vier Jahre ein mehrheitliches Interesse weckt und ansonsten hauptsächlich Teile der Einwanderer aus Lateinamerika und Europa bewegt.
Viele wohlhabende Brasilianer gehen nach Orlando
Wenn nicht die weißen Amerikaner, dann sollen eben andere zuschauen. Brasilianer zum Beispiel. Orlando City SC gehört einem brasilianischen Geschäftsmann. Dessen Überlegung ist einfach: Weil die Stadt Orlando mit ihren Freizeitparks bei wohlhabenden Brasilianern gerade sehr beliebt ist, zielt der Verein auf sie als Besucher. Deshalb ist Kaká da. Er soll seine Landsleute ins Stadion locken.
Ob ihnen dann gefällt, was sie zu sehen bekommen?
Beim ersten Training mit seiner neuen Mannschaft ist Kaká der auffälligste Spieler. Anstrengen muss er sich kaum, die Übungen sind locker. „80, 85 Prozent“, ruft Trainer Adrian Heath, ein Engländer mit breitem Dialekt, als er zur Sprinteinheit bittet. Komplizierter wird es bei den Torschussübungen. Die komplexen Passfolgen, die sich Heath ausgedacht hat, sind nicht jedermanns Sache. Kaká kommt oft nicht zum Abschluss, weil seine Mitspieler ihm den Ball zu ungenau vorlegen. Er lächelt trotzdem sein Zahnpastalächeln. „Das wird schon. Wir haben eine gute Mannschaft“, sagt er später, als er vom Platz geht. Geschwitzt hat er wenig, aber das kann auch am Wind liegen, der an diesem Tag recht stark weht und graue Wolken über dem sonst so blauen Himmel Floridas aufziehen lässt. Ein Reporter will wissen, ob Orlando denn mit ihm um die Meisterschaft mitspielen kann. Kaká, der fünf Sprachen fließend spricht, will darauf keine Antwort geben und weicht aus. Er weiß, Favoriten sind andere: Meister Los Angeles, New England mit dem ehemaligen Schalker Jermaine Jones oder Seattle.
Topspieler verdienen meist mehr, als die restlichen Mannschaftskollegen zusammen
In Orlando soll Kaká rund 15 Millionen US-Dollar pro Jahr verdienen. Er ist einer von zwei „Designated Players“, die pro Team erlaubt sind. Diese Spieler dürfen mehr verdienen als die 335 000 Dollar, die von der Liga als Gehaltsobergrenze für den Einzelnen festgelegt sind. Das heißt, Spieler wie Kaká, Villa, Lampard oder Gerrard verdienen meist mehr, als ihre restlichen Mannschaftskollegen zusammen.
Auch das ist ein Grund, warum die MLS bei talentierten, jungen amerikanischen Spielern nicht übermäßig beliebt ist. Die Besten versuchen, es nach Europa zu schaffen, am liebsten in die englische Premier League.
So bleibt das Image als Liga der in die Jahre gekommenen Altstars bestehen. In den siebziger und achtziger Jahren war die North American Soccer League mit diesem Konzept gescheitert. Damals heuerten unter anderem Pelé, Franz Beckenbauer und Gerd Müller in den USA an.
In Seattle kommen die meisten Zuschauer zu Fußballspielen
Die MLS hat einiges besser gemacht als ihre Vorgänger. Inzwischen machen die Klubs nicht mehr so hohe Verluste wie in den Anfangsjahren. Im Sportartikelhersteller Adidas gibt es einen Ausrüster, der viel Geld in die Liga pumpt. Die meisten Mannschaften spielen nun in reinen Fußballstadien und nicht mehr in den riesigen Arenen, die sonst für American Football genutzt werden. Der Gigantismus früherer Zeiten ist verschwunden. Es gibt Standorte, die boomen. Oben im Nordwesten, in Seattle, Portland oder im kanadischen Vancouver. Bei den Seattle Sounders kommen im Schnitt knapp 39.000 Zuschauer zu den Spielen – mehr als irgendwo sonst in den USA. Den niedrigsten Schnitt hat Columbus Crew mit rund 9.000 Besuchern. Demnächst könnte ein weiterer Standort in Miami hinzukommen. David Beckham will dort investieren. Ob es sich lohnt? „Das Konzept ist gut, aber die Konkurrenz ist groß“, sagt Professor Markovits. Nicht nur durch die etablierten Sportarten. Bei seinen Studenten hat er beobachtet, wie sie immer mehr die Trikots der europäischen Großklubs tragen. Manchester, Chelsea, Madrid, Barcelona.
In Orlando tragen die Fans am Trainingsplatz fast ausschließlich Trikots mit der Nummer 10. Kakás Nummer. Sie alle sprechen portugiesisch. Sind da bereits die ersten Fußballtouristen, auf die Orlandos Eigentümer abzielt? Wenn sich der Klub dauerhaft in der Stadt etablieren will, könnten zumindest ein paar Einheimische auch nicht schaden.