zum Hauptinhalt
Der Weltranglistenerste Ma Long aus China hat auf jeden Ball seiner Gegner eine noch bessere Antwort.
© Imago

German Open im Tischtennis: Ma Long in Berlin: Besuch vom anderen Stern

Der Chinese Ma Long zeigt bei den German Open in Berlin, warum kein Tischtennisspieler der Welt besser ist als er.

Am Ende des dritten Satzes im ersten Halbfinale hatte Dimitrij Ovtcharov seinen großen Auftritt. Seine rechte Hand zuckte routiniert, dann hatte er wieder ein perfektes Autogramm gesetzt. Unten an der Tischtennis-Platte kämpfte gerade die Chinesin Wu Yang ihre Landsfrau Hu Limei auf dem Weg ins Endspiel nieder, doch die Zuschauer wanderten in Scharen zu dem Mann, der am Tribünenrand der Max-Schmeling-Halle den Stift schwang. Der Olympiadritte von 2012 war mit großen Hoffnungen in die German Open gestartet, allerdings schon am Sonnabend im Viertelfinale gescheitert.

Am Halbfinale der Männer am Sonntag nahm Ovtcharov so nur als schmückendes Beiwerk teil. Er signierte noch artig, als er plötzlich seinen Status als Hauptattraktion an Ma Long verlor. Das Duell des Weltmeisters gegen seinen chinesischen Landsmann Zhang Jike war so etwas wie das heimliche Endspiel, das auch die Zuschauer wieder zurück zu ihren Plätzen zog. Dabei war das Endergebnis kaum weniger vorhersehbar als bei Ovtcharovs immergleichen Signaturen. Ma Long fertigte Zhang Jike mit 4:0 ab, wenn auch begünstigt von einer schmerzhaften Rückenverletzung des Kontrahenten.

Im Finale ließ die Nummer eins der Weltrangliste auch Vladimir Samsonov beim 4:1 keine echte Chance. Der Weißrusse hatte zwar wie so häufig die Sympathien des Publikums auf seiner Seite. Ein Großteil der 4200 Zuschauer adoptierte den Vizeweltmeister von 1997 zudem als Ersatz-Lokalhelden. Denn der Sonntag war eine beinahe komplett asiatische Veranstaltung. Neben dem deutschen Frauendoppel Han Ying/Irene Ivancan (das im Finale 1:3 gegen Jeon Jihee/Yang Haeun aus Südkorea verlor) hatte es Samsonov als einziger Vertreter eines anderen Kontinents in ein Halbfinale geschafft.

Doch alle Anfeuerung für Europas letzte Hoffnung half nichts – Ma Long ist derzeit einfach nicht beizukommen. In Berlin gelang ihm der 15. Sieg in den vergangenen 16 Turnieren. Einen einzigen Satz gab er im Wettbewerb ab. Der stets höfliche Chinese ehrte danach seine Konkurrenten mit Worten, sie seien alle „so stark“, doch angesichts seiner Leistungen ist der Begriff Understatement hierfür schon fast eine weitere Untertreibung. Zu unberechenbar sind seine Eröffnungsbälle, Winner gegen ihn sind eine Rarität. Und wenn er doch einmal in Bedrängnis gerät, kann Ma Long immer noch wie aus dem Nichts einen knallharten Schlag mit seiner gefürchteten Vorhand spielen.

Talent, Technik und Athletik hatte er immer schon, lange aber spielte in den entscheidenden Momenten sein Kopf nicht mit. Sein Hang zu Nervosität und Selbstzweifel ließ Ma Long dreimal in Folge im Halbfinale einer WM scheitern. In China sprach man ihm bereits die mentale Stärke eines Champions ab. Deswegen wurde er nicht im Einzel für die Olympischen Spiele von London nominiert.

Der WM-Sieg im vergangenen Jahr war der erste große Einzeltitel und der große Wendepunkt in Ma Longs Laufbahn. „Seither hat er noch einmal einen Sprung gemacht“, sagte Samsonov. „Er spielt wie befreit. Jetzt hat er auch im Kopf das, was ihm gefehlt hat.“ Der fast 40-Jährige ist einer der wenigen aktiven Spieler, die wissen, wie es sich anfühlt, Ma Long zu schlagen. Das letzte Mal gelang ihm das 2009.

Dimitrij Ovtcharov war so eine Erfahrung bisher noch nicht vergönnt. Er hat alle 15 Spiele gegen Ma Long verloren. Vor lauter Verzweiflung darüber hat Ovtcharov das Bonmot geprägt, der Chinese spiele Tischtennis „von einem anderen Stern“. Zumindest spielt Ma Long in der Form seines Lebens, als perfekte Einheit aus Geist und Körper. Wenn nichts schief geht, wird der 27-Jährige im August in Rio auch Olympiagold im Einzel gewinnen. Nur einer zweifelt wohl ernsthaft an Ma Longs Olympiatriumph: Ma Long selbst. „Immer zu gewinnen, das erhöht auch den Druck auf mich“, sagte er nach seinem Finalsieg in Berlin, kein Lächeln huschte über seine Lippen. „Deshalb muss ich noch härter trainieren.“

Folgen Sie der Tagesspiegel-Sportredaktion auf Twitter:

Zur Startseite