Herthas Marko Grujic im Interview: „Liverpool ist der Traum jedes Fußballers“
Der Mittelfeldspieler von Hertha BSC spricht über seinen Traumklub, die Liebe zum Basketball, deutsche Mentalität und Trainer Jürgen Klinsmann.
Herr Grujic, wollen wir zuerst über Fußball sprechen oder doch lieber über Basketball?
Meinetwegen gern über Basketball, ich bin ein wirklich großer Fan. Gleich zu Beginn des Trainingslagers haben wir mit einer kleineren Gruppe ein Heimspiel der Orlando Magic besucht, für mich war es das zweite NBA-Match, das ich live vor Ort verfolgen konnte. An einem Abend wollen wir auch nochmal geschlossen als Mannschaft in die Halle gehen.
Wie lief das Spiel? Hatten Sie Spaß?
Auf jeden Fall, es war sehr unterhaltsam. Orlando hat gegen Miami gespielt, also Florida-Derby, die Atmosphäre war super. In der Halle saßen viele Miami-Fans und haben Stimmung gemacht. Auch die Show war ziemlich cool, das ganze Drumherum, die Einlagen in den Viertelpausen. Als wir ins Hotel zurückgekommen sind, waren wir zwar alle ziemlich platt. Ich hatte ein wenig Probleme mit dem Jetlag und konnte schlecht einschlafen, aber das ist normal und legt sich bestimmt bald.
Wie wichtig sind Aktivitäten außerhalb des Fußballplatzes in einem Trainingslager?
In erster Linie geht es hier natürlich darum, dass wir unsere Körper in eine gute Verfassung bringen. Aber manchmal hilft es auch, wenn man sich mit anderen Sachen beschäftigen kann und auf andere Gedanken kommt, die Mischung ist wichtig. Wenn wir auf dem Feld stehen, geben wir alles, aber danach haben wir Freizeit, die wir selbst gestalten können. Ich empfinde das als sehr angenehm.
Schauen Sie regelmäßig US-Sport?
Eigentlich nur NBA. Bei Baseball oder American Football bin ich raus, da kann ich nicht mitreden.
In Ihrer Heimat Serbien ist Basketball eine große Nummer.
Das stimmt, wir haben sechs oder sieben Spieler in der NBA, die ich mit großem Interesse beobachte. Wir sind zwar ein kleines, aber absolut sportverrücktes Land.
Vom Balkan kommen auffällig viele gute Sportler, gerade in Teamsportarten. Woran liegt das?
Gute Frage. Wir haben ein gewisses sportliches Talent, vielleicht haben wir das in unserer DNA. Die Trainingsmöglichkeiten sind zwar nicht immer die besten, aber es stimmt: Es gibt extrem viele herausragende Sportler, die in den großen Verein Europas und der Welt spielen, unabhängig von der Sportart. Fußballer, Basketballer, Handballer, Wasserballer, Volleyballer. Ich weiß zum Beispiel, dass es bei den Füchsen Berlin viele Spieler aus dem ehemaligen Jugoslawien gibt. Bisher habe ich zwar noch kein Spiel live in der Halle gesehen, aber da gehe ich auf jeden Fall mal hin.
Verfolgen Sie hin und wieder die Premier League?
Ich schaue im Fernsehen eigentlich nur Sport, nichts anders. Viel NBA, aber natürlich auch die englische Liga. Das ist ein wichtiger Bestandteil meines Alltags.
Haben Sie noch regelmäßigen Kontakt zu den alten Kollegen vom FC Liverpool?
Mit einigen schon, wir texten hin und wieder, analysieren unsere Spiele, tauschen uns aus. Liverpool ist einer der größten Klubs weltweit, von der Tradition sowieso, aber im Moment auch sportlich. Sie spielen einfach unfassbar guten Fußball.
Die letzte Niederlage in der Premier League liegt mittlerweile mehr als ein Jahr zurück.
Anfang Januar 2019, genau. Das ist wirklich unglaublich, oder? Es unterstreicht auch, wie schwer es ist, von außen in dieses Team reinzukommen. Sie haben auf jeder Position zwei, drei absolute Weltklassespieler. Dieser Mannschaft anzugehören, ist der Traum jedes Fußballers. Auch ich verfolge dieses Ziel und denke häufig darüber nach. Es ist eine echte Herausforderung, die mich antreibt.
Wie ging es Ihnen vor eineinhalb Jahren, als sie von Liverpool zu Hertha BSC ausgeliehen wurden?
Ich hätte vielleicht auch in England bleiben und manchmal spielen können, im Pokalwettbewerb zum Beispiel. Womöglich hätte ich auch viel Zeit auf der Ersatzbank verbracht, wer weiß? Deshalb habe ich den Wechsel nach Berlin vor allem als Chance begriffen, regelmäßig zu spielen und Erfahrungen sammeln zu können. Die Bundesliga gehört zu den besten Ligen der Welt – und Hertha BSC ist ein großer Klub mit großer Tradition und großer Geschichte, genau wie die Stadt Berlin.
Spielpraxis ist in ihrem jungen Alter unersetzlich, oder?
Ja, aber man hat trotzdem nie die hundertprozentige Gewissheit, dass man auch zum Einsatz kommt. Man muss sich beweisen, auf seine Chance warten und diese dann nutzen. Bei Hertha haben wir im Moment ja auch 25 Feldspieler und nur zehn können spielen.
Was war die größte Umstellung in ihrer Anfangszeit in Deutschland?
Ich hatte eigentlich keine großen Probleme, weil die Mentalität ähnlich ist wie in England. Das hat mir gleich gefallen. Man muss hart arbeiten, diszipliniert sein, pünktlich, zuverlässig. Das zahlt sich dann mit der Zeit aus. Berlin ist als Stadt natürlich ganz anders als Liverpool, viel größer, das war vielleicht die größte Umstellung. Ich habe Berlin wirklich zu schätzen gelernt, viele Freunde und Familienmitglieder haben mich hier besucht, wir sind dann ausgegangen, waren essen, haben uns ein paar Sachen angesehen. Neben Madrid, London und Rom ist Berlin aus meiner Sicht eine der größten und interessantesten Metropolen in Europa.
Ihr neuer Trainer sieht das mit Hertha BSC ähnlich, er hat den Verein „eines der spannendsten Fußball-Projekte in Europa“ genannt. Wie war Ihre erste Reaktion, als Sie erfahren haben, dass Jürgen Klinsmann als Trainer übernehmen würde?
Für alle im Verein ist es eine tolle Sache, mit einem Mann zu arbeiten, der so einen großen Namen hat. Ich habe ihn als Spieler zwar nicht mehr erlebt, dafür bin ich zu jung. Aber ich habe mir bei Youtube ein paar Highlights von ihm angesehen. Die Bildqualität war zwar eine Katastrophe, weil die Videos schon ziemlich alt sind, aber es hat trotzdem Spaß gemacht. Für mich zählt Jürgen Klinsmann neben Lothar Matthäus und Franz Beckenbauer zu den größten Namen im deutschen Fußball.
Und jetzt, knapp sechs Wochen nach seinem Amtsantritt?
Wir wissen wirklich zu schätzen, dass er nach Berlin gekommen ist, um uns in einer schwierigen Situation zu helfen. Für Hertha BSC bedeutet das viel. Leute in der ganzen Welt haben plötzlich von Hertha gehört.
Wie erleben Sie ihn im täglichen Training?
Wir Spieler können viel von ihm lernen und mitnehmen, er war ein großer Spieler, eine Legende. Deshalb sollten wir jeden Tag mit ihm als Chance verstehen, um an uns zu arbeiten und uns zu verbessern. Diese Voraussetzungen müssen wir für uns nutzen.
Was sind Klinsmanns größte Veränderungen?
Er war vom ersten Tag an sehr ruhig, sehr selbstbewusst. Er hat zu uns gesagt: Ihr habt eine enorme Qualität! Unsere Tabellensituation entspricht nicht dem, wo wir stehen könnten, aber ihr müsst positiv sein und die Köpfe freikriegen. Dann wird sich die Qualität durchsetzen. In den letzten Wochen haben wir uns dann besser kennengelernt, haben im taktischen wie physischen Bereich gearbeitet. Ich bin überzeugt, dass wir in der Rückrunde ein besseres Team sein werden.
Was heißt das genau?
Wir konnten in den ersten Spielen unter Jürgen Klinsmann ja nicht alles umstellen und verändern. Deshalb wir haben versucht, unsere Stärken herauszuarbeiten und einzubringen und zum Glück acht Punkte in den ersten fünf Spielen gesammelt, die uns sehr geholfen haben. Jetzt können wir ruhiger arbeiten und vielleicht andere, größere Ziele in Angriff nehmen.
Klinsmann war ein Offensivspieler, der bei Hertha zunächst auf eine stabile Defensive gesetzt hat. Hatten Sie den Eindruck, dass ihm das schwergefallen ist?
Schwer zu sagen. Ich kann es auf jeden Fall gut verstehen, denn meine Mentalität war auch immer: Du musst zuallererst gut und aggressiv verteidigen, um die Null zu halten. Dann hat man zumindest immer eine Chance und kann hoffen, dass vorn etwas passiert. Wenn man aber früh ein Gegentor kassiert, schlimmstenfalls in den ersten 20 Minuten, kann sich schnell Hektik und Unsicherheit breit machen. Manche Spieler lassen die Köpfe hängen, das ist natürlich nicht gut. Wenn wir ordentlich verteidigen und kompakt stehen, resultieren daraus auch Chancen und Räume für unsere schnellen Flügelspieler. So wollten wir angreifen.
Ändert sich diese Taktik in der Rückrunde?
Das wird, glaube ich, immer auch vom Gegner und dessen Qualitäten abhängen. Gegen Topmannschaften wie Bayern, Leipzig oder Dortmund vermutlich eher nicht. Aber wir haben viele kluge und professionelle Leute in unserem Stab, die sich jeden Tag darüber Gedanken machen und die beste Lösung finden werden.
Ihr Leihvertrag bei Hertha BSC läuft im Sommer 2020 aus. Wie sehen die Zukunftspläne aus?
Ganz ehrlich: Bisher haben wir noch nicht über meine Zukunft gesprochen. Aber jeder im Verein weiß, dass ich mich in Berlin sehr wohl und gut aufgehoben fühle - gerade jetzt, wo der neue Trainer gekommen ist. Natürlich muss sich jeder seine Minuten erarbeiten, aber ich bin in dieser Hinsicht sehr zufrieden mit meinen Einsatzzeiten. Mal sehen, was im Sommer passiert, Liverpool hat da ja auch ein Wörtchen mitzureden. Zuallererst will ich die nächsten sechs Monate nutzen, um mich weiter zu verbessern und mit der Mannschaft viele Punkte zu sammeln.
Alle Infos zum Trainingslager von Hertha BSC in Florida finden Sie in unserem Blog.