Evergreens des Fußballs (4): Liverpool, Alaves und ein Finale mit neun Toren
2001 stehen sich im Westfalenstadion der FC Liverpool und Deportivo Alaves im Finale des Uefa-Cups gegenüber. Das Duell geht in die Geschichte ein.
Kein Fußball. Und das über Wochen, vielleicht sogar Monate. Nicht mal ein Testspiel aus dem Trainingslager im Süden, in dem die B-Mannschaft des eigenen Klubs gegen einen rumänischen Zweitligisten antritt. Es gibt also genügend Zeit für legendäre Spiele aus der Vergangenheit. Wir stellen hier einige vor. Heute: Uefa-Cup-Finale 2001, FC Liverpool - Deportivo Alaves.
Die Europapokalhistorie ist lang und ereignisreich. Seit 1956 gab es 181 Endspiele in den einst drei Wettbewerben. Zwischenzeitlich wurden diese mal mit Hin- und Rückspiel ausgetragen, es gab Wiederholungsspiele, viele langweilige Eins-zu-Nulls und allerlei Kuriositäten. Ein einfacher Blick auf die Statistik reicht jedoch schon, um dem Uefa-Pokal-Finale von 2001 einen ganz besonderen Platz unter diesen 181 Endspielen einzuräumen.
Beim FC Liverpool spielen Babbel und Hamann
Im Dortmunder Westfalenstadion besiegte der FC Liverpool den durch zwei Platzverweise dezimierten Außenseiter aus dem Baskenland, Deportivo Alaves, durch ein Eigentor in der 117. Minute mit 5:4. Es war das einzige Europapokalfinale, das durch ein Golden Goal entschieden wurde. Mehr als neun Treffer ohne Elfmeterschießen gab es einzig 1960 beim 7:3-Sieg von Real Madrid gegen Eintracht Frankfurt. Das Finale bot aber noch deutlich mehr, als es der bereits spektakuläre Spielberichtsbogen aussagen kann.
Zu Beginn lief alles, wie es von den meisten Experten erwartet worden war. Liverpool war damals zwar kein Ausnahmeteam wie heute, hatte mit den jungen Engländern Steven Gerrard, Michael Owen und Emile Heskey sowie den Deutschen Markus Babbel und Dietmar Hamann aber eine solide Truppe beisammen. Alaves, in Spanien eine klassische Fahrstuhlmannschaft, konnte da personell nicht mithalten. Prominentester Spieler war Jordi Cruyff, mäßig erfolgreicher Sohn des großen Johan.
Es waren keine vier Minuten gespielt, da köpfte Markus Babbel nach einer Freistoßflanke von Gary McAllister zum 1:0 ein. Nach einer guten Viertelstunde erhöhte Gerrard per Konter auf 2:0. Alaves kam bis dahin überhaupt nicht ins Spiel, wirkte überfordert, von der Situation, vom Gegner, von der großen Bühne.
Doch dann nahm José Manuel Esnal Pardo, besser bekannt als Mané, eine Änderung vor, die den Spielverlauf verändern sollte. Schon in der 22. Minute wechselte der spanische Trainer und brachte mit Ivan Alonso einen Stürmer für den Abwehrspieler Dan Eggen. Aus dem schon damals leicht antiquiert wirkenden 5-4-1 mit Antonio Karmona als Libero wurde ein 4-4-2. Im Mittelfeld kam Alaves nun endlich in die Zweikämpfe und setzte Liverpool unter Druck.
Knappe fünf Minuten nach der Umstellung setzte sich der eingewechselte Alonso nach einer perfekten Flanke des dribbelstarken Rumänen Cosmin Contra gegen Babbel durch und köpfte den Anschlusstreffer. Liverpool wirkte überrascht, nach der einseitigen Anfangsphase hatten die Engländer offenbar nicht mehr mit einem offenen Schlagabtausch gerechnet – doch genau das folgte.
Der Ausgleich zum 4:4 fällt in letzter Minute
Noch vor der Halbzeit wurde Owen bei einem Konter im Strafraum von Torwart Martin Herrera gefoult, McAllister verwandelte zum 3:1. Der damals bereits 36 Jahre alte Schotte sah aus, wie britische Fußballer damals halt aussahen, spielte jedoch entgegen jedem Klischee raffiniert und technisch anspruchsvoll. Wann immer Liverpool gefährlich wurde, hatte McAllister seine Füße im Spiel.
Zu Beginn der zweiten Hälfte wurden die Engländer dennoch eiskalt überrumpelt. Javi Moreno glich mit einem Doppelpack innerhalb von nur drei Minuten aus und in der Übertragung der BBC, die auf Youtube zu finden ist, sagte Kommentator Barry Davies: „So etwas sollte in einem europäischen Finale eigentlich nicht passieren.“
Es wurde allerdings noch dramatischer, viel dramatischer. Liverpool ging durch den eingewechselten Robbie Fowler erneut in Führung und in der 89. Minute sangen die englischen Fans bereits „You’ll never walk alone“, als Jordi Cruyff nach einer Ecke das 4:4 köpfte. Vater Johan nahm es auf der Tribüne relativ gelassen hin, war damit aber allein unter den 48.050 Zuschauern in Dortmund. Der BBC-Kommentator war sich bereits sicher: „Das ist das erstaunlichste Finale in der Geschichte dieses Wettbewerbs.“
In der Verlängerung erzielten beide Mannschaften je ein Abseitstor. Spätestens nach dem Platzverweis für den Brasilianer Magno versuchte sich Alaves tiefstehend irgendwie ins Elfmeterschießen zu retten, doch Liverpool fiel trotz der Überzahl nicht viel ein – und so brauchte es wieder eine Standardsituation.
In der 116. Minute wusste sich Karmona kurz vor der linken Strafraumgrenze gegen Vladimir Smicer nur mit einem Foul zu helfen und sah ebenfalls Gelb-Rot. Neun Spanier standen im eigenen Sechzehner und warteten auf den Freistoß von McAllister. Der kam an den Fünfmeterraum, rutschte Delfi Geli leicht über den Kopf und ins eigene Tor. Golden Goal!
Für Liverpool war es der erste internationale Titel seit 17 Jahren, für Alaves endete der größte Tag der Vereinsgeschichte in einem Drama. Oder wie BBC-Kommentator Davies sagte: „Wie schmal ist der Grat zwischen Ruhm und Scheitern.“
Bisher in dieser Serie erschienen:
DFB-Pokalfinale 1973 Borussia Mönchengladbach - 1. FC Köln
DFB-Pokalfinale 1993 Hertha BSC Amateure - Bayer 04 Leverkusen
WM-Finale 1974, Bundesrepublik Deutschland - Niederlande