Formel-1-Weltmeister verlängert bei Mercedes: Lewis Hamilton: Auf seinem eigenen Stern
Lewis Hamilton ist der letzte Klischee-Rennfahrer der aktuellen Formel 1 – der amtierende Weltmeister verlängert seinen Vertrag mit Mercedes bis 2018.
Vor dem Auftakt des Formel-1-Wochenendes in Monaco veröffentlichte Lewis Hamilton ein Foto. Kein Bild aus dem Kraftraum oder dem Simulator, um Professionalität zu demonstrieren. Er postete auf Twitter ein Dokument, das ihn mit schwerer Kette um den Hals auf einem Protzboot an der sonnigen Côte d’Azur zeigt. Warum auch nicht? Hamilton hat sich auf eigene Faust aus der englischen Arbeitersatellitensiedlung Stevenage ins Luxusrefugium Monaco durchgeschlagen, nun darf er auch ein bisschen damit angeben. Dazu ein Satz, der den Neidfaktor noch einmal erhöhte: „Auf dem Weg zur Arbeit.“ So geht Star, und nicht anders.
Wenig später dürfte seine Stimmung sogar noch einmal gestiegen sein. Denn der Auftakt zum Grand-Prix-Wochenende in seiner Wahlheimat zementierte den Status des geltungsbedürftigen Engländers als größten Star der Szene. Nach monatelangen Verhandlungen, die Hamilton ohne Manager führte, gab Mercedes die Vertragsverlängerung um drei Jahre bis Ende 2018 bekannt. Zur Feier des Tages erschien der Weltmeister frisch herausgeputzt im Fahrerlager. Halskette, Ohrringe, Armband, Sonnenbrille, alles funkelte. Der Golden Boy der Formel 1 fuhr sich durch die von seiner persönlichen Stylisten aufgerichtete Hahnenkammfrisur, dann sagte er lächelnd: „Ich denke jeden Tag daran, wie weit ich es gebracht habe. Ich wache morgens auf, schaue aus dem Fenster über Monaco aufs Meer und denke: Das ist einfach verrückt.“
Auch künftig wird Hamilton den märchenhaften Ausblick aus einem der teuersten Apartmenthäuser der Welt nicht missen müssen. Angeblich soll er rund 40 Millionen Euro pro Jahr kassieren, das wären Dimensionen, die an Schumacher- oder Senna-Zeiten erinnern.
Auch wenn die kolportierten Millionensummen oft der Fantasie des Umfelds entspringen, dürfte doch zumindest gesichert sein, dass die Vereinbarung Hamilton zum mit Abstand bestbezahlten Formel-1-Piloten macht. Schon vor der Vertragsverlängerung verdiente Hamilton signifikant mehr als sein Stallrivale Nico Rosberg, der pro Jahr 18 Millionen Euro kassieren soll. In dem rund 60 Seiten umfassenden neuen Vertragswerk mag keine explizite Statusklausel zu finden sein, doch was die Gage, Vertragslaufzeit und ultimativ damit auch die Wertschätzung des Teams betrifft, hat Hamilton seinen deutschen Konkurrenten nun wohl noch weiter abgehängt. In der Formel 1, wo es immer auch um die Rangordnung innerhalb des Rennstalls geht, kann das im Zweifel entscheidend sein.
Lewis Hamilton reanimiert das Profil des todesmutigen Lebemanns
Beim großen Boss steht Lewis Hamilton sowieso schon seit Längerem auf der Poleposition. Im vergangenen WM- Kampf zwischen Rosberg und Hamilton schlug sich Formel-1-Chef Bernie Ecclestone ganz klar auf die Seite seines Landsmanns, weil der „besser für den Sport“ sei. Inzwischen hält Ecclestone Hamilton sogar für den „besten Weltmeister aller Zeiten“. Als schlechtes Gegenbeispiel nennt er Sebastian Vettel, der sein Privatleben sehr zu Ecclestones Unmut rigoros abschirmt. „Manche Fahrer denken, ihr Job ist es, nur Rennen zu fahren. Es ist aber mehr als das“, sagte Ecclestone. Dazu passt eine Szene aus Barcelona: Vor der Ferrari-Garage rief ein danebenstehender Vip-Gast nach dem Rennen: „Schau mal, Kimi Räikkönen, das ist ja Wahnsinn.“ Dabei handelte es sich allerdings um Vettel, der trotz seiner vier WM-Titel offenbar keinen größeren Wiedererkennungswert besitzt.
Von Lewis Hamilton kann man das nicht behaupten. Gerade durch sein Auftreten neben der Strecke ist er abgesehen von Ferrari der größte Star der Formel 1. Einwandererkind, Arbeiterkind, Musiker, Lifestylist, Klatschspaltengast – weil er die unterschiedlichsten Interessensgruppen anspricht, strahlt Hamilton noch weit über Rennstrecken hinaus. Auch wegen dieser Strahlkraft und des damit verbundenen Werbeeffekts für seine Autos dürfte Mercedes für den Deal an die finanziellen Grenzen gegangen sein.
Ein Grund für Hamiltons Strahlkraft ist der simple Umstand, dass der 30-Jährige der einzige der aktuellen Fahrer ist, der noch dem Klischee eines Rennfahrers entspricht. Beim vergangenen Rennen in Barcelona wurde fünf anderen Fahrern auf der Pressekonferenz die Frage nach ihren drei jeweils hervorstechenden Eigenschaften gestellt. Keinem der Piloten, darunter der zweimalige Weltmeister Fernando Alonso und Vizeweltmeister Nico Rosberg, fiel etwas Witziges oder Charmantes ein, de facto fiel keinem überhaupt etwas ein. Daniil Kwjat erdreistete sich sogar zu der Replik: „Das ist eine langweilige Frage.“ Der Russe ist das Sinnbild einer Fahrergeneration, die seit frühester Kindheit in den Talentschulen der großen Motorsportsponsoren geschliffen wurde, offensichtlich kein Leben außerhalb des Rennsports hat und nun noch stromlinienförmiger wirkt als ihre Autos.
Seine CO²-Bilanz zu Lande, zu Wasser und in der Luft ist verheerend
Hamilton dagegen reanimiert das Profil des todesmutigen Lebemanns, der nicht in den Rückspiegel schaut und wenig darauf gibt, was andere von seinen Eskapaden halten. In der Tradition der legendären Draufgänger wie Gilles Villeneuve tobt der zweimalige Weltmeister maximal ungebunden über den Erdball. Seine CO2-Bilanz zu Lande, zu Wasser und in der Luft ist verheerend, und er versucht erst gar nicht, das zu verheimlichen.
Während die meisten anderen Fahrer sich inzwischen bemühen, nur nicht zu großspurig aufzutreten, nicht mit Statussymbolen zu protzen und den biederen Schwiegersohn zu geben, kostet der exzentrische Hamilton die Vorzüge des Stardaseins bis ins Letzte aus und wirkt dabei kein bisschen verschämt. Mal taucht er mit einem neuen Tattoo im Fahrerlager auf, mal mit einem donnernden Motorrad und mal mit einer Bulldogge. Seine On-off-Beziehung mit dem Popsternchen Nicole Scherzinger versorgte auch Formel-1-Desinteressierte jahrelang mit Diskussionsstoff.
Derzeit ist wieder mal Aus, aber das heißt nicht, dass Hamilton sich nun in Askese übt. Nach dem Rennen in Barcelona vor zwei Wochen wurde er gefragt, worauf er sich denn in Monaco am meisten freue. Er antwortete: „Die Mädchen.“ So offensiv ist kein Fahrer mehr mit dem Playboy-Image umgegangen, seit der einstige (Party-)Weltmeister Jenson Button seine Modelfreundin zur Modelehefrau erhob. Nebenbei macht Lewis Hamilton auch noch Musik, um die 80 R’n’B-Songs hat er laut Eigenwerbung schon geschrieben.
Bei diesem Lebensstil ist es beinahe schon verwunderlich, dass Hamilton auch noch der vermutlich beste Rennfahrer ist. Schon seine Ankunft in der Formel 1 2007 rief größeres Getöse hervor. Einerseits, weil der Nachfahre von Einwanderern aus Grenada der erste dunkelhäutige Grand-Prix-Pilot in diesem traditionell weißen Aristokratensport war. Andererseits, weil der talentierte Neuling den zweimaligen Weltmeister Fernando Alonso bei McLaren derart entnervte, dass der nach nur einer Saison Reißaus nahm. Hamilton verpasste in seiner Debüt-Saison nur knapp den WM-Titel, doch schon ein Jahr später wurde er Weltmeister und daheim von der Queen als „Member of the British Empire“ ausgezeichnet.
2013 wechselte er zu Mercedes, im vergangenen Jahr gewann er mit dem deutschen Rennstall seinen zweiten Titel. Dass Hamilton angesichts seines auslaufenden Vertrags danach auch mit Ferrari verhandelte und früher oder später dahin wechseln will, gilt als gesichert. So darf man auch die Sätze interpretieren, die er kurz vor der Vertragsverlängerung bei „Auto Motor und Sport“ von sich gab. „Ich bin ein Mercedes-Mann, seit ich 13 bin“, sagte er. „Mein Herz hängt daran und es ist schwer, sich vorzustellen, irgendwo anders hinzugehen, auch wenn deine Karriere nicht komplett ist, wenn du nicht alles mal ausprobiert hast.“ Auf die Tagesspiegel-Frage, ob er sich denn aus diesem Grund selbst eine Ausstiegsklausel in den neuen Vertrag verhandelt habe, antwortete Hamilton am Mittwoch ausweichend: „Das ist alles vertraulich.“ Also im Zweifel eher ja.
Weil der Mercedes derzeit aber das Maß aller Dinge ist und es wohl auch künftig bleiben wird, war seine Vertragsverlängerung bei aller Taktik quasi alternativlos. Denn auch Lewis Hamilton weiß: Ohne ein schnelles Auto verblasst in der Formel 1 auf Dauer auch der größte Stern.