Mercedes-Sportchef Toto Wolff im Interview: „Wir suchen keine Alternative zu Lewis Hamilton“
Sein Team ist derzeit das Maß der Dinge der Formel 1 - und hat dennoch ein Problem: Mercedes-Sportchef Toto Wolff über die Zukunft von Lewis Hamilton, Konkurrenz - und Kooperation mit Ferrari.
Herr Wolff, Ihr derzeit größtes Problem hätten andere Teams gern. Die Vertragsverlängerung mit Weltmeister Lewis Hamilton zieht sich hin. Welche Alternative hat Mercedes, falls er den Vertrag ablehnt?
Über Alternativen brauchen wir nicht nachdenken, weil alles sehr gut auf dem Weg ist. Wir haben ein schnelles Auto, das meisterschaftsfähig ist. Das weiß Lewis, und wir schätzen ihn. Deswegen gibt es für mich keine Anzeichen, um sich nach Alternativen umzusehen.
In der Tat sieht es so aus, als sei Ihr Auto auch nach der großen Erneuerungswelle vor dem Großen Preis von Spanien das Maß der Dinge in der Formel 1. Mercedes hat das Freie Training am Freitag dominiert. Sind Sie zufrieden mit den Updates am Wagen?
Heute ist Freitag, Punkte bekommen wir am Sonntag. Wir erzielen gute Fortschritte in unserer Leistung. Wir sind hungrig nach Erfolg und halten das Entwicklungstempo hoch.
Ihr einziger echter Konkurrent ist Ferrari. Das ist immer noch überraschend, weil das Team im Vorjahr hinterherfuhr. Wie oft haben Sie es erlebt, dass ein Rennstall bei einem quasi eingefrorenen Reglement über den Winter mehr als eine Sekunde findet?
Das ist nicht Usus. Die großen Sprünge passieren bei Regeländerungen und durch Entwicklungen, die andere übersehen haben. Ein gutes Beispiel ist der Doppeldiffusor am Brawn 2009. Die einzige für mich rationale Erklärung ist, dass sie 2014 sehr früh abgeschrieben haben – da waren die Leistungen wirklich schlecht – und die aerodynamische Entwicklung auf 2015 verlegt haben. Außerdem konnten sie den Motor verändern, das ging wegen des Reglements während der Saison nicht. All das in ein Paket verschnürt, mit Sebastian Vettel, mit neuer Motivation für die Mannschaft, das macht den Unterschied.
Und so wird man eine Sekunde schneller?
Am Chassis kannst du nicht viel finden, das Aerodynamik-Reglement ist stabil. Das große Thema ist der Motor.
Mercedes hat nach gängiger Meinung das beste Motorenkonzept. Doch laut Ihrem Aufsichtsratschef Niki Lauda hat Ferrari um die 45 PS gefunden. Normal sind in der Formel 1 PS-Steigerungen um 15 bis 25 PS. So viel Zusatzkraft ist eigentlich nur mit einer Konzeptänderung möglich, nicht mit einem verlegten Auspuffrohr.
Das ist schon ein gewaltiger Sprung. Aber ich würde mich nicht dazu hinreißen, das anzuzweifeln. Sie haben einfach einen sehr guten Job gemacht.
Red Bulls Motorsportkoordinator Helmut Marko ist überzeugt davon, dass Mercedes Ferrari dabei geholfen hat, das Antriebskonzept zu verbessern. Stimmt das?
Es ist per Reglement verboten. Würde irgendjemand, der einen Funken Gehirn hat, einem Konkurrenten, der alle Ressourcen hat, helfen, nur um politisch Stabilität zu haben? Gegen das Reglement verstoßen und einen Konkurrenten stärken, der dir die WM abspenstig machen könnte? Das ist zu weit hergeholt.
Marko sagt, Ferrari habe auf Empfehlung von Mercedes den früheren AMG-Cheftechniker Wolf Zimmermann verpflichtet, ein Experte der Hybridtechnologie.
Wolf Zimmermanns letzter Job war es, bei Lotus Straßenmotoren zu bauen. Er hat früher bei Ferrari gearbeitet und ist dahin zurückgekehrt. Er hatte nichts zu tun mit unserer Motorenentwicklung, das ist eine ganz andere Baustelle.
Im Fahrerlager geht das Gerücht um, Bernie Ecclestone persönlich habe seinem Liebling Ferrari ein wenig auf die Sprünge geholfen.
Bernie Ecclestone ist mit Sicherheit an einem starken Ferrari etwas gelegen. Für ihn ist es wichtig, dass es vorn an der Spitze einen Kampf gibt. Ein zu überlegenes Team hilft ihm aus Promotiongründen nicht. Er hat den größten Einfluss hier im Fahrerlager. Aber um jemandem auf die Sprünge zu helfen, müsstest du ihm technisch helfen. Und da sehe ich den Kaufmann Bernie nicht.
Ferrari als Verbündeter? "Man muss sich hüten."
Auch Mercedes braucht einen starken Rivalen. Eine Dominanz wie im letzten Jahr, bei der die Aufmerksamkeit schwindet, ist doch auch für Sie dauerhaft nicht attraktiv.
Die Frage ist: Was ist dauerhaft? Wir sind jetzt im zweiten Jahr. Wenn wir es uns wünschen könnten, dann hätten wir gern noch ein Jahr der Dominanz gehabt. Ein zweiter Titel ist für Mercedes unheimlich wichtig. Allerdings ist die Sache jetzt anders. Ferrari hat über den Winter so stark aufgeholt, dass wir einen Kopf-an-Kopf-Kampf haben. Und sicher: Für die Marke Mercedes und auch die Formel 1 ist es attraktiver, dass wir uns mit Ferrari um die Siege balgen.
Auffällig ist, dass Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene noch Ende 2014 das Motorenreglement kritisiert hat und zurück zu den V8-Benzinern wollte. Mercedes stand allein als Verteidiger der Hybridmotoren da, die aktuelle Motorenformel drohte zu kippen. Seit Januar ist Ferrari an Ihrer Seite, deshalb bleibt nun alles so. Wie haben Sie Ferrari auf Ihre Seite gezogen?
Ihre Meinung haben sie schon im Herbst geändert. Da hatten wir eine Strategiesitzung, da hat Fiat-Chef Sergio Marchionne bestätigt, dass eine Veränderung des Antriebskonzepts einfach sinnlos wäre, weil wieder extreme Entwicklungskosten anfallen würden. In unsere jetzigen Antriebe sind viele Millionen geflossen, deswegen muss man bei dem jetzigen Motor bleiben. Jetzt wieder einen V8-Verbrennungsmotor einzusetzen oder den Hybridanteil zu reduzieren, wäre komplett gegen die Logik, weil auch die Serie in diese Richtung geht. Das hat Marchionnne als Fachmann natürlich sofort erkannt. Es hilft ihnen natürlich auch, leichter diese Position zu beziehen, dass ihre Antriebseinheit jetzt unter den zwei besten Konzepten ist, zumindest auf Augenhöhe mit uns.
Ist Ferrari für Mercedes inzwischen nicht nur Konkurrent, sondern auch Verbündeter?
Man muss sich hüten, von Verbündeten und Gegnern zu sprechen, dass kann sich von Woche zu Woche ändern. Wir sind in allererster Linie hier, um Rennen und Meisterschaften zu gewinnen. Wenn es eine klare Rollenverteilung zwischen Nummer eins und Nummer zwei gibt, ist es leichter, verbündet zu sein. Wenn man um das Gleiche streitet, wird man schnell vom Verbündeten zum Gegner. Wir haben eine gesunde sportliche Rivalität, und so sollte es auch sein.
In jedem Fall sind beide Teams inzwischen auffällig häufig einer Meinung. Sie haben gesagt: „Bei Ferrari und Mercedes und auch bei den anderen Teams sind sich alle bewusst, dass wir die Kosten nicht aus dem Ruder laufen lassen dürfen. Ein Wettrüsten darf nicht das Ziel sein.“ In der DTM wurde einst zwischen den Herstellern eine Art Bündnis geschlossen, um die Technik ungefähr auf einem Stand zu bringen und ein Wettrüsten zu verhindern. Versuchen Sie das auch mit Ferrari zu erreichen?
Ja. Sowohl Mercedes als Ferrari betreiben die Formel 1 aufgrund der langjährigen Historie, wegen des Technologietransfers zu den Straßenautos und um unsere Marke zu stärken. Wir sind allerdings zuerst auch Kaufleute, die das Engagement kalkulieren. Und wenn die Kosten dieses Engagements ausufern, dann muss man sich irgendwann die Sinnfrage stellen. Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt momentan wirklich, aber da sind wir mit Ferrari absolut einer Meinung, dass man die Kosten im Auge behalten muss.
Das sagt sich leicht, aber wenn es um den WM-Titel geht, werden im Zweifel doch die Windkanäle angeworfen. Wie handeln Sie das denn konkret auf täglicher Basis aus?
Im Moment gibt es nichts dergleichen. Es gibt keine Kostenobergrenze, niemand schaut einander in die Bücher, wie das im Fußball im Rahmen des Financial Fairplay ist. Wir versuchen, in unserer eigenen finanziellen Realität so effizient und schlank wie möglich zu sein. Aber diese Grenze kann sich immer weiter nach oben verschieben, wenn ein Mitbewerber die Kosten immer weiter rauftreibt oder ein Neuer in den Sport kommt. Deswegen müssen wir in Zukunft eine Lösung finden, dass wir die Kosten einigermaßen im Griff behalten.
Sie plädieren für ein Budget Cap?
Wir müssen es schaffen, die Kosten einzudämmen. Wie, weiß ich noch nicht genau. Aber das muss uns gelingen. Und da gibt es Gespräche mit allen Teams.
Wann kann das realistischerweise eingeführt werden?
Die Dinge passieren nicht von heute auf morgen. Um das für nächstes Jahr hinzukriegen, brauchen wir einen einstimmigen Beschluss aller Teams, und den wird es nicht geben. Mit einer einfachen Mehrheit könnten wir das für 2017 beschließen, das halte ich für einen realistischen Zeitpunkt.
Hilft dabei, dass Daimler-Chef Dieter Zetsche und Marchionne sich aus vergangenen Zeiten kennen?
Ja, sie kennen und schätzen sich. Das hilft natürlich. Schlussendlich sind wir aber hier auf der Strecke Wettbewerber. Und ich selbst muss sicherstellen, dass wir hier gewinnen.