NHL: Leon Draisaitl: Tor-Rekord vom Mann mit den guten Händen
33 Treffer hat Draisaitl in der laufenden NHL-Saison nun erzielt. Mehr als jemals ein Deutscher in einer kompletten Spielzeit. Doch sein Trainer übt Kritik.
Allein für sich betrachtet ist Leon Draisaitl ein Phänomen: Bereits nach 55 Spielen hat der Kölner in der laufenden Saison der National Hockey-League (NHL) 33 Tore erzielt. Mehr als jeder andere Spieler bei seinem Klub, den Edmonton Oilers. Mehr als jeder andere deutsche Profi zuvor in der besten Eishockey-Liga der Welt je in einer gesamten Saison geschossen hat. In der aktuellen Torjägerliste der Liga liegt er auf Rang fünf. Sie sehen den jungen Mann mit der Nummer 29 als den Nachfolger des großen Sidney Crosby, Leon Draisaitl ist auf dem Wege zum Superstar in Nordamerika. Nur hat das Ganze noch einen Schönheitsfehler: Sein Team ist nicht so erfolgreich wie der Star, die Oilers verloren zuletzt acht von neun Spielen und sind von 31 Mannschaften aktuell im Gesamtklassement nur auf Rang 26. Die Play-offs könnten ohne das Team aus der kanadischen Provinz Alberta stattfinden.
Edmontons Trainer Ken Hitchcock schimpfte nach dem 2:5 gegen San José am Wochenende sogar recht unverblümt über seinen Star. Der habe mit einem Wechselfehler die Niederlage besiegelt. Draisaitl habe den Puck in der neutralen Zone verloren und sei dann „schnell zur Bank gefahren, um zu wechseln“. Kurz darauf hätten die Sharks das 5:2 erzielt. „Das ist einfach nicht akzeptabel“, sagte Hitchcock.
Eleganter Zauber auf dem Eis
Eishockey ist Zauber, Eleganz und harte Arbeit. Leon Draisaitl ist der Mann für den eleganten Zauber auf dem Eis, aber nicht immer der Mann, der auch im Sinne der Mannschaft arbeitet. Draisaitl spielt vor allem für Draisaitl. Das allerdings kann er so gut wie kaum ein anderer. Und das ist es ja schließlich auch, was eine große Diva auf dem Eis ausmacht. Jaromir Jagr etwa, größter tschechischer Eishockeyspieler aller Zeiten, hat lange Jahre nur noch offensiv stattgefunden. Die Drecksarbeit im eigenen Drittel, die haben andere für ihn erledigt. Nur der kleine Unterschied ist: Zu dem Zeitpunkt, als Jagr seinen Spielstil auf offensive Effizienz umstellte, war er weit jenseits der 30. Leon Draisaitl aber ist erst 23 Jahre alt.
In Edmonton harmoniert Draisaitl mit seinem Sturmpartner Connor McDavid. Abseits der ersten Angriffsformation haben die Oilers aber nicht viel zu bieten. „Die bekommen keine zweite Sturmreihe zusammen, die mehr als einen Tropfen pinkeln kann“, spottete kürzlich ein kanadischer Journalist. Es sieht tatsächlich wenig gut aus hinter Draisaitl: Seinem Landsmann Tobias Rieder, von Phoenix nach Edmonton gewechselt, gelang bislang nicht ein einziges Tor für den neuen Klub. Vor der jüngsten Niederlage in der Nacht zum Donnerstag in Pittsburgh gingen 40 Prozent der 159 Treffer des Teams auf das Konto von McDavid (31 Tore) und Draisaitl. Eine ausbalancierte Teambilanz sieht im Eishockey anders aus.
Aber das alles kann Leon Draisaitl letztlich auch egal sein, er wird seinen Weg nach oben in der NHL machen. Marco Sturm, der ehemalige Bundestrainer, glaubt dass er dazulernt. Sturm sagte vor der WM 2018 in Dänemark: „Leon ist ein absoluter Leader. Er hat sich weiterentwickelt.“
Fehlen bei Olympia "ärgerlich"
Es wurmt den nach außen hin bei öffentlichen Auftritten oft gelangweilt wirkenden Jungmillionär mit zur Zeit neun Millionen Dollar Saisongehalt, dass sein Ruhm in der Heimat kaum glänzt. Daran hat wohl auch das Brimborium beim Testspiel der Oilers in der Kölnarena bei den Haien vor der Saison wenig geändert. Der deutsche Eishockeyfan interessiert sich mehr für die DEL als die NHL – das unterscheidet ihn von vielen Basketballfans im Lande, die mehr nach Nordamerika zur NBA als nach Bamberg oder Vechta schauen. Zudem hat Draisaitl mit dem größten Erfolg der Nationalmannschaft nichts zu tun, als seine Kameraden in Pyeongchang Silber gewannen, stand er in der NHL auf dem Eis. Der Jungstar fand es „schon ärgerlich, wenn man bei so etwas nicht dabei sein kann“. Bei den Winterspielen 2018 durften die NHL-Profis ja nicht mitwirken, Draisaitl fand es blöd, denn er sei „immer bereit für die Nationalmannschaft zu spielen“.
Größere Anerkennung in der Heimat wird Leon Draisaitl wohl erst erfahren, wenn er später mal seine Karriere in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) abrunden sollte. Bei den Kölner Haien natürlich. Denn als Kölner hängt er an Köln, er verfolgt alle Spiele seines Heimatklubs und sieht sich selbst als „größten Fan“ der Haie, wobei das Verhältnis ein wenig erschüttert worden sein mag, seit Vater Peter dort jetzt als Trainer gefeuert wurde.
Vor Köln liegt grob geschätzt noch ein gutes Jahrzehnt in der NHL und dort wird Draisaitl gut möglich zum größten Star der Liga werden, wenn er das passende Team um sich hat, das defensiv für ihn arbeitet und offensiv mit ihm arbeitet: Er kann mit seiner Fähigkeiten das Tempo im Spiel so variieren wie kaum ein anderer Spieler auf der Welt. Draisaitl hat sehr gute „Hände“, wie man im Eishockey sagt, wenn ein Spieler im Umgang mit dem Puck besonders versiert ist.
Es liegt nun auch in den guten Händen von Leon Draisaitl, die Edmonton Oilers noch in die Play-offs zu führen und damit weiter auf den Spuren von Sidney Crosby zu wandeln – der führte Pittsburgh als Kapitän bereits mit 21 Jahren zum Titel. Allerdings hatte Crosby auch eine bessere Mannschaft hinter sich.