Eisbären Berlin: Kurvendiskussion und Kalifornisierung
Die Eisbären finden den Weg zum Erfolg zur Zeit zu selten, auch weil Eigner in den USA und Fanblock aneinander vorbei funken. Eine Bestandsaufnahme.
Beim jüngsten Heimspiel der Eisbären am Freitag gegen Schwenningen schaute Bailey vorbei, der knuffige Kuschellöwe aus Los Angeles. Zum Mätzchenmachen war das Maskottchen der LA Kings in der Arena am Ostbahnhof. Themenabend. Trallala. Es war „Kings Night“ in der Arena von Berlin. Der Mann in Verkleidung kam vom großen Bruderklub aus der Eishockeyzentrale des Eisbären-Eigners und spielt sonst beim Klub aus der National Hockey-League (NHL) den Pausenlöwen. So etwas kommt an im Staples Center von Los Angeles, wenn ein Löwe zwischen halbnackten jungen Frauen der so genannten „LA Kings Crew“ über das Eis turnt.
Die Eisbären haben in dieser Saison auch eine Turnertruppe. Sie stehen auf Platz acht im auf die Play-offs zulaufenden Teil der Hauptrunde. Platz acht ist für den Zweiten des Vorjahres zu wenig, ist für den Rekordmeister der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) viel zu wenig. Warum nur kriegen die Berliner mit ihrem Eigner nach dem bisher letzten Meistertitel von 2012 nicht mehr die Kurve? Was läuft schief am Mercedes-Platz?
Baileys LA/Berlin-Show illustrierte einen Knackpunkt. Bei den Eisbären gibt es im Fanblock vielleicht ein paar Bierbäuche als Rundungen, aber offen zur Schau getragene Dekolletés von jungen Frauen, denen womöglich europäische Sexismusdebatten völlig fremd sind, die gibt es nicht in der Halle. Zum Glück für die Eisbären hatte Bailey die „LA Kings Crew“ nicht mit in Berlin dabei. Aber Maskottchen Bailey ist für die Eisbärenfans auf den Stehtrassen trotzdem etwas Fremdes: Eigner in den USA und Fanblock funken aneinander vorbei. Das ist transparent seit der Diskussionen um den sogenannten „Fanbogen“, den Container-Treffpunkt der Anhänger nach den Spielen auf dem Areal unweit der Halle. Nun gibt es Interpretationsspielraum: Entweder haben sie beim Eisbären-Eigner Anschutz in den USA null Ahnung von nüscht, was das Stammpublikum der Eisbären mag und will. Oder sie wollen mit aller Macht ihr Berliner Publikum kalifornisieren, so wie sie es ja schon in der Umgebung um die Arena herum geschafft haben – durch die gelungene Umwandlung von Berliner Brachland in eine Plastikwelt mit Kettengastronomie.
Kein Eishockeytrainer kann mit einem Ein-Jahres-Vertrag etwas entwickeln
Oder aber, ganz gewagte These, sie versuchen nun von LA aus, mit Musike das maue sportliche Sein bei den Eisbären zu übertünchen. Das können sie und sind sie aus den USA gewohnt, bei den Kings läuft es ja in dieser NHL–Saison auch nicht. So twitterte Bailey dann nach seinem Auftritt in Berlin: „I think Berlin took this Kings night way to far“ – nach der 1:3-Niederlage gegen Schwenningen eine Anspielung auf geteiltes sportliches Leid.
Am Sonntag siegten die Berliner allerdings 5:2 in Köln und gerne wird so ein Erfolg bei einem großen Klub dann ja mal schnell von außen zur Wiedergutmachung oder gar zur Kehrtwende erklärt. Das reicht immer bis zum nächsten Heimspiel, in diesem Fall ist das am Dienstag gegen Nürnberg (19.30 Uhr). Und es ist tatsächlich möglich, dass Trainer Clement Jodoin mit seiner an sich gut besetzten Mannschaft noch nach oben kommt. Aber es wäre überraschend in der Gemengelage bei den Eisbären. Nach außen hin wirkt es nicht eben so, als dass Sportdirektor Stéphane Richer und sein kanadischer Landsmann Jodoin eine exorbitant harmonische Geschäftsbeziehung hätten. Geht ja auch gar nicht. Hätten sie bei den Eisbären nach der Jahr für Jahr erfolgreicher gewordenen Ära unter Jodoin-Vorgänger Uwe Krupp langfristig geplant, dann hätten sie nicht nur einen Einjahresvertrag für Krupp-Nachfolger Jodoin gezückt. In einem Jahr kann kein Eishockeytrainer etwas um ein Team herum entwickeln, in einem Jahr muss ein Trainer Erfolg haben, damit er dann länger bleiben darf.
Warum also wurde nach der erfolgreichen Vorsaison mit der Finalteilnahme beim siebenmaligen Meister nicht weiter gedacht? Womöglich, weil sie es in Berlin so kannten und damit lange Erfolg hatten. Mit dem Verlängern von Verträgen hatten sie immer schon Bierruhe. Don Jackson kann davon ein Liedchen trällern. Fünf Mal wurde er Meister mit den Eisbären, so gut wie jedes Jahr musste er trotz Titelgewinn um einen neuen Kontrakt – ja, fast betteln. So was kennt der „Donni“, wie sie ihn in Berlin kumpelhaft nannten, nicht mehr. In München, beim neuen Serienmeister, nennen sie ihn zwar nicht mehr „Donni“, aber dafür rollt der Euro von Seiten des Eigners Red Bull, der die Berliner in den jüngsten Jahren abgelöst hat als Spitzenmannschaft der DEL.
Bei der U20-WM war kein Spieler von den Eisbären dabei
Das Bedenkliche daran ist aus Berliner Sicht: Sie sind auf Jahre besser aufgestellt bei RB München. Sie bekommen nicht – wie die Eisbären – aus einer US-Zentrale eher mittelstarke Spieler als Verstärkung (Backman, Smith, Ranford) vorgesetzt, sondern holen selbst eher starke Ausländer. Münchens Nachwuchs hat in der Red-Bull-Academy ganz andere Ausbildungsmöglichkeiten als die Berliner, die traditionell den Adler Mannheim hinterherlaufen – wenn auch die Lücke kleiner geworden ist. Aber was nützen starke Nachwuchstalente, wenn sie bei den Profis nicht zum Zuge kommen. Außerdem spielen die Berliner in den reiferen Nachwuchsmannschaften des Deutschen Eishockey-Bundes keine Rolle, im U-20-Nationalteam, das am Wochenende souverän den Aufstieg in die A-Gruppe schaffte, stand nicht ein Eisbären-Junior, dafür das große Ex-Eisbären-Talent Leon Gawanke. Der spielt schon seit Jahren in Übersee, das DEL-Team der Eisbären war nie sein Ziel.
Der beim Turnier in Füssen zuschauende ehemalige Eisbären-Trainer Pierre Pagé sagte, es sei unglaublich, wie viele talentierte Spieler die Deutschen hätten. Nur spielen sie nicht bei den Eisbären, wo Pagé einst mit der Aufbauarbeit begann und junge Spieler integrierte, von denen Frank Hördler, André Rankel, Jens Baxman und Florian Busch immer noch übrig sind. Und seitdem haben es mit den Verteidigern Kai Wissmann und Jonas Müller gerade zwei Nachwuchstalente zu richtigen Krachern bei den Profis geschafft.
Wissmann und Müller wurden übrigens von Los Angeles gefördert, in Trainingslagern im Sommer. Da war das Geld in die Flugtickets wohl sinnvoller angelegt als beim lustigen Bailey. Der hat übrigens seinen LA-Humor in Berlin nicht verloren – obwohl die Fans der Eisbären ihre Mannschaft gnadenlos niederpfiffen gegen Schwenningen bei der dritten Heimniederlage in Serie, twitterte Löwe Bailey: „Had an AMAZING time in Berlin!!“ – und bedankte sich bei den Eisbären und ihren „großartigen Fans“ für die Gastfreundschaft.