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Wenn die Seele im Herbst schwermütig wird, kann das Laufen helfen.
© Sven Hoppe/dpa

Kolumne: So läuft es: Laufen kann der Seele helfen

Das Laufen kann psychische Erkrankungen wie Depressionen oftmals ein wenig heilen. Unser Kolumnist hat viele Geschichten gehört.

Kennen Sie das? Sie registrieren eine merkwürdige Art der Stille. Merkwürdig deshalb, weil Sie hinter dieser Stille einen Sturm vermuten. Einen, den Sie kaum aushalten können. Weil er intensiv ist und so einiges ans Tageslicht bringt. So ging es mir mit der Frage „Kann das Laufen eigentlich psychische Erkrankungen lindern?“ Als ich sie im Bekanntenkreis und frei heraus im Netz stellte, war er da. Der Sturm. Die Stille wurde zu einem lauten Aufschrei von Menschen mit verletzten Seelen, die mir ihre Geschichte erzählen wollten.

Ein erster Schritt

Dieses Vertrauen hat mich bereits im ersten Moment tief berührt. Es sind unglaublich viele Geschichten, die von verletzten Seelen erzählen. Man spürt, dass so viele betroffen sind. Und hofft, dass die, die sich nicht zu sprechen trauen, vielleicht durch Gleichgesinnte, die berichten, endlich Mut fassen. Um die Antwort gleich zu geben: Das Laufen ist für viele Betroffene ein erster Schritt heraus, zum Beispiel aus der Depression. Es gibt Studien dazu, Forscher haben bereits gute Ergebnisse.

Selten erfährt man jedoch, wie sich diese Menschen wirklich fühlen. Welche Defizite ihre Seele überhaupt hat. Alexander schreibt mir: „Ich würde ja gerne laufen. Aber ich bin Herzphobiker. Ich habe ständig Angst, einen Herzinfarkt zu bekommen. Immer, überall, zu jedem Moment. Da wird es schwierig mit dem Laufen. Du glaubst nicht, wie fies die Seele sein kann. Ich weiß, dass mir das Laufen so gut tun würde. Die Angst weiß es aber auch. Ich habe sehr viel über Angst gelernt, nur nicht, sie zu besiegen.“ Alexander und ich wollen uns zum Laufen verabreden. Und wenn es nur 300, wenn es nur 30 Meter sind.

Laufen gegen die Angst

Wir werden versuchen, gegen die Angst zu laufen. Christina ist 31 Jahre alt. Und bald geschieden. Sie hat mit 14 Jahren ihre Mutter verloren. Es war Brustkrebs. Als sie 18 war, starb ihr Vater. Er hatte ein Spenderherz, Christina vermutet, er habe einfach die lebenswichtigen Medikamente weggelassen. Sie fiel von einer posttraumatischen Belastungsstörung in eine Depression. Sie fühlte sich schuldig, als sie einige Fehlgeburten verkraften musste; die Depressionen wurden schlimmer.

Christina schreibt mir: „Irgendwann fing ich mit dem Laufen an. Nach der vierten Fehlgeburt. Immerzu dachte ich: Dein Körper ist nicht in der Lage, das zu schaffen, wofür Mutter Natur ihn geschaffen hat und was für alle anderen Frauen schon seit abertausenden Jahren überhaupt kein Problem ist. Alle schaffen das, nur dein Körper kann es einfach nicht. Mensch sein, ich sein, den Körper spüren, Grenzen spüren, Gedanken fließen und fliegen lassen, die Natur sehen, hören, riechen, das wollte ich. Deshalb fing ich mit dem Laufen an. Beim Laufen ist es bei mir irgendwie unmöglich, schlechte Gedanken zu haben. Es geht irgendwie nicht. Keine Ahnung wieso. Beim Laufen denke ich nämlich gar nichts. Und das ist gut so. Tag für Tag schwirren Stunde um Stunde Gedanken im Kopf herum. Man grübelt und grübelt, macht sich Sorgen, fühlt sich beengt. Beim Laufen in der freien Natur ist das anders. Beim Laufen ist das Denken ausgeschaltet, und das Leben eingeschaltet.“

Wenn Sie mögen, lesen Sie am kommenden Donnerstag in dieser Kolumne mehr von mutigen wunderbaren Menschen, die all denen Hoffnung machen wollen, deren Seele gerne laufen würde. Die es aber noch nicht kann. Und wir, die es nicht betrifft, wir sollten einfach nur zuhören. So läuft es.

Mike Kleiß leitet eine Kommunikations- und Markenagentur in Köln und schreibt hier an jedem Donnerstag übers Laufen.

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