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Es läuft nicht mehr viel: Die Coronavirus-Pandemie sorgt für Stillstand.
© Kay Nietfeld/dpa

Kolumne „Losgelaufen“: Laufen, für wen oder was?

Alle Rennen sind bis auf Weiteres abgesagt. Unsere Kolumnistin hinterfragt deshalb ihre Leidenschaft fürs Laufen: Wofür quälen, wenn das konkrete Ziel fehlt?

Jeannette Hagen ist freie Autorin in Berlin, Sportlehrerin und Läuferin. Hier schreibt sie im Wechsel mit Radsporttrainer Michael Wiedersich.

Noch ein paar Tage, dann wäre der 40. Berliner Halbmarathon gestartet. Läuferinnen und Läufer aus über 100 Nationen waren angemeldet, viele Helferinnen und Helfer haben seit Monaten geplant und mit viel Engagement auf diesen Tag hingearbeitet. Nun ist der Lauf abgesagt, natürlich sind alle enttäuscht, aber ebenso verständnisvoll.

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Für mich und viele andere ist der Berliner Halbmarathon nicht der einzige Lauf, der in diesem Frühjahr ausgesetzt wird. Bei mir stand für Mitte Mai der Rennsteiglauf in Thüringen auf dem Programm – ein Marathon im Gelände, über Stock und Stein und insgesamt 1613 Höhenmeter.

Seit Monaten trainiere ich dafür, freue mich, dass der Eiszeitgletscher im Berliner Grunewald einst dafür gesorgt hat, dass es Anstiege gibt, die in der Summe zwar keinen Thüringer Wald ersetzen, aber anspruchsvoll genug sind, um ausreichend auf so einen Lauf vorbereitet zu sein. Und nun? Abgesagt. Mein nächster Marathon, für den ich trainieren kann, ist erst im September. Ob er stattfindet? Wer weiß.

Irgendwie steht alles still. Dann lauf doch, denke ich. Das ist ja erlaubt. Aber plötzlich merke ich, dass es in meinem Kopf einen Unterschied gibt zwischen: „Ich laufe einfach so“ und „Ich laufe, weil ich an einem Wettkampf teilnehmen will“.

Ich schreibe das deshalb, weil es mich überrascht, dass ich das trenne. Dass plötzlich beim Training die Frage auftaucht, warum ich mich überhaupt quäle, jetzt, da doch sowieso keine Wettkämpfe stattfinden.

Auf einmal hinterfrage ich die Tatsache, dass ich so viel Zeit und Energie in etwas investiere, das auf ungewisse Zeit kein konkretes Ziel hat. Das geht sogar so weit, dass ich meine Ziele insgesamt hinterfrage und mir aber auf der anderen Seite „einfach mal so eine Runde zu drehen“ ziemlich banal erscheint.

Dass ich mit diesen Gedanken nicht alleine bin, bestätigt mir André Biakowski. Auch er bereitet sich regelmäßig auf Wettkampfläufe vor. In Paris wollte er den Halbmarathon und in Barcelona als Guide mit der fast blinden Läuferin Lina einen Marathon laufen.

Als wir telefonieren, sagt auch er, dass er die Zeit gerade dafür nutzt, einiges rund ums Laufen zu überdenken: „Wofür mache ich das? Für meine Gesundheit? Dafür müsste ich nicht laufen.“

„Laufe ich für mich oder laufe ich für andere?“

Er stellt wie ich fest, dass wir auf der Ebene unseres Freizeitverhaltens jetzt die Chance haben, uns ehrlich zu prüfen. „Laufe ich für mich oder laufe ich für andere, die mich für mein Tempo loben oder darüber staunen, weil ich in Paris oder Barcelona an den Start gehe?“ Ich muss schmunzeln, als er das sagt, und denke an meinen Instagram-Account, auf dem ich auch gern meine Lauferfolge teile.

Antworten muss jeder für sich finden. Wer nur für den Applaus läuft, wird damit nicht weit kommen. Wer es dagegen schafft, seine eigene Veränderung als Maß der Dinge anzusehen, der braucht vielleicht gar keinen Wettkampf mehr. Wir werden uns – egal ob als Läufer oder Nichtsportler – verändern und nach der Coronavirus-Krise sicher nicht mehr dieselben sein.

Ich teile Andrés Meinung, dass sich auch unsere Wettkämpfe verändern werden. Dass zukünftig wahrscheinlich mehr „Wir“ in ihnen stecken wird. Und ich denke auch, dass das Laufen jenseits von Zielen gerade jetzt für viele eine Möglichkeit ist, Gesundheit und Klarheit für den eigenen, weiteren Weg zu finden. Sie kennen ja meinen Satz: Wenn nichts mehr läuft, dann lauf. In diesem Sinne: Bleiben Sie gesund!

Jeannette Hagen

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