Korruptionsverdacht bei der Fifa: Kurz vor dem Abpfiff
Der Korruptionsverdacht gegen hohe Fifa-Funktionäre hat die Fußballwelt erschüttert. Wie reagieren Sponsoren, deren Marken unter dem Fifa-Skandal und negativen Schlagzeilen leiden könnten? Was machen die Fernsehsender?
Seit Mittwoch stehen unerhörte Vorwürfe gegen Fifa-Funktionäre im Raum. Den Geschäftszahlen nach ist der Weltfußballverband quasi ein internationales Großunternehmen – das nun unter schwerem Korruptionsverdacht steht.
Wie viel Geld ist bei Fußball-Weltmeisterschaften offiziell im Spiel?
Die Vermarktung der Fußball-Weltmeisterschaften ist für die Fifa ein Riesengeschäft. Neben den Einnahmen aus den TV-Übertragungsrechten und dem Ticketverkauf sind die Zahlungen der Sponsoren für die Fifa dabei eminent wichtig. Das Jahr 2013 hatte der Weltverband mit einem Gewinn von 53 Millionen Euro abgeschlossen. Nach Angaben von Finanzdirektor Markus Kattner verfügte der Verband vor der WM in Brasilien über Reserven in Höhe von 1,05 Milliarden Euro. Bei der WM 2014 in Brasilien erzielte die Fifa dann einen neuen Rekord. Mit dem Gesamtumsatz von 3,3 Milliarden Euro wurde die bisherige Bestmarke des Turniers vier Jahre zuvor in Südafrika (3,0 Milliarden) deutlich übertroffen. Der Fifa blieb 2014 ein Gewinn von 1,6 Milliarden Euro. Diesen nahm der Verband steuerfrei mit in die Schweiz, wie er es sich in den Fifa-Gesetzen zusichern lässt, zu deren Unterzeichnung Brasilien vor der WM verpflichtet wurde.
Die Ausschüttungen der Fifa nehmen sich dagegen vergleichsweise bescheiden aus: 425 Millionen Euro wurden 2014 als WM-Prämien ausgezahlt. Der DFB kassierte 25,7 Millionen Euro für den Titelgewinn. Die Vereine erhalten darüber hinaus für die Abstellung der Nationalspieler insgesamt 125 Millionen Euro. 590 Millionen Euro gehen in die Fußball-Entwicklungsprogramme. Andere Turniere des Weltverbandes werden mit 386 Millionen Euro finanziert. Brasilien bekam als WM-Gastgeber einen Bonus von knapp 92 Millionen Euro, den hatte 2010 auch Südafrika erhalten. Der Rest wanderte auf das Festgeldkonto der Fifa.
Wie reagieren die Sponsoren jetzt?
Die amerikanische Kreditkartengesellschaft Visa und der südkoreanische Automobilhersteller Hyundai (zusammen mit Schwesterfirma Kia Motors) zählen neben dem deutschen Sportartikelhersteller Adidas, dem US-Getränkegiganten Coca-Cola und dem russischen Gaskonzern Gazprom zurzeit zu den ständigen Marketingpartnern der Fifa.
Zwar ist keiner der Sponsoren in den Korruptionsskandal verstrickt, doch alle Unternehmen befürchten, dass ihre Marken unter dem Skandal leiden könnten. Adidas erklärte, die „fortwährenden negativen Schlagzeilen“ seien weder für den Fußball noch für die Fifa oder ihre Sponsoren gut. Visa ging noch einen Schritt weiter und drohte, sein "Engagement zu überdenken", sollte die Fifa nicht sofort einen Wandel einleiten. Adidas teilte weiter mit, selbst "höchste Standards, was ethisches Verhalten und Compliance" angehe, zu verfolgen. Dies erwarte der Konzern auch von seinen Partnern. Ebenfalls besorgt äußerte sich der US-GetränkeHersteller Coca-Cola: "Diese lange Kontroverse befleckt die Mission und die Ideale der Fifa."
Coca-Cola überweist schätzungsweise jährlich 27,5 Millionen Euro an den Weltfußballverband. Auch die US-Fastfood-Kette McDonald’s, die offizieller Sponsor der WM 2018 in Russland ist, äußerte Bedenken: Das Unternehmen nehme die Angelegenheit "sehr ernst", sei diesbezüglich in Kontakt mit der Fifa und beobachte die Situation sehr genau. Hyundai betonte, dass man die Lage genau beobachten wolle. "Als Unternehmen, für das ethische Normen und Transparenz den höchsten Stellenwert besitzen, sind wir extrem besorgt über die eingeleiteten rechtlichen Schritte gegen bestimmte Fifa-Führungskräfte."
Sollten sich die Anschuldigungen auch nur in Teilen bewahrheiten, könnten sich die Unternehmen gezwungen sehen, die Zusammenarbeit zu beenden. Die Unternehmensregeln sehen meist vor, dass Auftragnehmer und Vertragspartner die ethischen Leitlinien einhalten müssen.
Wie verhalten sich ARD und ZDF?
Gute Frage. Da ist viel (Gebühren-)Geld im Spiel. Die öffentlich-rechtlichen Sender haben für die WM 2014 zwischen 150 und 180 Millionen Euro an die Fifa gezahlt. Müsste nach den jüngsten Skandalen beim Vertragspartner nicht auch mal ein WM-TV-Boykott in Erwägung gezogen werden? "Das ZDF kommt mit der Liveberichterstattung von einer Fußball-WM dem großen Zuschauerinteresse entgegen und entspricht damit auch der Erwartungshaltung der Gebührenzahler, dass ein solches Ereignis von den öffentlich-rechtlichen Sendern gezeigt wird", sagt ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz. ARD und ZDF haben mit der Fifa verbindliche Verträge für die Weltmeisterschaften 2018 und 2022 geschlossen. Das ZDF biete in dem Zusammenhang auch immer Informationen über das Gastgeberland an. So habe das ZDF mehrfach über die Arbeitsbedingungen in Katar, dem Ausrichter der WM 2022, berichtet.
Auch die ARD bezog Stellung. "Zunächst einmal gilt grundsätzlich festzuhalten, dass es für uns als öffentlich-rechtliche Rundfunkanbieter eine strikte Trennung zwischen einem Ereignis und der ausführenden Organisation gibt, sowie die Tatsache, dass der Rechte-Erwerb für eine Fußball-Weltmeisterschaft generell unabhängig vom Austragungsort erfolgt", sagt ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky dem Tagesspiegel. Die Übertragungsrechte an diesen Weltmeisterschaften hätten ARD/ZDF im Rahmen öffentlicher und transparenter Ausschreibungen (wie in Europa üblich) und im Einklang mit den für ARD/ZDF geltenden gesetzlichen Regelungen und Kontrollen erworben. "Im konkreten Fall dieses WM-Rechteerwerbs erfolgte die Kommunikation ausschließlich mit der FIFA-Administration und nicht mit einzelnen Funktionären. Vor diesem Hintergrund gibt es keinen Grund an der Rechtmäßigkeit der bestehenden Verträge zu zweifeln." Selbstverständlich beziehe die ARD auch Stellung und zwar in ihren vielfältigen Sendeformaten wie beispielsweise im ARD-"Brennpunkt" am Mittwoch oder etwa der Dokumentation „Der verkaufte Fußball“.
Die Fifa hatte der ARD Anfang Mai nach deren Reportage "Der verkaufte Fußball" in einer scharfen Stellungnahme unsaubere Arbeit und die Verdrehung von Fakten vorgeworfen. Das seien neue Standards im gebührenfinanzierten Qualitätsjournalismus, beklagte Walter De Gregorio, Fifa-Direktor Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit. Die ARD-Reportage verstärkte den Verdacht auf massive Korruption bei der Vergabe der WM-Endrunden 2018 und 2022 sowie im Umgang mit Fifa-Geldern.
Warum wurde der Skandal jetzt publik?
Seit vier Jahren ermittelt das FBI gegen die Fifa. Doch erst zwei Tage vor der Präsidentenwahl des Weltverbandes ließen die US-Behörden sieben Spitzenfunktionäre in Zürich verhaften. Dem Schweizer Justizministerium zufolge ging das Verhaftungsersuchen aus den USA am 21. Mai ein. Die Staatsanwaltschaft New York wirft insgesamt 14 Personen vor, dass sie mehr als 150 Millionen US-Dollar an Bestechungsgeldern und verdeckten Provisionen eingestrichen oder bezahlt haben sollen. Dass sie genau jetzt verhaftet wurden, hat ermittlungstaktische Gründe. Da sich alle Spitzenfunktionäre des Weltverbandes in dieser Woche zur Wahl in Zürich treffen, waren die Verdächtigen an einem Ort auffindbar: um 6 Uhr morgens im Hotel Baur au Lac am Zürichsee.
Parallel zu den US-Behörden schlugen auch die Schweizer Bundesanwälte zu, in einem separaten Fall, aber ebenfalls zum Kongress, um Zielpersonen anzutreffen und Verdunklungsgefahr vorzubeugen. Ein Dutzend Beamte ließ sich am Mittwoch in der Fifa-Zentrale elektronische Daten aushändigen. Am Donnerstag begannen die Schweizer Bundesanwälte, zehn Fifa-Funktionäre zu vernehmen, die sich derzeit ebenfalls in Zürich aufhalten und die über die umstrittenen WM-Vergaben an Russland 2018 und Katar 2022 mitentschieden haben. Beide Ermittler-Gruppen koordinierten ihr Vorgehen. Die Fifa deutete an, es sei ihnen jedoch auch um größtmögliche Aufmerksamkeit gegangen. Derzeit befinden sich Medien aus aller Welt zur Wahl in Zürich.
Wieso haben ausgerechnet die USA zugegriffen?
Die Transaktionen sollen teilweise am Finanzplatz New York stattgefunden haben, im Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft Ost. Das FBI war bei Ermittlungen über die russische Mafia auf die Fifa gestoßen. Loretta Lynch war damals als Oberstaatsanwältin mit dem Fall betreut, seit April ist sie Justizministerin und erließ das Auslieferungsersuchen an die Schweizer Behörden, pünktlich zum Wahlkongress des Fußball-Weltverbandes. Funktionärstreffen gibt es zwar regelmäßig weltweit, aber mit der Schweiz haben die USA seit Jahrzehnten ein Auslieferungsabkommen. Russlands Präsident Wladimir Putin kritisierte den Zugriff in Zürich als "erneuten unverhohlenen Versuch der USA, ihre rechtliche Zuständigkeit auf andere Staaten auszuweiten".
Unproblematischer war die Razzia beim nord- und mittelamerikanischen Fußballverband Concacaf, der in Miami sitzt. Ob auch gegen Fifa-Präsident Joseph Blatter ermittelt wird, wollte Lynch nicht kommentieren. Offenbar liegt den US-Behörden noch kein belastendes Material vor, das für eine Anklage gegen den Schweizer reichen würde. Doch die aktuellen Verhaftungen seien "erst der Beginn unserer Anstrengungen, nicht das Ende", sagte Lynchs Nachfolgerin als New Yorker Oberstaatsanwältin, Kelly T. Currie.
Wie geht es mit den Beschuldigten weiter?
Die sieben verhafteten Fifa-Funktionäre sind über sieben Justizvollzugsanstalten im Kanton Zürich verteilt in Arrest. Nach Angaben des Schweizer Bundesamts für Justiz sitzen sie in Einzelzellen, dürfen Anwälte und Verwandte kontaktieren, aber nicht ohne Weiteres telefonieren. Ein Verdächtiger zog seine zunächst angedeutete Zustimmung zu einer Auslieferung in die USA, wo ihm ein Prozess gemacht werden könnte, zurück. Sperren sich alle Funktionäre dagegen und stellen die USA ein Auslieferungsgesuch, könnten sie noch Monate in Haft auf die Abschiebung warten.
Anders sieht es bei den Ermittlungen der Schweizer Bundesanwälte aus, die sie intern zunächst "Fifi" nannten und mittlerweile Operation "Darwin". Die Behörden eröffneten am 10. März ein Strafverfahren. Die Fifa hatte selbst im November darum gebeten, die WM-Vergaben an Russland und Katar auf Korruption zu untersuchen und stellte Daten zur Verfügung. Die zu sichten, wird noch Monate dauern. Dennoch begannen die Schweizer Bundesanwälte am Donnerstag, Fifa-Vorstände mit den Daten zu konfrontieren. Die zehn Mitglieder des Exekutivkomitees werden angehört, sie sind keine Zeugen, das heißt, sie können noch Beschuldigte werden. Derzeit wird noch gegen unbekannt ermittelt. Auch wenn es den Ermittlern gelingt, genug belastendes Material zusammenzutragen, dürfte es bis zu einer Anklageerhebung noch eine Weile dauern.
Noch nicht vernommen wurden Joseph Blatter und Michel Platini, Präsident des europäischen Verbandes Uefa, der ebenfalls über die WM-Turniere in Russland und Katar entschied. Beide wohnen in der Schweiz und sind leicht auffindbar. Dazu könnte es noch kommen. Gerüchte, Blatter sei derzeit verboten, das Land zu verlassen, nannte ein Staatsanwalt aber "völligen Blödsinn".