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In der Blase. Die Bundesliga-Fußballer sind formell an strenge Maßnahmen gebunden.
© picture alliance/dpa

Steigende Corona-Fallzahlen bei den Profis: „Keine Sportblase ist komplett dicht, auch nicht die Fußball-Bundesliga“

Der Pharmakologe Fritz Sörgel spricht im Interview über falsch-positive Fälle im Fußball und eine hoffnungsvolle Studie.

Fritz Sörgel, 70, ist Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg und beschäftigt sich intensiv mit den Auswirkungen von Covid-19 auf den Sport.

Herr Sörgel, der Bundesligafan ist dieser Tage öfter verwirrt. Mal ist ein Spieler positiv getestet, dann doch wieder negativ.
Das kann verschiedene Ursachen haben, nicht reproduzierbare Nasen- und Rachenabstriche und eine nicht sachgemäße Interpretation des PCR-Tests. Wenn solche Faktoren zusammenkommen, passiert dann schon mal sowas wie bei Niklas Süle, der mal positiv, mal negativ war.

Funktioniert der PCR-Test nicht?
Der PCR-Test an sich ist perfekt, was wären wir in der modernen Medizin ohne ihn. Aus den Tests gewinnt man aber sogenannte ct-Werte. Diese geben an, wie viel Virusmaterial in der getesteten Person steckt. Dazu müssen chemische Reaktionen zigmal wiederholt, das heißt mitunter extrem verstärkt werden. Bei dieser Prozedur kann man sich den Job eines Analytikers vorstellen wie den eines Tontechnikers, der zum Beispiel den Glockenklang einer Kapelle einfangen will. Ist die Kapelle weit weg, muss der Tontechniker das Signal stark verstärken, um etwas zu hören. Ist die Kapelle ganz nah, muss er das nicht tun. Ein verstärkter Ton klingt selten gut. So verhält es sich auch mit dem ct-Wert. Ist die Virusmenge klein, muss die erforderliche chemische Reaktion oft wiederholt werden, um ein Messergebnis zu erhalten. Und da fehlt’s dann schon mal am einheitlichen Vorgehen der Labore.

Und dann ist nicht mehr klar, ob der Getestete positiv oder negativ ist.
Genau, es gibt eben Grenzwerte. Wenn der ct-Wert, also die Viruslast, einen Wert von nahe 40 hat. Das heißt, eine chemische Reaktion muss vierzig Mal wiederholt werden, damit man ein zuverlässiges Signal des Messgerätes erkennt. Solche Grenzwerte können ein Problem sein, weil dann nicht ganz klar ist, ob es sich um einen positiven oder negativen Fall handelt. Das ist ein klassisches Problem jedes analytischen Verfahrens, an der Messgrenze wird es immer gefährlich in der Biochemie.

Ist der Grenzwert vielleicht zu niedrig angesetzt in der Bundesliga und generell im Profisport? Es fällt auf, dass immer mehr Spieler wegen einer positiven Coronavirus-Infektion ausfallen.
Ich denke auch, dass für die Blase Fußball – und nicht nur die – schon nachgedacht werden muss, wie weit man sich an die Messgrenze wagt. Das gilt nicht nur für den Sport, ich will keine Bevorzugung. Es gilt auch für andere Blasen der Gesellschaft, die gut abgeschirmt sind. Grundsätzlich lässt sich natürlich schon sagen, dass Profisportler medizinisch nicht zur Risikogruppe zählen und der Grenzwert vielleicht etwas nach oben korrigiert werden kann. Mir ist bis auf Ilkay Gündogan, der wohl etwas heftigere Symptome hatte, kein infizierter Profifußballer hierzulande bekannt, der größere gesundheitliche Probleme hatte.

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Welche weiteren Ursachen haben die vielen positive Fälle im Profisport?
Ich nehme an, dass sich etwa die Profifußballer wie der Rest der Gesellschaft im Herbst nicht mehr ganz so diszipliniert an die Maßnahmen wie Abstand gehalten haben wie im Frühsommer. Das ist kein Vorwurf an die Profifußballer, wir alle haben die Pandemie unterschätzt und sind deshalb jetzt in dieser Situation mit den hohen Fallzahlen.

Der 1. FC Union wollte sogar mit einem vollen Stadion in die Saison starten.
Ja, das war ein bisschen die Stimmung fast bis Anfang Oktober: Wir haben es im Griff. Aber das stimmte leider nicht. Wir hatten und haben die Pandemie nicht unter Kontrolle. Das Problem für den Sport ist nun diese hohe Grundinfektion der Bevölkerung, weil dadurch das Virus durch Löcher in den Sportblasen rutscht. Und keine Sportblase ist komplett dicht, auch nicht die Fußball-Bundesliga.

Wie können die Profiligen respektive die Profiklubs darauf reagieren?
Sie tun ja schon alles Erdenkliche. Aber gegen die Ansteckungsrate in der Gesellschaft kann der Sport nichts tun. Er kann höchstens hoffen, dass es zu einem harten Lockdown kommt, weil dann die Fallzahlen wieder nach unten gehen würden. Und höchste Disziplin bis zur Abschirmung der Familien wird nötig sein, wenn man die Profiligen am Leben erhalten will, eine undurchlässige Blase müsste es sein. Aber das ist eben fast unmöglich.

Fritz Sörgel, 70, ist Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg und beschäftigt sich intensiv mit den Auswirkungen von Covid-19 auf den Sport.
Fritz Sörgel, 70, ist Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg und beschäftigt sich intensiv mit den Auswirkungen von Covid-19 auf den Sport.
© imago/Zink

Zu kämpfen haben vor allem die Hallensportarten.
Hoffnung machte diesbezüglich eine Studie zu einem Konzert in Leipzig von Tim Bendzko. Das Ergebnis war, dass Indoor-Veranstaltungen mit vielen Menschen möglich sind. Aber eben nur dann, wenn es ein sehr gutes Belüftungssystem gibt.

Kann der sehnlichst erwartete Impfstoff den Sport retten?
Ich habe gerade gelesen, dass die australische Airline Qantas eine Impfpflicht für Passagiere plant. Im Moment kann ich mir schwer vorstellen, dass so etwas hierzulande eingeführt werden kann. Im Falle des Sports wäre das eine Impfpflicht für Spieler wie auch Zuschauer. Aber man konnte sich ja im Februar in Deutschland auch nicht vorstellen, sich Masken aufzusetzen. Von daher: Wenn der wirtschaftliche Überlebensdruck im Sport weiter zunimmt, kann ich mir schon denken, dass der Impfstoff oder der Antikörpertest noch eine Rolle spielen wird.

Martin Einsiedler

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